deren verschiedene Arten und Stufen schlechthin von den besondern Modificationen der Kräfte abhängt, womit die Theilchen verbunden sind. Die meisten Versuche zeigen, daß jede Kraft einen Wirkungs- kreis hat, in welchem sie gleichsam im Ruhestande ist, und daß die Vergrößerung und die Verkleine- rung dieses Wirkungskreises das Gleichgewicht auf- hebt, und die Kraft zur Wiederherstellung desselben ihre Wirkung äußert.
§. 545.
Da wir den Begriff der Kräfte, sowohl des Den- kens als des Wollens und des Wirkens, nur aus den Wirkungen derselben haben, so fällt es auch schwe- rer, die Art, wie sie wirken, sich vorzustellen, wenn man es nicht bey dem bloß symbolischen, welches al- lerdings über unsere Sinnen und Einbildungskraft hinaus reichen kann, will bewenden lassen. Man ist, vermuthlich wegen dieser Schwierigkeit, auf den Einfall gekommen, die Wirkung der Kräfte bloß ideal zu machen, und den physischen Einfluß dersel- ben in eine bloße Harmonie zu verwandeln. Die Kraft wurde durch den zureichenden Grund definirt, warum die Accidenzen in den Substanzen sind, un- gefähr eben so, wie man die Existenz durch das Com- plementum possibilitatis, oder durch das Comple- mentum complexus determinationum definirte. Das will nun sagen: die Kraft ist die Ursache, warum das Solide mit anderm Solidem verbunden, und dadurch etwas mehr als ein bloßer Haufen ist, und die Existenz machet; daß das, was wirklich ist, et- was mehr als schlechthin nur möglich ist. Dieses sind aber Sätze, und keine vollständige und reale Erklärungen. Denn da die Begriffe der Kraft und
der
L 2
Das Zuſammenſetzen.
deren verſchiedene Arten und Stufen ſchlechthin von den beſondern Modificationen der Kraͤfte abhaͤngt, womit die Theilchen verbunden ſind. Die meiſten Verſuche zeigen, daß jede Kraft einen Wirkungs- kreis hat, in welchem ſie gleichſam im Ruheſtande iſt, und daß die Vergroͤßerung und die Verkleine- rung dieſes Wirkungskreiſes das Gleichgewicht auf- hebt, und die Kraft zur Wiederherſtellung deſſelben ihre Wirkung aͤußert.
§. 545.
Da wir den Begriff der Kraͤfte, ſowohl des Den- kens als des Wollens und des Wirkens, nur aus den Wirkungen derſelben haben, ſo faͤllt es auch ſchwe- rer, die Art, wie ſie wirken, ſich vorzuſtellen, wenn man es nicht bey dem bloß ſymboliſchen, welches al- lerdings uͤber unſere Sinnen und Einbildungskraft hinaus reichen kann, will bewenden laſſen. Man iſt, vermuthlich wegen dieſer Schwierigkeit, auf den Einfall gekommen, die Wirkung der Kraͤfte bloß ideal zu machen, und den phyſiſchen Einfluß derſel- ben in eine bloße Harmonie zu verwandeln. Die Kraft wurde durch den zureichenden Grund definirt, warum die Accidenzen in den Subſtanzen ſind, un- gefaͤhr eben ſo, wie man die Exiſtenz durch das Com- plementum poſſibilitatis, oder durch das Comple- mentum complexus determinationum definirte. Das will nun ſagen: die Kraft iſt die Urſache, warum das Solide mit anderm Solidem verbunden, und dadurch etwas mehr als ein bloßer Haufen iſt, und die Exiſtenz machet; daß das, was wirklich iſt, et- was mehr als ſchlechthin nur moͤglich iſt. Dieſes ſind aber Saͤtze, und keine vollſtaͤndige und reale Erklaͤrungen. Denn da die Begriffe der Kraft und
der
L 2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0171"n="163"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Das Zuſammenſetzen.</hi></fw><lb/>
deren verſchiedene Arten und Stufen ſchlechthin von<lb/>
den beſondern Modificationen der Kraͤfte abhaͤngt,<lb/>
womit die Theilchen verbunden ſind. Die meiſten<lb/>
Verſuche zeigen, daß jede Kraft einen Wirkungs-<lb/>
