Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lachmann, Karl: Über die ursprüngliche Gestalt des Gedichts von der Nibelungen Noth. Berlin, 1816.

Bild:
<< vorherige Seite

In der sehr ausgeführten Erzählung von Siegfrieds
und Kriemhildens Empfang zu Worms, die wieder manche
Hindeutungen auf die Zukunft enthält, ist gewiß sehr vie-
les von dem Ordner, zum Beispiel (Z. 3197 -- 3200) die
besondere Erwähnung Hagens und Ortwins bei dem
Kampfspiele, aus einer früheren kürzeren Stelle (Z. 1240)
entlehnt, und der Marschall Dankwart, der (Z. 3213 --
3216) des Gesindes pflegt.

Noch weit mehr ausgebildet, in einer breiten und
edeln Manier gearbeitet, ist der nächste Abschnitt (Z. 3269
-- 3464) von der Königinnen Zank. Ganz verschieden da-
von zeigt sich der folgende, worin Günther und die Übri-
gen Siegfried den Tod schwören. Er fängt mit der allge-
meinen Sentenz an:
Mit rede wart gescheiden manic schöne wip,
(Z. 3465) und endigt:
Von zweier frowen bagen wart vil manic helt ver-
lorn.

Die ganze Erzählung aber ist sehr wenig ausgeführt, mangel-
haft, trocken und durchaus nicht mit Liebe noch nach frischle-
bendiger Sage gedichtet, so daß vermuthlich alles sammt dem
inneren Reime, Z. 3469 f., dem Ordner gehört 71). Über-
all gibt sich der Dichter Mühe, jeden einzelnen etwas re-
den zu lassen, wobei besonders Gernot in ein übeles zwei-
deutiges Licht gestellt wird.

Sehr vortheilhaft zeichnet sich dagegen die Erzählung
(Z. 3521 -- 3676) aus, wie Kriemhild Hagen entdeckte, an
welcher Stelle Siegfried verwundbar sei. Das Lied un-
terscheidet sich von einigen anderen dadurch, daß es Sieg-

fried

In der ſehr ausgeführten Erzählung von Siegfrieds
und Kriemhildens Empfang zu Worms, die wieder manche
Hindeutungen auf die Zukunft enthält, iſt gewiß ſehr vie-
les von dem Ordner, zum Beiſpiel (Z. 3197 — 3200) die
beſondere Erwähnung Hagens und Ortwins bei dem
Kampfſpiele, aus einer früheren kürzeren Stelle (Z. 1240)
entlehnt, und der Marſchall Dankwart, der (Z. 3213 —
3216) des Geſindes pflegt.

Noch weit mehr ausgebildet, in einer breiten und
edeln Manier gearbeitet, iſt der nächſte Abſchnitt (Z. 3269
— 3464) von der Königinnen Zank. Ganz verſchieden da-
von zeigt ſich der folgende, worin Günther und die Übri-
gen Siegfried den Tod ſchwören. Er fängt mit der allge-
meinen Sentenz an:
Mit rede wart geſcheiden manic ſchöne wip,
(Z. 3465) und endigt:
Von zweier frowen bagen wart vil manic helt ver-
lorn.

Die ganze Erzählung aber iſt ſehr wenig ausgeführt, mangel-
haft, trocken und durchaus nicht mit Liebe noch nach friſchle-
bendiger Sage gedichtet, ſo daß vermuthlich alles ſammt dem
inneren Reime, Z. 3469 f., dem Ordner gehört 71). Über-
all gibt ſich der Dichter Mühe, jeden einzelnen etwas re-
den zu laſſen, wobei beſonders Gernot in ein übeles zwei-
deutiges Licht geſtellt wird.

Sehr vortheilhaft zeichnet ſich dagegen die Erzählung
(Z. 3521 — 3676) aus, wie Kriemhild Hagen entdeckte, an
welcher Stelle Siegfried verwundbar ſei. Das Lied un-
terſcheidet ſich von einigen anderen dadurch, daß es Sieg-

