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Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 2. Riga, 1771.

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XXXIII. Hauptstück.
Unendliche ansahen, und das reale in ganz was an-
derm suchen wollten.

§. 915.

Es wird aber hiebey nicht undienlich seyn, noch-
mals zu erinnern, daß das Unendliche zum End-
lichen kein angebliches Verhältniß hat,
und dem-
nach mit einem endlichen Maaßstabe nicht aus-
gemessen werden muß noch kann.
So klar die-
ses an sich ist, so leicht verstößt man dawieder, weil
man nicht immer auf das Endliche Acht hat, das
in den Worten liegt, die man gebraucht. So z. E.
will der Ausdruck: niemals sagen: vor oder nach
keiner endlichen Zeit. Das Wort Zeit selbst ist ein
Ausdruck, der die Bestimmung des Endlichen in
sich schleußt, es sey, daß man dadurch einen bestimm-
ten Zeitpunct oder einen bestimmten Theil der Dau-
er
gedenke. Jn diesem letztern Verstande kann ein
tempus quouis dato maius gedacht werden. Hinge-
gen hat die Dauer etwas absolutes, so fern man die
Ewigkeit dadurch versteht. Alle wirkliche Zeit ge-
höret mit in den Strom der Ewigkeit. Dieses macht
sie absolut unendlich, so sehr man bey dieser absoluten
Unendlichkeit, eben weil sie absolut ist, gleichsam per
eminentiam
einen Anfang und ein Ende gedenkt, und
beyfügt, daß vor diesem Anfang und nach diesem Ende
runde Vierecke existiren. So absolut unendlich näm-
lich die Ewigkeit ist, so ist sie dennoch in ihrer Art
ein Ganzes, eine absolute Einheit, und so wird sie
auch von einem unendlichen Verstande gedacht. Un-
ser nicht gedenken können, rührt von der Endlichkeit
her, die in dem Worte ich liegt. Denn, wenn wir
Jahre für Jahre fortzählen, oder wie Haller sagt,
Gebürge von Millionen Jahren aufhäufen wollen, so

reichen

XXXIII. Hauptſtuͤck.
Unendliche anſahen, und das reale in ganz was an-
derm ſuchen wollten.

§. 915.

Es wird aber hiebey nicht undienlich ſeyn, noch-
mals zu erinnern, daß das Unendliche zum End-
lichen kein angebliches Verhaͤltniß hat,
und dem-
nach mit einem endlichen Maaßſtabe nicht aus-
gemeſſen werden muß noch kann.
So klar die-
ſes an ſich iſt, ſo leicht verſtoͤßt man dawieder, weil
man nicht immer auf das Endliche Acht hat, das
in den Worten liegt, die man gebraucht. So z. E.
will der Ausdruck: niemals ſagen: vor oder nach
keiner endlichen Zeit. Das Wort Zeit ſelbſt iſt ein
Ausdruck, der die Beſtimmung des Endlichen in
ſich ſchleußt, es ſey, daß man dadurch einen beſtimm-
ten Zeitpunct oder einen beſtimmten Theil der Dau-
er
gedenke. Jn dieſem letztern Verſtande kann ein
tempus quouis dato maius gedacht werden. Hinge-
gen hat die Dauer etwas abſolutes, ſo fern man die
Ewigkeit dadurch verſteht. Alle wirkliche Zeit ge-
hoͤret mit in den Strom der Ewigkeit. Dieſes macht
ſie abſolut unendlich, ſo ſehr man bey dieſer abſoluten
Unendlichkeit, eben weil ſie abſolut iſt, gleichſam per
eminentiam
einen Anfang und ein Ende gedenkt, und
beyfuͤgt, daß vor dieſem Anfang und nach dieſem Ende
runde Vierecke exiſtiren. So abſolut unendlich naͤm-
lich die Ewigkeit iſt, ſo iſt ſie dennoch in ihrer Art
ein Ganzes, eine abſolute Einheit, und ſo wird ſie
auch von einem unendlichen Verſtande gedacht. Un-
ſer nicht gedenken koͤnnen, ruͤhrt von der Endlichkeit
her, die in dem Worte ich liegt. Denn, wenn wir
Jahre fuͤr Jahre fortzaͤhlen, oder wie Haller ſagt,
Gebuͤrge von Millionen Jahren aufhaͤufen wollen, ſo

reichen
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[554/0562] XXXIII. Hauptſtuͤck. Unendliche anſahen, und das reale in ganz was an- derm ſuchen wollten. §. 915. Es wird aber hiebey nicht undienlich ſeyn, noch- mals zu erinnern, daß das Unendliche zum End- lichen kein angebliches Verhaͤltniß hat, und dem- nach mit einem endlichen Maaßſtabe nicht aus- gemeſſen werden muß noch kann. So klar die- ſes an ſich iſt, ſo leicht verſtoͤßt man dawieder, weil man nicht immer auf das Endliche Acht hat, das in den Worten liegt, die man gebraucht. So z. E. will der Ausdruck: niemals ſagen: vor oder nach keiner endlichen Zeit. Das Wort Zeit ſelbſt iſt ein Ausdruck, der die Beſtimmung des Endlichen in ſich ſchleußt, es ſey, daß man dadurch einen beſtimm- ten Zeitpunct oder einen beſtimmten Theil der Dau- er gedenke. Jn dieſem letztern Verſtande kann ein tempus quouis dato maius gedacht werden. Hinge- gen hat die Dauer etwas abſolutes, ſo fern man die Ewigkeit dadurch verſteht. Alle wirkliche Zeit ge- hoͤret mit in den Strom der Ewigkeit. Dieſes macht ſie abſolut unendlich, ſo ſehr man bey dieſer abſoluten Unendlichkeit, eben weil ſie abſolut iſt, gleichſam per eminentiam einen Anfang und ein Ende gedenkt, und beyfuͤgt, daß vor dieſem Anfang und nach dieſem Ende runde Vierecke exiſtiren. So abſolut unendlich naͤm- lich die Ewigkeit iſt, ſo iſt ſie dennoch in ihrer Art ein Ganzes, eine abſolute Einheit, und ſo wird ſie auch von einem unendlichen Verſtande gedacht. Un- ſer nicht gedenken koͤnnen, ruͤhrt von der Endlichkeit her, die in dem Worte ich liegt. Denn, wenn wir Jahre fuͤr Jahre fortzaͤhlen, oder wie Haller ſagt, Gebuͤrge von Millionen Jahren aufhaͤufen wollen, ſo reichen

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 2. Riga, 1771, S. 554. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic02_1771/562>, abgerufen am 27.11.2024.