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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882.

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§. 124. Die Wirkungen des Etatsgesetzes.
geleisteten Ausgaben in den erhobenen Einnahmen ausreichende
Deckung finden, sondern sie muß darlegen, daß sie die Verwaltung
dem ihr vorgeschriebenen Programm gemäß geführt habe, und sie
muß alle Abweichungen davon, auch Mehreinnahmen und Minder-
ausgaben, unter Angabe der Gründe nachweisen.

II. Niemals aber kann der Etat in dem Sinne festgestellt
werden, daß Abweichungen von ihm überhaupt nicht vorkommen
dürften 1). Da er sich auf die Zukunft bezieht, so kann seine Fest-
stellung nur mit demjenigen Grade der Sicherheit erfolgen, mit
welchem man die Zukunft vorher sehen und vorher bestimmen kann.
Gerade in finanzieller Hinsicht ist seine bindende Kraft am geringsten,
da die Höhe der Ausgaben und Einnahmen zum großen Theil von
thatsächlichen Verhältnissen bedingt ist, die theils nicht vom freien
Willen abhängen, theils nicht mit Sicherheit vorher erkannt werden
können 2). Aber auch die materiellen Gründe und Zwecke der
Ausgaben lassen sich nicht mit absoluter Sicherheit vorher fixiren.
Der Etat soll keine Schablone sein, in welche die Verwaltung
durchaus gepreßt werden muß, sondern eben nur ein der Verwal-
tung vorgezeichnetes Programm. Endlich normirt der Etat die
Finanzwirthschaft für ein Jahr, während die faktische Erhebung
von Einnahmen und Leistung von Ausgaben sich an diese Frist
nicht binden läßt. Es ergibt sich demnach, daß Abweichungen
von demselben vorkommen können, von rein finanzieller oder quan-
titaver Natur, ferner von materieller oder qualitativer Art, endlich
in temporärer Beziehung.

1. Die finanziellen oder quantitativen Abwei-
chungen
sind Minder-Einnahmen oder Mehr-Einnahmen, oder
Minder-Ausgaben oder Mehr-Ausgaben. Die letzteren, welche
praktisch namentlich von Bedeutung sind, heißen Etats-Ueber-

1) Vgl. auch Schulze in Grünhut's Zeitschrift II. S. 191 ff. und Lehr-
buch I. S. 590 und G. Meyer in Grünhut's Zeitschr. VIII. S. 46 ff.
2) v. Martitz Betrachtungen etc. S. 99 sagt: "Gesetze gibt man, um sie
auszuführen. Ein finanzieller Voranschlag läßt sich überhaupt nicht ausführen.
Die Ausgaben und Einnahmen kommen ja in Wirklichkeit immer anders zu
stehen als auf dem Papier". v. Martitz, Ueber den constitut. Begriff etc.
S. 66 sagt: "Das Finanzgesetz (soll bedeuten Etatsgesetz) ist ein gesetzgeberischer
Akt, durch welchen die Finanzverwaltung gesetzlich gebunden wird". Beide
Behauptungen sind halb richtig und halb Uebertreibungen in entgegengesetzter
Richtung.
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§. 124. Die Wirkungen des Etatsgeſetzes.
geleiſteten Ausgaben in den erhobenen Einnahmen ausreichende
Deckung finden, ſondern ſie muß darlegen, daß ſie die Verwaltung
dem ihr vorgeſchriebenen Programm gemäß geführt habe, und ſie
muß alle Abweichungen davon, auch Mehreinnahmen und Minder-
ausgaben, unter Angabe der Gründe nachweiſen.

II. Niemals aber kann der Etat in dem Sinne feſtgeſtellt
werden, daß Abweichungen von ihm überhaupt nicht vorkommen
dürften 1). Da er ſich auf die Zukunft bezieht, ſo kann ſeine Feſt-
ſtellung nur mit demjenigen Grade der Sicherheit erfolgen, mit
welchem man die Zukunft vorher ſehen und vorher beſtimmen kann.
Gerade in finanzieller Hinſicht iſt ſeine bindende Kraft am geringſten,
da die Höhe der Ausgaben und Einnahmen zum großen Theil von
thatſächlichen Verhältniſſen bedingt iſt, die theils nicht vom freien
Willen abhängen, theils nicht mit Sicherheit vorher erkannt werden
können 2). Aber auch die materiellen Gründe und Zwecke der
Ausgaben laſſen ſich nicht mit abſoluter Sicherheit vorher fixiren.
Der Etat ſoll keine Schablone ſein, in welche die Verwaltung
durchaus gepreßt werden muß, ſondern eben nur ein der Verwal-
tung vorgezeichnetes Programm. Endlich normirt der Etat die
Finanzwirthſchaft für ein Jahr, während die faktiſche Erhebung
von Einnahmen und Leiſtung von Ausgaben ſich an dieſe Friſt
nicht binden läßt. Es ergibt ſich demnach, daß Abweichungen
von demſelben vorkommen können, von rein finanzieller oder quan-
titaver Natur, ferner von materieller oder qualitativer Art, endlich
in temporärer Beziehung.

