Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882.§. 107. Der Reichsfiskus. Der Reichsfiskus hat demnach kein einheitliches Recht; Es kann sich nun aber im einzelnen Rechtsfalle die Frage er- 1) Siehe Annalen a. a. O. S. 412. Reincke S. 496. Dies ist auch
anerkannt und als "ein bedenklicher Zustand" bezeichnet worden von dem Bundeskommissar v. Möller in der Sitzung des Reichstages v. 26. April 1873 (Stenogr. Berichte I. S. 356). §. 107. Der Reichsfiskus. Der Reichsfiskus hat demnach kein einheitliches Recht; Es kann ſich nun aber im einzelnen Rechtsfalle die Frage er- 1) Siehe Annalen a. a. O. S. 412. Reincke S. 496. Dies iſt auch
anerkannt und als „ein bedenklicher Zuſtand“ bezeichnet worden von dem Bundeskommiſſar v. Möller in der Sitzung des Reichstages v. 26. April 1873 (Stenogr. Berichte I. S. 356). <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0207" n="197"/> <fw place="top" type="header">§. 107. Der Reichsfiskus.</fw><lb/> <p>Der Reichsfiskus hat demnach <hi rendition="#g">kein einheitliches</hi> Recht;<lb/> inſoweit die Verſchiedenheit der Partikularrechte im Bundesgebiet<lb/> noch fortbeſteht, trifft dieſelbe auch den Reichsfiskus, und inſoweit<lb/> das Partikularrecht der Fortbildung und Veränderung durch die<lb/> Autonomie der Einzelſtaaten unterliegt, können die Rechtsvor-<lb/> ſchriften über die <hi rendition="#aq">privilegia fisci</hi> nicht nur hinſichtlich des Landes-<lb/> fiskus, ſondern auch hinſichtlich des Reichsfiskus im Wege der<lb/> Landesgeſetzgebung abgeändert werden <note place="foot" n="1)">Siehe <hi rendition="#g">Annalen</hi> a. a. O. S. 412. <hi rendition="#g">Reincke</hi> S. 496. Dies iſt auch<lb/> anerkannt und als „ein bedenklicher Zuſtand“ bezeichnet worden von dem<lb/> Bundeskommiſſar v. <hi rendition="#g">Möller</hi> in der Sitzung des Reichstages v. 26. April<lb/> 1873 (Stenogr. Berichte <hi rendition="#aq">I.</hi> S. 356).</note>.</p><lb/> <p>Es kann ſich nun aber im einzelnen Rechtsfalle die Frage er-<lb/> heben, welches der verſchiedenen Partikularrechte auf den Reichs-<lb/> fiskus in Anwendung zu bringen iſt. Da ein Sonderrecht für den<lb/> Fiskus in dieſer Hinſicht nicht beſteht, ſo müſſen die allgemeinen,<lb/> freilich controverſen Regeln über die örtliche Geltung der Rechts-<lb/> ſätze Platz greifen. Für die dinglichen Rechte, namentlich für die<lb/> Rechtsverhältniſſe an Grundſtücken geſtaltet ſich die Beantwortung<lb/> der Frage einfach; ſie ſind nach den <hi rendition="#aq">statuta rei sitae</hi> zu beur-<lb/> theilen. Ebenſo einfach und zweifellos iſt der Satz, daß in Betreff<lb/> der Form der Geſchäfte das Recht des Ortes, an welchem der<lb/> Vertrag abgeſchloſſen worden iſt, entſcheidet. Für die materielle<lb/> Beurtheilung der Schuldverhältniſſe kömmt in der Regel das Recht<lb/> des Erfüllungsortes zur Anwendung; als Erfüllungsort iſt aber<lb/> in der Mehrzahl der Fälle der Wohnort des Schuldners anzuſehen.<lb/> Demnach muß in vielen Fällen die Frage, nach welchem Rechte<lb/> die Verpflichtungen und Vorrechte des Reichsfiskus zu beurtheilen<lb/> ſind, praktiſch zuſammenfallen mit der Frage: <hi rendition="#g">Wo hat der<lb/> Reichsfiskus ſeinen Wohnſitz</hi>? Dieſe Frage iſt ganz ebenſo<lb/> zu beantworten, wie es oben hinſichtlich des allgemeinen Gerichts-<lb/> ſtandes geſchehen iſt. Jede zur Vertretung des Reichsfiskus be-<lb/> fugte Behörde (fiskaliſche Station) iſt als eine <hi rendition="#g">Zweignieder-<lb/> laſſung des Reichsfiskus</hi> anzuſehen, deren amtlicher Sitz<lb/> für den zu ihrer Zuſtändigkeit gehörenden Kreis von Geſchäften<lb/> ein (Spezial-)Wohnſitz des Reichsfiskus iſt. <hi rendition="#g">Berlin</hi> iſt daher<lb/> zwar der generelle Wohnſitz des Reichsfiskus, weil der Reichs-<lb/> kanzler dort ſeinen Amtsſitz hat, dem, wie bereits erwähnt worden<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [197/0207]
§. 107. Der Reichsfiskus.
