Neigungswinkel kommen in der Tafel als Erfahrun- gen vor, und an statt sie in Zweifel zu ziehen, müs- sen sie vielmehr zum Grunde gelegt werden, um, wie Sie, mein Herr, bereits gethan, auf den geringen Wirkungskreyß der Cometen einen Schluß zu ma- chen. Es ist für sich klar, daß dieser Schluß zugleich auch darauf beruht, daß die Weltkugeln einander so wenig als möglich ist, stören sollen, weil diese Ausnah- men geringe seyn müssen.
Ungeacht ich also die kleinern Neigungswinkel zugebe, weil sie aus der Erfahrung offenbahr sind, so habe ich einen ganz andern Anstand. Setze ich nem- lich, die Bahnen der Cometen haben alle mögliche La- ge, so scheint daraus zu folgen, daß nicht alle Nei- gungswinkel gleich möglich sind, sondern daß der grös- sern mehr seyn müssen als der kleinern. Sehen Sie hier meinen Beweis.
Die Lage einer Fläche kann auf die Lage einer einigen Linie reducirt werden, welche auf der Fläche senkrecht steht. Da nun die Fläche jeder Cometen- bahnen durch die Sonne geht, so können wir an statt der Fläche eine auf derselben senkrecht stehende Linie aus der Sonne ziehen, und diese Linie bis zu den Fix- sternen hinaus verlängern. Der Ort, wo sie hin- trift, ist ein Punct, der sich auf der Himmelskugel zeichnen läßt, und den wir den Pol der Cometenbahn nennen können, eben so wie unsere Erdbahn den Pol der Eccliptic hat. Auf diese Art können wir die Flä-
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uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
Neigungswinkel kommen in der Tafel als Erfahrun- gen vor, und an ſtatt ſie in Zweifel zu ziehen, muͤſ- ſen ſie vielmehr zum Grunde gelegt werden, um, wie Sie, mein Herr, bereits gethan, auf den geringen Wirkungskreyß der Cometen einen Schluß zu ma- chen. Es iſt fuͤr ſich klar, daß dieſer Schluß zugleich auch darauf beruht, daß die Weltkugeln einander ſo wenig als moͤglich iſt, ſtoͤren ſollen, weil dieſe Ausnah- men geringe ſeyn muͤſſen.
Ungeacht ich alſo die kleinern Neigungswinkel zugebe, weil ſie aus der Erfahrung offenbahr ſind, ſo habe ich einen ganz andern Anſtand. Setze ich nem- lich, die Bahnen der Cometen haben alle moͤgliche La- ge, ſo ſcheint daraus zu folgen, daß nicht alle Nei- gungswinkel gleich moͤglich ſind, ſondern daß der groͤſ- ſern mehr ſeyn muͤſſen als der kleinern. Sehen Sie hier meinen Beweis.
Die Lage einer Flaͤche kann auf die Lage einer einigen Linie reducirt werden, welche auf der Flaͤche ſenkrecht ſteht. Da nun die Flaͤche jeder Cometen- bahnen durch die Sonne geht, ſo koͤnnen wir an ſtatt der Flaͤche eine auf derſelben ſenkrecht ſtehende Linie aus der Sonne ziehen, und dieſe Linie bis zu den Fix- ſternen hinaus verlaͤngern. Der Ort, wo ſie hin- trift, iſt ein Punct, der ſich auf der Himmelskugel zeichnen laͤßt, und den wir den Pol der Cometenbahn nennen koͤnnen, eben ſo wie unſere Erdbahn den Pol der Eccliptic hat. Auf dieſe Art koͤnnen wir die Flaͤ-
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uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
Neigungswinkel kommen in der Tafel als Erfahrun-
gen vor, und an ſtatt ſie in Zweifel zu ziehen, muͤſ-
ſen ſie vielmehr zum Grunde gelegt werden, um, wie
Sie, mein Herr, bereits gethan, auf den geringen
Wirkungskreyß der Cometen einen Schluß zu ma-
chen. Es iſt fuͤr ſich klar, daß dieſer Schluß zugleich
auch darauf beruht, daß die Weltkugeln einander ſo
wenig als moͤglich iſt, ſtoͤren ſollen, weil dieſe Ausnah-
men geringe ſeyn muͤſſen.
Ungeacht ich alſo die kleinern Neigungswinkel
zugebe, weil ſie aus der Erfahrung offenbahr ſind, ſo
habe ich einen ganz andern Anſtand. Setze ich nem-
lich, die Bahnen der Cometen haben alle moͤgliche La-
ge, ſo ſcheint daraus zu folgen, daß nicht alle Nei-
gungswinkel gleich moͤglich ſind, ſondern daß der groͤſ-
ſern mehr ſeyn muͤſſen als der kleinern. Sehen Sie
hier meinen Beweis.
Die Lage einer Flaͤche kann auf die Lage einer
einigen Linie reducirt werden, welche auf der Flaͤche
ſenkrecht ſteht. Da nun die Flaͤche jeder Cometen-
bahnen durch die Sonne geht, ſo koͤnnen wir an ſtatt
der Flaͤche eine auf derſelben ſenkrecht ſtehende Linie
aus der Sonne ziehen, und dieſe Linie bis zu den Fix-
ſternen hinaus verlaͤngern. Der Ort, wo ſie hin-
trift, iſt ein Punct, der ſich auf der Himmelskugel
zeichnen laͤßt, und den wir den Pol der Cometenbahn
nennen koͤnnen, eben ſo wie unſere Erdbahn den Pol
der Eccliptic hat. Auf dieſe Art koͤnnen wir die Flaͤ-
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Lambert, Johann Heinrich: Cosmologische Briefe über die Einrichtung des Weltbaues. Augsburg, 1761, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_einrichtung_1761/262>, abgerufen am 16.07.2024.
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