1. Die finanziellen oder quantitativen Abwei-
chungen
ſind Minder-Einnahmen oder Mehr-Einnahmen, oder
Minder-Ausgaben oder Mehr-Ausgaben. Die letzteren, welche
praktiſch namentlich von Bedeutung ſind, heißen Etats-Ueber-

1) Vgl. auch Schulze in Grünhut’s Zeitſchrift II. S. 191 ff. und Lehr-
buch I. S. 590 und G. Meyer in Grünhut’s Zeitſchr. VIII. S. 46 ff.
2) v. Martitz Betrachtungen ꝛc. S. 99 ſagt: „Geſetze gibt man, um ſie
auszuführen. Ein finanzieller Voranſchlag läßt ſich überhaupt nicht ausführen.
Die Ausgaben und Einnahmen kommen ja in Wirklichkeit immer anders zu
ſtehen als auf dem Papier“. v. Martitz, Ueber den conſtitut. Begriff ꝛc.
S. 66 ſagt: „Das Finanzgeſetz (ſoll bedeuten Etatsgeſetz) iſt ein geſetzgeberiſcher
Akt, durch welchen die Finanzverwaltung geſetzlich gebunden wird“. Beide
Behauptungen ſind halb richtig und halb Uebertreibungen in entgegengeſetzter
Richtung.
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[355/0365] §. 124. Die Wirkungen des Etatsgeſetzes. geleiſteten Ausgaben in den erhobenen Einnahmen ausreichende Deckung finden, ſondern ſie muß darlegen, daß ſie die Verwaltung dem ihr vorgeſchriebenen Programm gemäß geführt habe, und ſie muß alle Abweichungen davon, auch Mehreinnahmen und Minder- ausgaben, unter Angabe der Gründe nachweiſen. II. Niemals aber kann der Etat in dem Sinne feſtgeſtellt werden, daß Abweichungen von ihm überhaupt nicht vorkommen dürften 1). Da er ſich auf die Zukunft bezieht, ſo kann ſeine Feſt- ſtellung nur mit demjenigen Grade der Sicherheit erfolgen, mit welchem man die Zukunft vorher ſehen und vorher beſtimmen kann. Gerade in finanzieller Hinſicht iſt ſeine bindende Kraft am geringſten, da die Höhe der Ausgaben und Einnahmen zum großen Theil von thatſächlichen Verhältniſſen bedingt iſt, die theils nicht vom freien Willen abhängen, theils nicht mit Sicherheit vorher erkannt werden können 2). Aber auch die materiellen Gründe und Zwecke der Ausgaben laſſen ſich nicht mit abſoluter Sicherheit vorher fixiren. Der Etat ſoll keine Schablone ſein, in welche die Verwaltung durchaus gepreßt werden muß, ſondern eben nur ein der Verwal- tung vorgezeichnetes Programm. Endlich normirt der Etat die Finanzwirthſchaft für ein Jahr, während die faktiſche Erhebung von Einnahmen und Leiſtung von Ausgaben ſich an dieſe Friſt nicht binden läßt. Es ergibt ſich demnach, daß Abweichungen von demſelben vorkommen können, von rein finanzieller oder quan- titaver Natur, ferner von materieller oder qualitativer Art, endlich in temporärer Beziehung. 1. Die finanziellen oder quantitativen Abwei- chungen ſind Minder-Einnahmen oder Mehr-Einnahmen, oder Minder-Ausgaben oder Mehr-Ausgaben. Die letzteren, welche praktiſch namentlich von Bedeutung ſind, heißen Etats-Ueber- 1) Vgl. auch Schulze in Grünhut’s Zeitſchrift II. S. 191 ff. und Lehr- buch I. S. 590 und G. Meyer in Grünhut’s Zeitſchr. VIII. S. 46 ff. 2) v. Martitz Betrachtungen ꝛc. S. 99 ſagt: „Geſetze gibt man, um ſie auszuführen. Ein finanzieller Voranſchlag läßt ſich überhaupt nicht ausführen. Die Ausgaben und Einnahmen kommen ja in Wirklichkeit immer anders zu ſtehen als auf dem Papier“. v. Martitz, Ueber den conſtitut. Begriff ꝛc. S. 66 ſagt: „Das Finanzgeſetz (ſoll bedeuten Etatsgeſetz) iſt ein geſetzgeberiſcher Akt, durch welchen die Finanzverwaltung geſetzlich gebunden wird“. Beide Behauptungen ſind halb richtig und halb Uebertreibungen in entgegengeſetzter Richtung. 23*

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0302_1882/365>, abgerufen am 21.11.2024.