Der Reichsfiskus hat demnach kein einheitliches Recht;
inſoweit die Verſchiedenheit der Partikularrechte im Bundesgebiet
noch fortbeſteht, trifft dieſelbe auch den Reichsfiskus, und inſoweit
das Partikularrecht der Fortbildung und Veränderung durch die
Autonomie der Einzelſtaaten unterliegt, können die Rechtsvor-
ſchriften über die privilegia fisci nicht nur hinſichtlich des Landes-
fiskus, ſondern auch hinſichtlich des Reichsfiskus im Wege der
Landesgeſetzgebung abgeändert werden 1).
Es kann ſich nun aber im einzelnen Rechtsfalle die Frage er-
heben, welches der verſchiedenen Partikularrechte auf den Reichs-
fiskus in Anwendung zu bringen iſt. Da ein Sonderrecht für den
Fiskus in dieſer Hinſicht nicht beſteht, ſo müſſen die allgemeinen,
freilich controverſen Regeln über die örtliche Geltung der Rechts-
ſätze Platz greifen. Für die dinglichen Rechte, namentlich für die
Rechtsverhältniſſe an Grundſtücken geſtaltet ſich die Beantwortung
der Frage einfach; ſie ſind nach den statuta rei sitae zu beur-
theilen. Ebenſo einfach und zweifellos iſt der Satz, daß in Betreff
der Form der Geſchäfte das Recht des Ortes, an welchem der
Vertrag abgeſchloſſen worden iſt, entſcheidet. Für die materielle
Beurtheilung der Schuldverhältniſſe kömmt in der Regel das Recht
des Erfüllungsortes zur Anwendung; als Erfüllungsort iſt aber
in der Mehrzahl der Fälle der Wohnort des Schuldners anzuſehen.
Demnach muß in vielen Fällen die Frage, nach welchem Rechte
die Verpflichtungen und Vorrechte des Reichsfiskus zu beurtheilen
ſind, praktiſch zuſammenfallen mit der Frage: Wo hat der
Reichsfiskus ſeinen Wohnſitz? Dieſe Frage iſt ganz ebenſo
zu beantworten, wie es oben hinſichtlich des allgemeinen Gerichts-
ſtandes geſchehen iſt. Jede zur Vertretung des Reichsfiskus be-
fugte Behörde (fiskaliſche Station) iſt als eine Zweignieder-
laſſung des Reichsfiskus anzuſehen, deren amtlicher Sitz
für den zu ihrer Zuſtändigkeit gehörenden Kreis von Geſchäften
ein (Spezial-)Wohnſitz des Reichsfiskus iſt. Berlin iſt daher
zwar der generelle Wohnſitz des Reichsfiskus, weil der Reichs-
kanzler dort ſeinen Amtsſitz hat, dem, wie bereits erwähnt worden
1) Siehe Annalen a. a. O. S. 412. Reincke S. 496. Dies iſt auch
anerkannt und als „ein bedenklicher Zuſtand“ bezeichnet worden von dem
Bundeskommiſſar v. Möller in der Sitzung des Reichstages v. 26. April
1873 (Stenogr. Berichte I. S. 356).
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