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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882.

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§. 101. Die Gerichte.
tuirten Organe des Staates nicht gleichmäßig und nach demselben
Grundprinzip gebildet sind, sondern daß die Zusammensetzung der
rechtsprechenden Gerichte eine andere ist in bürgerlichen Prozessen
als in Strafsachen, eine andere in großen und wichtigen Rechts-
sachen als bei Prozessen um geringere Streitgegenstände, eine
andere endlich in den verschiedenen Instanzen. Die Gegensätze,
um welche es sich hierbei handelt, bestehen hauptsächlich darin, daß
zur Entscheidung und Urtheilsfällung entweder Einzelrichter oder
Collegien berufen werden, daß die letzteren entweder aus lauter
im Staatsdienst angestellten, juristisch gebildeten berufsmäßigen
Beamten oder aus richterlichen Beamten und Laien zusammenge-
setzt werden, daß endlich die Zahl der Mitglieder der Spruch-
collegien verschieden ist. Daß diese Verschiedenheiten der Structur
der Gerichte zugleich tief eingreifende Verschiedenheiten des gericht-
lichen Verfahrens zur Folge haben, bedarf hier keiner näheren
Darlegung. Von diesen Gesichtspunkten aus sind auf dem Gebiete
der ordentlichen streitigen Gerichtsbarkeit folgende Kategorien von
Rechtsstreitigkeiten und ihnen entsprechend folgende Arten respective
Reihen von Gerichten zu unterscheiden.

1. Bürgerliche Rechtsstreitigkeiten.

Dieselben zerfallen in zwei Klassen, die man in Kürze als
kleine und große Rechtssachen bezeichnen kann.

a) Die kleinen Rechtssachen sind vermögensrecht-
liche Ansprüche, deren Gegenstand an Geld oder
Geldeswerth die Summe von
300 Mark nicht über-
steigt
1), mit Ausnahme der in §. 70 Abs. 2 des Gerichtsver-
fassungsgesetzes aufgeführten Ansprüche; ferner ohne Rücksicht auf
den Werth des Streitgegenstandes die in §. 23 Ziff. 2 des Ge-
richtsverfassungs-Gesetzes aufgeführten Streitigkeiten; endlich die
Konkurse 2).

Für diese Rechtssachen sind zuständig in erster Instanz die
Amtsrichter, das sind zum Richteramt befähigte, berufsmäßig

dieser Lehre, welche ihren Platz nur in Werken über das Prozeßrecht finden
kann; sondern nur um die Hervorhebung derjenigen Grundprinzipien, ohne
deren Kenntniß auch die organisatorische Seite der Gerichtsordnung nicht ver-
ständlich ist.
1) Gerichtsverf.Ges. §. 23 Ziff. 1.
2) Konkurs-Ordn. §§. 64. 202. 208 Abs. 3.

§. 101. Die Gerichte.
tuirten Organe des Staates nicht gleichmäßig und nach demſelben
Grundprinzip gebildet ſind, ſondern daß die Zuſammenſetzung der
rechtſprechenden Gerichte eine andere iſt in bürgerlichen Prozeſſen
als in Strafſachen, eine andere in großen und wichtigen Rechts-
ſachen als bei Prozeſſen um geringere Streitgegenſtände, eine
andere endlich in den verſchiedenen Inſtanzen. Die Gegenſätze,
um welche es ſich hierbei handelt, beſtehen hauptſächlich darin, daß
zur Entſcheidung und Urtheilsfällung entweder Einzelrichter oder
Collegien berufen werden, daß die letzteren entweder aus lauter
im Staatsdienſt angeſtellten, juriſtiſch gebildeten berufsmäßigen
Beamten oder aus richterlichen Beamten und Laien zuſammenge-
ſetzt werden, daß endlich die Zahl der Mitglieder der Spruch-
collegien verſchieden iſt. Daß dieſe Verſchiedenheiten der Structur
der Gerichte zugleich tief eingreifende Verſchiedenheiten des gericht-
lichen Verfahrens zur Folge haben, bedarf hier keiner näheren
Darlegung. Von dieſen Geſichtspunkten aus ſind auf dem Gebiete
der ordentlichen ſtreitigen Gerichtsbarkeit folgende Kategorien von
Rechtsſtreitigkeiten und ihnen entſprechend folgende Arten reſpective
Reihen von Gerichten zu unterſcheiden.