kreis hat, in welchem ſie gleichſam im Ruheſtande<lb/>
iſt, und daß die Vergroͤßerung und die Verkleine-<lb/>
rung dieſes Wirkungskreiſes das Gleichgewicht auf-<lb/>
hebt, und die Kraft zur Wiederherſtellung deſſelben<lb/>
ihre Wirkung aͤußert.</p></div><lb/><divn="3"><head>§. 545.</head><lb/><p>Da wir den Begriff der Kraͤfte, ſowohl des Den-<lb/>
kens als des Wollens und des Wirkens, nur aus den<lb/>
Wirkungen derſelben haben, ſo faͤllt es auch ſchwe-<lb/>
rer, die Art, wie ſie wirken, ſich vorzuſtellen, wenn<lb/>
man es nicht bey dem bloß ſymboliſchen, welches al-<lb/>
lerdings uͤber unſere Sinnen und Einbildungskraft<lb/>
hinaus reichen kann, will bewenden laſſen. Man<lb/>
iſt, vermuthlich wegen dieſer Schwierigkeit, auf den<lb/>
Einfall gekommen, die Wirkung der Kraͤfte bloß<lb/>
ideal zu machen, und den phyſiſchen Einfluß derſel-<lb/>
ben in eine bloße Harmonie zu verwandeln. Die<lb/>
Kraft wurde durch den zureichenden Grund definirt,<lb/>
warum die Accidenzen in den Subſtanzen ſind, un-<lb/>
gefaͤhr eben ſo, wie man die Exiſtenz durch das <hirendition="#aq">Com-<lb/>
plementum poſſibilitatis,</hi> oder durch das <hirendition="#aq">Comple-<lb/>
mentum complexus determinationum</hi> definirte. Das<lb/>
will nun ſagen: die Kraft iſt die Urſache, warum<lb/>
das Solide mit anderm Solidem verbunden, und<lb/>
dadurch etwas mehr als ein bloßer Haufen iſt, und<lb/>
die Exiſtenz machet; daß das, was wirklich iſt, et-<lb/>
was mehr als ſchlechthin nur moͤglich iſt. Dieſes<lb/>ſind aber Saͤtze, und keine vollſtaͤndige und reale<lb/>
Erklaͤrungen. Denn da die Begriffe der Kraft und<lb/><fwplace="bottom"type="sig">L 2</fw><fwplace="bottom"type="catch">der</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[163/0171]
Das Zuſammenſetzen.
deren verſchiedene Arten und Stufen ſchlechthin von
den beſondern Modificationen der Kraͤfte abhaͤngt,
womit die Theilchen verbunden ſind. Die meiſten
Verſuche zeigen, daß jede Kraft einen Wirkungs-
kreis hat, in welchem ſie gleichſam im Ruheſtande
iſt, und daß die Vergroͤßerung und die Verkleine-
rung dieſes Wirkungskreiſes das Gleichgewicht auf-
hebt, und die Kraft zur Wiederherſtellung deſſelben
ihre Wirkung aͤußert.
§. 545.
Da wir den Begriff der Kraͤfte, ſowohl des Den-
kens als des Wollens und des Wirkens, nur aus den
Wirkungen derſelben haben, ſo faͤllt es auch ſchwe-
rer, die Art, wie ſie wirken, ſich vorzuſtellen, wenn
man es nicht bey dem bloß ſymboliſchen, welches al-
lerdings uͤber unſere Sinnen und Einbildungskraft
hinaus reichen kann, will bewenden laſſen. Man
iſt, vermuthlich wegen dieſer Schwierigkeit, auf den
Einfall gekommen, die Wirkung der Kraͤfte bloß
ideal zu machen, und den phyſiſchen Einfluß derſel-
ben in eine bloße Harmonie zu verwandeln. Die
Kraft wurde durch den zureichenden Grund definirt,
warum die Accidenzen in den Subſtanzen ſind, un-
gefaͤhr eben ſo, wie man die Exiſtenz durch das Com-
plementum poſſibilitatis, oder durch das Comple-
mentum complexus determinationum definirte. Das
will nun ſagen: die Kraft iſt die Urſache, warum
das Solide mit anderm Solidem verbunden, und
dadurch etwas mehr als ein bloßer Haufen iſt, und
die Exiſtenz machet; daß das, was wirklich iſt, et-
was mehr als ſchlechthin nur moͤglich iſt. Dieſes
ſind aber Saͤtze, und keine vollſtaͤndige und reale
Erklaͤrungen. Denn da die Begriffe der Kraft und
der
L 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 2. Riga, 1771, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic02_1771/171>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.