Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882.§. 119. Allgemeine Charakteristik der Finanzwirthschaft. Thatsache, daß in der Verfassung der Reichsfiskus dem Wort unddem Begriffe nach fehlt. Allein es ist andererseits unverkennbar, daß nach der Verfassung des Norddeutschen Bundes die Gesellschaftswirthschaft nach verhältnißmäßig kurzer Zeit thatsächlich hätte verschwinden müssen. Denn es gab nach dieser Verfassung nur Ausgaben, die allen Staaten und zwar nach gleichem Maße gemeinschaftlich waren und ebenso hätte es nach Ablauf der für die Vertheilung der Postüberschüsse normirten Uebergangszeit nur Einnahmen gegeben, an denen alle Staaten im gleichen Maße Antheil hatten, so daß es lediglich der Einführung von Bundes- steuern behufs Beseitigung der Matrikularbeiträge bedurft hätte, um die Bundes-Finanzwirthschaft aus der gesellschaftlichen Rechts- form in die korporative (staatliche) überzuleiten. Durch den Beitritt der süddeutschen Staaten und durch die Unter den Unebenheiten, welche die Reichsverfassung auf- Laband, Reichsstaatsrecht. III. 2. 21
§. 119. Allgemeine Charakteriſtik der Finanzwirthſchaft. Thatſache, daß in der Verfaſſung der Reichsfiskus dem Wort unddem Begriffe nach fehlt. Allein es iſt andererſeits unverkennbar, daß nach der Verfaſſung des Norddeutſchen Bundes die Geſellſchaftswirthſchaft nach verhältnißmäßig kurzer Zeit thatſächlich hätte verſchwinden müſſen. Denn es gab nach dieſer Verfaſſung nur Ausgaben, die allen Staaten und zwar nach gleichem Maße gemeinſchaftlich waren und ebenſo hätte es nach Ablauf der für die Vertheilung der Poſtüberſchüſſe normirten Uebergangszeit nur Einnahmen gegeben, an denen alle Staaten im gleichen Maße Antheil hatten, ſo daß es lediglich der Einführung von Bundes- ſteuern behufs Beſeitigung der Matrikularbeiträge bedurft hätte, um die Bundes-Finanzwirthſchaft aus der geſellſchaftlichen Rechts- form in die korporative (ſtaatliche) überzuleiten. Durch den Beitritt der ſüddeutſchen Staaten und durch die Unter den Unebenheiten, welche die Reichsverfaſſung auf- Laband, Reichsſtaatsrecht. III. 2. 21
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§. 119. Allgemeine Charakteriſtik der Finanzwirthſchaft.
Thatſache, daß in der Verfaſſung der Reichsfiskus dem Wort und
dem Begriffe nach fehlt. Allein es iſt andererſeits unverkennbar,
daß nach der Verfaſſung des Norddeutſchen Bundes die
Geſellſchaftswirthſchaft nach verhältnißmäßig kurzer Zeit thatſächlich
hätte verſchwinden müſſen. Denn es gab nach dieſer Verfaſſung
nur Ausgaben, die allen Staaten und zwar nach gleichem
Maße gemeinſchaftlich waren und ebenſo hätte es nach Ablauf der
für die Vertheilung der Poſtüberſchüſſe normirten Uebergangszeit
nur Einnahmen gegeben, an denen alle Staaten im gleichen Maße
Antheil hatten, ſo daß es lediglich der Einführung von Bundes-
ſteuern behufs Beſeitigung der Matrikularbeiträge bedurft hätte,
um die Bundes-Finanzwirthſchaft aus der geſellſchaftlichen Rechts-
form in die korporative (ſtaatliche) überzuleiten.
Durch den Beitritt der ſüddeutſchen Staaten und durch die
Entwicklung des Finanzweſens des Reiches iſt dieſer Weg ver-
laſſen worden. Durch die den ſüddeutſchen Staaten eingeräumten
Reſervatrechte auf dem Gebiete des Poſt- und Telegraphenweſens
und der Verbrauchs-Abgaben und durch die beſondere Stellung
Bayerns in Betreff des Militair- Eiſenbahn- und Heimathweſens
ſind Complexe von Einnahmen und von Ausgaben gebildet worden,
an denen nicht ſämmtliche Staaten gleichmäßig betheiligt ſind.
Daſſelbe iſt in anderen Beziehungen durch die Verhältniſſe Elſaß-
Lothringens herbeigeführt worden. Namentlich iſt aber ein prin-
zipiell entſcheidender Schritt dadurch geſchehen, daß bei der Er-
höhung der Zölle und der Tabaksſteuer durch das Reichsgeſetz
vom 15. Juli 1879 §. 8 und ferner durch das Reichsſtempelgeſetz
v. 1. Juli 1881 §. 32 die Matrikularbeiträge der Einzelſtaaten
nicht vermindert oder abgeſchafft worden ſind, ſondern daß im
Gegentheil das Syſtem der Matrikularbeiträge und eventuell das
der Ueberſchuß-Vertheilung eine neue Anerkennung und verſtärkte
Bedeutung erlangt hat.
Unter den Unebenheiten, welche die Reichsverfaſſung auf-
weiſt, iſt die hervorragendſte und bemerkenswertheſte die, daß,
während auf allen anderen Gebieten das bundesſtaatliche
Prinzip obwaltet, die Finanzwirthſchaft des Reiches von dem
förderaliſtiſchen Prinzip beherrſcht wird.
Laband, Reichsſtaatsrecht. III. 2. 21
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