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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882.

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§. 100. Die Verpflichtung zur Rechtshülfe.
lichen Rechtsstreitigkeiten und Strafsachen, welche nicht zur ordent-
lichen streitigen Gerichtsbarkeit gehören, reichsgesetzlich anerkannt
und zwar darf die Rechtshülfe von dem ersuchten Gericht auch
dann nicht verweigert werden, wenn es die Zuständigkeit des er-
suchenden Gerichts nicht für begründet hält 1).

Es ist aber reichsgesetzlich keine Sicherheit dafür gegeben, daß
die besonderen Gerichte der einzelnen Staaten nach übereinstim-
menden Grundsätzen organisirt sind und daß sie nach gleichmäßigen
Prozeßordnungen verfahren; es besteht hinsichtlich derselben also
im Wesentlichen noch derselbe Zustand, wie er vor Einführung des
Gerichtsverfassungsgesetzes für die Gerichte überhaupt bestanden
hat. Deshalb sind die im Rechtshülfegesetz gegebenen Vorschriften
über die Voraussetzungen und die Art der Rechtshülfeleistung für
die zur ordentlichen Gerichtsbarkeit nicht gehörigen Rechtssachen in
Geltung verblieben.

Für die Konsulargerichtsbarkeit des Reiches sind jedoch die
Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Rechtshülfe
(Tit. 13) für anwendbar erklärt worden 2).

2. Ueber die Zulässigkeit der zu leistenden Rechtshülfe und
über die Rechtmäßigkeit der Verweigerung wird ausschließlich von
den Gerichten des Staates, welchem das ersuchte Gericht ange-
hört, im geordneten Instanzenzuge entschieden 3). Die Regeln der
§§. 159 und 160 des Gerichtsverf.Gesetzes finden keine analoge
Anwendung; insbesondere ist die Kompetenz des Reichsgerichts
zur Entscheidung über Beschwerden wegen verweigerter Rechtshülfe
nicht begründet, wenn sie demselben nicht nach Maßgabe der Vor-
schrift in §. 3 Abs. 2 des Einführungs-Gesetzes zum Gerichtsverf.
Gesetze besonders übertragen worden ist 4).

3. Ein wesentlicher Unterschied besteht zwischen den Anord-
nungen des Gerichtsverfassungs-Gesetzes und denjenigen des Rechts-
hülfe-Gesetzes hinsichtlich der Strafvollstreckung. Während die von
den ordentlichen Gerichten erkannten Freiheitsstrafen von nicht län-
gerer als sechswöchentlicher Dauer unbedingt von demjenigen Bun-
desstaat zu vollstrecken sind, in dessen Gebiet der Verurtheilte sich

1) Rechtshülfe-Ges. v. 21. Juni 1869 §. 1.
2) Konsulargerichtsbarkeitsges. §. 13.
3) Rechtshülfe-Ges. §. 38.
4) Siehe oben §. 99 S. 59 ff.

§. 100. Die Verpflichtung zur Rechtshülfe.
lichen Rechtsſtreitigkeiten und Strafſachen, welche nicht zur ordent-
lichen ſtreitigen Gerichtsbarkeit gehören, reichsgeſetzlich anerkannt
und zwar darf die Rechtshülfe von dem erſuchten Gericht auch
dann nicht verweigert werden, wenn es die Zuſtändigkeit des er-
ſuchenden Gerichts nicht für begründet hält 1).

Es iſt aber reichsgeſetzlich keine Sicherheit dafür gegeben, daß
die beſonderen Gerichte der einzelnen Staaten nach übereinſtim-
menden Grundſätzen organiſirt ſind und daß ſie nach gleichmäßigen
Prozeßordnungen verfahren; es beſteht hinſichtlich derſelben alſo
im Weſentlichen noch derſelbe Zuſtand, wie er vor Einführung des
Gerichtsverfaſſungsgeſetzes für die Gerichte überhaupt beſtanden
hat. Deshalb ſind die im Rechtshülfegeſetz gegebenen Vorſchriften
über die Vorausſetzungen und die Art der Rechtshülfeleiſtung für
die zur ordentlichen Gerichtsbarkeit nicht gehörigen Rechtsſachen in
Geltung verblieben.

Für die Konſulargerichtsbarkeit des Reiches ſind jedoch die
Vorſchriften des Gerichtsverfaſſungsgeſetzes über die Rechtshülfe
(Tit. 13) für anwendbar erklärt worden 2).

