Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 1. Riga, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite

X. Hauptstück. Das Wahr seyn
ordentlich und zusammenhängend auf einander erfolgt,
so hat man in dieser durchgängigen Ordnung das We-
sentliche der metaphysischen Wahrheit gesucht, und
diese durch die Ordnung in den Dingen definirt. Sie
wird aber dadurch von der logischen Wahrheit noch
nicht unterschieden, weil letztere ebenfalls eine com-
plete Harmonie (Alethiol. §. 185.), Gedenkbarkeit
(Alethiol. §. 204.) und durchgängigen Grund und Zu-
sammenhang (§. 234. 254. Alethiol.) hat. Was wir
wachend sehen, empfinden, gedenken und vorstellen,
läßt sich mit allem seinem Zusammenhange als ge-
denkbar ansehen, wenn auch nichts von demselben
existirte. Demnach macht dieser Zusammenhang den
Beweis, daß es existiren könne, noch nicht vollstän-
dig, ungeachtet allerdings ohne einen solchen Zusam-
menhang die Existenz, oder das existiren können,
nicht angeht. Man sieht leicht, daß noch das So-
lide
und die Kräfte hinzugenommen werden müssen,
und besonders auch die oben (§. 298.) gemachte An-
merkung, daß die Existenz nicht ein Prädicat
ohne Subject seyn könne,
den wesentlichsten Grund
zu dem Beweise angebe, daß das, was existirt,
oder soll existiren können, ein wahres Etwas
seyn müsse,
und so auch, daß ein wahres Etwas
wirklich existire,
weil, wenn nichts existirt, schlecht-
hin nichts existiren kann, und daher die Existenz ein
Prädicat ohne Subject bleibt.

§. 305.

An sich betrachtet ist die metaphysische Wahrheit,
so wie die logische ein einfacher Begriff, welcher sich
folglich, da er nicht mehrere innere Merkmale hat,
höchstens nur durch Verhältnisse zu andern Begriffen
definiren oder kenntlich machen läßt. Dieses haben

wir

X. Hauptſtuͤck. Das Wahr ſeyn
ordentlich und zuſammenhaͤngend auf einander erfolgt,
ſo hat man in dieſer durchgaͤngigen Ordnung das We-
ſentliche der metaphyſiſchen Wahrheit geſucht, und
dieſe durch die Ordnung in den Dingen definirt. Sie
wird aber dadurch von der logiſchen Wahrheit noch
nicht unterſchieden, weil letztere ebenfalls eine com-
plete Harmonie (Alethiol. §. 185.), Gedenkbarkeit
(Alethiol. §. 204.) und durchgaͤngigen Grund und Zu-
ſammenhang (§. 234. 254. Alethiol.) hat. Was wir
wachend ſehen, empfinden, gedenken und vorſtellen,
laͤßt ſich mit allem ſeinem Zuſammenhange als ge-
denkbar anſehen, wenn auch nichts von demſelben
exiſtirte. Demnach macht dieſer Zuſammenhang den
Beweis, daß es exiſtiren koͤnne, noch nicht vollſtaͤn-
dig, ungeachtet allerdings ohne einen ſolchen Zuſam-
menhang die Exiſtenz, oder das exiſtiren koͤnnen,
nicht angeht. Man ſieht leicht, daß noch das So-
lide
und die Kraͤfte hinzugenommen werden muͤſſen,
und beſonders auch die oben (§. 298.) gemachte An-
merkung, daß die Exiſtenz nicht ein Praͤdicat
ohne Subject ſeyn koͤnne,
den weſentlichſten Grund
zu dem Beweiſe angebe, daß das, was exiſtirt,
oder ſoll exiſtiren koͤnnen, ein wahres Etwas
ſeyn muͤſſe,
und ſo auch, daß ein wahres Etwas
wirklich exiſtire,
weil, wenn nichts exiſtirt, ſchlecht-
hin nichts exiſtiren kann, und daher die Exiſtenz ein
Praͤdicat ohne Subject bleibt.

§. 305.

An ſich betrachtet iſt die metaphyſiſche Wahrheit,
ſo wie die logiſche ein einfacher Begriff, welcher ſich
folglich, da er nicht mehrere innere Merkmale hat,
hoͤchſtens nur durch Verhaͤltniſſe zu andern Begriffen
definiren oder kenntlich machen laͤßt. Dieſes haben