fried
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0088" n="80"/>
        <p>In der &#x017F;ehr ausgeführten Erzählung von Siegfrieds<lb/>
und Kriemhildens Empfang zu Worms, die wieder manche<lb/>
Hindeutungen auf die Zukunft enthält, i&#x017F;t gewiß &#x017F;ehr vie-<lb/>
les von dem Ordner, zum Bei&#x017F;piel (Z. 3197 &#x2014; 3200) die<lb/>
be&#x017F;ondere Erwähnung Hagens und Ortwins bei dem<lb/>
Kampf&#x017F;piele, aus einer früheren kürzeren Stelle (Z. 1240)<lb/>
entlehnt, und der Mar&#x017F;chall Dankwart, der (Z. 3213 &#x2014;<lb/>
3216) des Ge&#x017F;indes pflegt.</p><lb/>
        <p>Noch weit mehr ausgebildet, in einer breiten und<lb/>
edeln Manier gearbeitet, i&#x017F;t der näch&#x017F;te Ab&#x017F;chnitt (Z. 3269<lb/>
&#x2014; 3464) von der Königinnen Zank. Ganz ver&#x017F;chieden da-<lb/>
von zeigt &#x017F;ich der folgende, worin Günther und die Übri-<lb/>
gen Siegfried den Tod &#x017F;chwören. Er fängt mit der allge-<lb/>
meinen Sentenz an:<lb/><quote rendition="#et" xml:lang="gmh">Mit rede wart ge&#x017F;cheiden manic &#x017F;chöne wip,</quote><lb/>
(Z. 3465) und endigt:<lb/><quote rendition="#et" xml:lang="gmh">Von zweier frowen bagen wart vil manic helt ver-<lb/><hi rendition="#et2">lorn.</hi></quote><lb/>
Die ganze Erzählung aber i&#x017F;t &#x017F;ehr wenig ausgeführt, mangel-<lb/>
haft, trocken und durchaus nicht mit Liebe noch nach fri&#x017F;chle-<lb/>
bendiger Sage gedichtet, &#x017F;o daß vermuthlich alles &#x017F;ammt dem<lb/>
inneren Reime, Z. 3469 f., dem Ordner gehört <note xml:id="en71" next="#en71-text" place="end" n="71)"/>. Über-<lb/>
all gibt &#x017F;ich der Dichter Mühe, jeden einzelnen etwas re-<lb/>
den zu la&#x017F;&#x017F;en, wobei be&#x017F;onders Gernot in ein übeles zwei-<lb/>
deutiges Licht ge&#x017F;tellt wird.</p><lb/>
        <p>Sehr vortheilhaft zeichnet &#x017F;ich dagegen die Erzählung<lb/>
(Z. 3521 &#x2014; 3676) aus, wie Kriemhild Hagen entdeckte, an<lb/>
welcher Stelle Siegfried verwundbar &#x017F;ei. Das Lied un-<lb/>
ter&#x017F;cheidet &#x017F;ich von einigen anderen dadurch, daß es Sieg-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">fried</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[80/0088] In der ſehr ausgeführten Erzählung von Siegfrieds und Kriemhildens Empfang zu Worms, die wieder manche Hindeutungen auf die Zukunft enthält, iſt gewiß ſehr vie- les von dem Ordner, zum Beiſpiel (Z. 3197 — 3200) die beſondere Erwähnung Hagens und Ortwins bei dem Kampfſpiele, aus einer früheren kürzeren Stelle (Z. 1240) entlehnt, und der Marſchall Dankwart, der (Z. 3213 — 3216) des Geſindes pflegt. Noch weit mehr ausgebildet, in einer breiten und edeln Manier gearbeitet, iſt der nächſte Abſchnitt (Z. 3269 — 3464) von der Königinnen Zank. Ganz verſchieden da- von zeigt ſich der folgende, worin Günther und die Übri- gen Siegfried den Tod ſchwören. Er fängt mit der allge- meinen Sentenz an: Mit rede wart geſcheiden manic ſchöne wip, (Z. 3465) und endigt: Von zweier frowen bagen wart vil manic helt ver- lorn. Die ganze Erzählung aber iſt ſehr wenig ausgeführt, mangel- haft, trocken und durchaus nicht mit Liebe noch nach friſchle- bendiger Sage gedichtet, ſo daß vermuthlich alles ſammt dem inneren Reime, Z. 3469 f., dem Ordner gehört ⁷¹⁾ . Über- all gibt ſich der Dichter Mühe, jeden einzelnen etwas re- den zu laſſen, wobei beſonders Gernot in ein übeles zwei- deutiges Licht geſtellt wird. Sehr vortheilhaft zeichnet ſich dagegen die Erzählung (Z. 3521 — 3676) aus, wie Kriemhild Hagen entdeckte, an welcher Stelle Siegfried verwundbar ſei. Das Lied un- terſcheidet ſich von einigen anderen dadurch, daß es Sieg- fried

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lachmann_nibelungen_1816
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lachmann_nibelungen_1816/88
Zitationshilfe: Lachmann, Karl: Über die ursprüngliche Gestalt des Gedichts von der Nibelungen Noth. Berlin, 1816, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lachmann_nibelungen_1816/88>, abgerufen am 22.12.2024.