1. Bürgerliche Rechtsſtreitigkeiten.

Dieſelben zerfallen in zwei Klaſſen, die man in Kürze als
kleine und große Rechtsſachen bezeichnen kann.

a) Die kleinen Rechtsſachen ſind vermögensrecht-
liche Anſprüche, deren Gegenſtand an Geld oder
Geldeswerth die Summe von
300 Mark nicht über-
ſteigt
1), mit Ausnahme der in §. 70 Abſ. 2 des Gerichtsver-
faſſungsgeſetzes aufgeführten Anſprüche; ferner ohne Rückſicht auf
den Werth des Streitgegenſtandes die in §. 23 Ziff. 2 des Ge-
richtsverfaſſungs-Geſetzes aufgeführten Streitigkeiten; endlich die
Konkurſe 2).

Für dieſe Rechtsſachen ſind zuſtändig in erſter Inſtanz die
Amtsrichter, das ſind zum Richteramt befähigte, berufsmäßig

dieſer Lehre, welche ihren Platz nur in Werken über das Prozeßrecht finden
kann; ſondern nur um die Hervorhebung derjenigen Grundprinzipien, ohne
deren Kenntniß auch die organiſatoriſche Seite der Gerichtsordnung nicht ver-
ſtändlich iſt.
1) Gerichtsverf.Geſ. §. 23 Ziff. 1.
2) Konkurs-Ordn. §§. 64. 202. 208 Abſ. 3.
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[77/0087] §. 101. Die Gerichte. tuirten Organe des Staates nicht gleichmäßig und nach demſelben Grundprinzip gebildet ſind, ſondern daß die Zuſammenſetzung der rechtſprechenden Gerichte eine andere iſt in bürgerlichen Prozeſſen als in Strafſachen, eine andere in großen und wichtigen Rechts- ſachen als bei Prozeſſen um geringere Streitgegenſtände, eine andere endlich in den verſchiedenen Inſtanzen. Die Gegenſätze, um welche es ſich hierbei handelt, beſtehen hauptſächlich darin, daß zur Entſcheidung und Urtheilsfällung entweder Einzelrichter oder Collegien berufen werden, daß die letzteren entweder aus lauter im Staatsdienſt angeſtellten, juriſtiſch gebildeten berufsmäßigen Beamten oder aus richterlichen Beamten und Laien zuſammenge- ſetzt werden, daß endlich die Zahl der Mitglieder der Spruch- collegien verſchieden iſt. Daß dieſe Verſchiedenheiten der Structur der Gerichte zugleich tief eingreifende Verſchiedenheiten des gericht- lichen Verfahrens zur Folge haben, bedarf hier keiner näheren Darlegung. Von dieſen Geſichtspunkten aus ſind auf dem Gebiete der ordentlichen ſtreitigen Gerichtsbarkeit folgende Kategorien von Rechtsſtreitigkeiten und ihnen entſprechend folgende Arten reſpective Reihen von Gerichten zu unterſcheiden. 1. Bürgerliche Rechtsſtreitigkeiten. Dieſelben zerfallen in zwei Klaſſen, die man in Kürze als kleine und große Rechtsſachen bezeichnen kann. a) Die kleinen Rechtsſachen ſind vermögensrecht- liche Anſprüche, deren Gegenſtand an Geld oder Geldeswerth die Summe von 300 Mark nicht über- ſteigt 1), mit Ausnahme der in §. 70 Abſ. 2 des Gerichtsver- faſſungsgeſetzes aufgeführten Anſprüche; ferner ohne Rückſicht auf den Werth des Streitgegenſtandes die in §. 23 Ziff. 2 des Ge- richtsverfaſſungs-Geſetzes aufgeführten Streitigkeiten; endlich die Konkurſe 2). Für dieſe Rechtsſachen ſind zuſtändig in erſter Inſtanz die Amtsrichter, das ſind zum Richteramt befähigte, berufsmäßig *) 1) Gerichtsverf.Geſ. §. 23 Ziff. 1. 2) Konkurs-Ordn. §§. 64. 202. 208 Abſ. 3. *) dieſer Lehre, welche ihren Platz nur in Werken über das Prozeßrecht finden kann; ſondern nur um die Hervorhebung derjenigen Grundprinzipien, ohne deren Kenntniß auch die organiſatoriſche Seite der Gerichtsordnung nicht ver- ſtändlich iſt.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0302_1882/87>, abgerufen am 24.11.2024.