wir
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0332" n="296"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">X.</hi> Haupt&#x017F;tu&#x0364;ck. Das Wahr &#x017F;eyn</hi></fw><lb/>
ordentlich und zu&#x017F;ammenha&#x0364;ngend auf einander erfolgt,<lb/>
&#x017F;o hat man in die&#x017F;er durchga&#x0364;ngigen Ordnung das We-<lb/>
&#x017F;entliche der metaphy&#x017F;i&#x017F;chen Wahrheit ge&#x017F;ucht, und<lb/>
die&#x017F;e durch die Ordnung in den Dingen definirt. Sie<lb/>
wird aber dadurch von der logi&#x017F;chen Wahrheit noch<lb/>
nicht unter&#x017F;chieden, weil letztere ebenfalls eine com-<lb/>
plete Harmonie (Alethiol. §. 185.), Gedenkbarkeit<lb/>
(Alethiol. §. 204.) und durchga&#x0364;ngigen Grund und Zu-<lb/>
&#x017F;ammenhang (§. 234. 254. Alethiol.) hat. Was wir<lb/>
wachend &#x017F;ehen, empfinden, gedenken und vor&#x017F;tellen,<lb/>
la&#x0364;ßt &#x017F;ich mit allem &#x017F;einem Zu&#x017F;ammenhange als ge-<lb/>
denkbar an&#x017F;ehen, wenn auch nichts von dem&#x017F;elben<lb/>
exi&#x017F;tirte. Demnach macht die&#x017F;er Zu&#x017F;ammenhang den<lb/>
Beweis, daß es exi&#x017F;tiren ko&#x0364;nne, noch nicht voll&#x017F;ta&#x0364;n-<lb/>
dig, ungeachtet allerdings ohne einen &#x017F;olchen Zu&#x017F;am-<lb/>
menhang die Exi&#x017F;tenz, oder das exi&#x017F;tiren ko&#x0364;nnen,<lb/>
nicht angeht. Man &#x017F;ieht leicht, daß noch das <hi rendition="#fr">So-<lb/>
lide</hi> und die <hi rendition="#fr">Kra&#x0364;fte</hi> hinzugenommen werden mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
und be&#x017F;onders auch die oben (§. 298.) gemachte An-<lb/>
merkung, <hi rendition="#fr">daß die Exi&#x017F;tenz nicht ein Pra&#x0364;dicat<lb/>
ohne Subject &#x017F;eyn ko&#x0364;nne,</hi> den we&#x017F;entlich&#x017F;ten Grund<lb/>
zu dem Bewei&#x017F;e angebe, <hi rendition="#fr">daß das, was exi&#x017F;tirt,<lb/>
oder &#x017F;oll exi&#x017F;tiren ko&#x0364;nnen, ein wahres Etwas<lb/>
&#x017F;eyn mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e,</hi> und &#x017F;o auch, <hi rendition="#fr">daß ein wahres Etwas<lb/>
wirklich exi&#x017F;tire,</hi> weil, wenn nichts exi&#x017F;tirt, &#x017F;chlecht-<lb/>
hin nichts exi&#x017F;tiren kann, und daher die Exi&#x017F;tenz ein<lb/>
Pra&#x0364;dicat ohne Subject bleibt.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 305.</head><lb/>
            <p>An &#x017F;ich betrachtet i&#x017F;t die metaphy&#x017F;i&#x017F;che Wahrheit,<lb/>
&#x017F;o wie die logi&#x017F;che ein einfacher Begriff, welcher &#x017F;ich<lb/>
folglich, da er nicht mehrere innere Merkmale hat,<lb/>
ho&#x0364;ch&#x017F;tens nur durch Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e zu andern Begriffen<lb/>
definiren oder kenntlich machen la&#x0364;ßt. Die&#x017F;es haben<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">wir</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[296/0332] X. Hauptſtuͤck. Das Wahr ſeyn ordentlich und zuſammenhaͤngend auf einander erfolgt, ſo hat man in dieſer durchgaͤngigen Ordnung das We- ſentliche der metaphyſiſchen Wahrheit geſucht, und dieſe durch die Ordnung in den Dingen definirt. Sie wird aber dadurch von der logiſchen Wahrheit noch nicht unterſchieden, weil letztere ebenfalls eine com- plete Harmonie (Alethiol. §. 185.), Gedenkbarkeit (Alethiol. §. 204.) und durchgaͤngigen Grund und Zu- ſammenhang (§. 234. 254. Alethiol.) hat. Was wir wachend ſehen, empfinden, gedenken und vorſtellen, laͤßt ſich mit allem ſeinem Zuſammenhange als ge- denkbar anſehen, wenn auch nichts von demſelben exiſtirte. Demnach macht dieſer Zuſammenhang den Beweis, daß es exiſtiren koͤnne, noch nicht vollſtaͤn- dig, ungeachtet allerdings ohne einen ſolchen Zuſam- menhang die Exiſtenz, oder das exiſtiren koͤnnen, nicht angeht. Man ſieht leicht, daß noch das So- lide und die Kraͤfte hinzugenommen werden muͤſſen, und beſonders auch die oben (§. 298.) gemachte An- merkung, daß die Exiſtenz nicht ein Praͤdicat ohne Subject ſeyn koͤnne, den weſentlichſten Grund zu dem Beweiſe angebe, daß das, was exiſtirt, oder ſoll exiſtiren koͤnnen, ein wahres Etwas ſeyn muͤſſe, und ſo auch, daß ein wahres Etwas wirklich exiſtire, weil, wenn nichts exiſtirt, ſchlecht- hin nichts exiſtiren kann, und daher die Exiſtenz ein Praͤdicat ohne Subject bleibt. §. 305. An ſich betrachtet iſt die metaphyſiſche Wahrheit, ſo wie die logiſche ein einfacher Begriff, welcher ſich folglich, da er nicht mehrere innere Merkmale hat, hoͤchſtens nur durch Verhaͤltniſſe zu andern Begriffen definiren oder kenntlich machen laͤßt. Dieſes haben wir

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic01_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic01_1771/332
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 1. Riga, 1771, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic01_1771/332>, abgerufen am 24.11.2024.