2. Ueber die Zuläſſigkeit der zu leiſtenden Rechtshülfe und
über die Rechtmäßigkeit der Verweigerung wird ausſchließlich von
den Gerichten des Staates, welchem das erſuchte Gericht ange-
hört, im geordneten Inſtanzenzuge entſchieden 3). Die Regeln der
§§. 159 und 160 des Gerichtsverf.Geſetzes finden keine analoge
Anwendung; insbeſondere iſt die Kompetenz des Reichsgerichts
zur Entſcheidung über Beſchwerden wegen verweigerter Rechtshülfe
nicht begründet, wenn ſie demſelben nicht nach Maßgabe der Vor-
ſchrift in §. 3 Abſ. 2 des Einführungs-Geſetzes zum Gerichtsverf.
Geſetze beſonders übertragen worden iſt 4).

3. Ein weſentlicher Unterſchied beſteht zwiſchen den Anord-
nungen des Gerichtsverfaſſungs-Geſetzes und denjenigen des Rechts-
hülfe-Geſetzes hinſichtlich der Strafvollſtreckung. Während die von
den ordentlichen Gerichten erkannten Freiheitsſtrafen von nicht län-
gerer als ſechswöchentlicher Dauer unbedingt von demjenigen Bun-
desſtaat zu vollſtrecken ſind, in deſſen Gebiet der Verurtheilte ſich

1) Rechtshülfe-Geſ. v. 21. Juni 1869 §. 1.
2) Konſulargerichtsbarkeitsgeſ. §. 13.
3) Rechtshülfe-Geſ. §. 38.
4) Siehe oben §. 99 S. 59 ff.
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[74/0084] §. 100. Die Verpflichtung zur Rechtshülfe. lichen Rechtsſtreitigkeiten und Strafſachen, welche nicht zur ordent- lichen ſtreitigen Gerichtsbarkeit gehören, reichsgeſetzlich anerkannt und zwar darf die Rechtshülfe von dem erſuchten Gericht auch dann nicht verweigert werden, wenn es die Zuſtändigkeit des er- ſuchenden Gerichts nicht für begründet hält 1). Es iſt aber reichsgeſetzlich keine Sicherheit dafür gegeben, daß die beſonderen Gerichte der einzelnen Staaten nach übereinſtim- menden Grundſätzen organiſirt ſind und daß ſie nach gleichmäßigen Prozeßordnungen verfahren; es beſteht hinſichtlich derſelben alſo im Weſentlichen noch derſelbe Zuſtand, wie er vor Einführung des Gerichtsverfaſſungsgeſetzes für die Gerichte überhaupt beſtanden hat. Deshalb ſind die im Rechtshülfegeſetz gegebenen Vorſchriften über die Vorausſetzungen und die Art der Rechtshülfeleiſtung für die zur ordentlichen Gerichtsbarkeit nicht gehörigen Rechtsſachen in Geltung verblieben. Für die Konſulargerichtsbarkeit des Reiches ſind jedoch die Vorſchriften des Gerichtsverfaſſungsgeſetzes über die Rechtshülfe (Tit. 13) für anwendbar erklärt worden 2). 2. Ueber die Zuläſſigkeit der zu leiſtenden Rechtshülfe und über die Rechtmäßigkeit der Verweigerung wird ausſchließlich von den Gerichten des Staates, welchem das erſuchte Gericht ange- hört, im geordneten Inſtanzenzuge entſchieden 3). Die Regeln der §§. 159 und 160 des Gerichtsverf.Geſetzes finden keine analoge Anwendung; insbeſondere iſt die Kompetenz des Reichsgerichts zur Entſcheidung über Beſchwerden wegen verweigerter Rechtshülfe nicht begründet, wenn ſie demſelben nicht nach Maßgabe der Vor- ſchrift in §. 3 Abſ. 2 des Einführungs-Geſetzes zum Gerichtsverf. Geſetze beſonders übertragen worden iſt 4). 3. Ein weſentlicher Unterſchied beſteht zwiſchen den Anord- nungen des Gerichtsverfaſſungs-Geſetzes und denjenigen des Rechts- hülfe-Geſetzes hinſichtlich der Strafvollſtreckung. Während die von den ordentlichen Gerichten erkannten Freiheitsſtrafen von nicht län- gerer als ſechswöchentlicher Dauer unbedingt von demjenigen Bun- desſtaat zu vollſtrecken ſind, in deſſen Gebiet der Verurtheilte ſich 1) Rechtshülfe-Geſ. v. 21. Juni 1869 §. 1. 2) Konſulargerichtsbarkeitsgeſ. §. 13. 3) Rechtshülfe-Geſ. §. 38. 4) Siehe oben §. 99 S. 59 ff.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0302_1882/84>, abgerufen am 21.11.2024.