Wahrscheinlichkeit. Sie kann in vorkommen- den Fällen nicht vorgenommen werden, wenn man sie nicht so weit entwickelt, und thut man dieses, so ergiebt sich auch genau, aus welchen Unvollständigkeiten das Wahrscheinliche entste- he, und wo man suchen müsse, wenn man statt des Wahrscheinlichen Gewißheit finden will.
Die Natur eines Organons bringt es an sich mit, daß es in jeden Theilen der menschli- chen Erkenntniß, und daher in jeden Wissen- schaften angewandt werden könne, und daß man in dem Gebrauche desselben eine Fertigkeit er- langen müsse, wenn man nicht zurücke bleiben will. Jch konnte daher nicht wohl umhin, die Beyspiele, so zur Erläuterung dienten, aus den Wissenschaften zu nehmen, wo das Or- ganon in einzeln Fällen und Theilen ange- wandt wird Dieses aber setzt bey dem Leser wenigstens eine historische Kenntniß solcher Wissenschaften voraus, und ein Anfänger wird demnach den Mangel durch Nachfragen, Auf- schlagen, mündlichen Unterricht etc. ersetzen, oder das ihm unverständliche übergehen müssen. Die- se Voraussetzung ist um desto natürlicher, weil ein Organon, so weit man es auch in den Wis- senschaften bringt, immer aufs neue an- wendbar ist.
Dianoio-
Vorrede.
Wahrſcheinlichkeit. Sie kann in vorkommen- den Faͤllen nicht vorgenommen werden, wenn man ſie nicht ſo weit entwickelt, und thut man dieſes, ſo ergiebt ſich auch genau, aus welchen Unvollſtaͤndigkeiten das Wahrſcheinliche entſte- he, und wo man ſuchen muͤſſe, wenn man ſtatt des Wahrſcheinlichen Gewißheit finden will.
Die Natur eines Organons bringt es an ſich mit, daß es in jeden Theilen der menſchli- chen Erkenntniß, und daher in jeden Wiſſen- ſchaften angewandt werden koͤnne, und daß man in dem Gebrauche deſſelben eine Fertigkeit er- langen muͤſſe, wenn man nicht zuruͤcke bleiben will. Jch konnte daher nicht wohl umhin, die Beyſpiele, ſo zur Erlaͤuterung dienten, aus den Wiſſenſchaften zu nehmen, wo das Or- ganon in einzeln Faͤllen und Theilen ange- wandt wird Dieſes aber ſetzt bey dem Leſer wenigſtens eine hiſtoriſche Kenntniß ſolcher Wiſſenſchaften voraus, und ein Anfaͤnger wird demnach den Mangel durch Nachfragen, Auf- ſchlagen, muͤndlichen Unterricht ꝛc. erſetzen, oder das ihm unverſtaͤndliche uͤbergehen muͤſſen. Die- ſe Vorausſetzung iſt um deſto natuͤrlicher, weil ein Organon, ſo weit man es auch in den Wiſ- ſenſchaften bringt, immer aufs neue an- wendbar iſt.
Dianoio-
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[0020]
Vorrede.
Wahrſcheinlichkeit. Sie kann in vorkommen-
den Faͤllen nicht vorgenommen werden, wenn
man ſie nicht ſo weit entwickelt, und thut man
dieſes, ſo ergiebt ſich auch genau, aus welchen
Unvollſtaͤndigkeiten das Wahrſcheinliche entſte-
he, und wo man ſuchen muͤſſe, wenn man ſtatt
des Wahrſcheinlichen Gewißheit finden will.
Die Natur eines Organons bringt es an
ſich mit, daß es in jeden Theilen der menſchli-
chen Erkenntniß, und daher in jeden Wiſſen-
ſchaften angewandt werden koͤnne, und daß man
in dem Gebrauche deſſelben eine Fertigkeit er-
langen muͤſſe, wenn man nicht zuruͤcke bleiben
will. Jch konnte daher nicht wohl umhin,
die Beyſpiele, ſo zur Erlaͤuterung dienten, aus
den Wiſſenſchaften zu nehmen, wo das Or-
ganon in einzeln Faͤllen und Theilen ange-
wandt wird Dieſes aber ſetzt bey dem Leſer
wenigſtens eine hiſtoriſche Kenntniß ſolcher
Wiſſenſchaften voraus, und ein Anfaͤnger wird
demnach den Mangel durch Nachfragen, Auf-
ſchlagen, muͤndlichen Unterricht ꝛc. erſetzen, oder
das ihm unverſtaͤndliche uͤbergehen muͤſſen. Die-
ſe Vorausſetzung iſt um deſto natuͤrlicher, weil
ein Organon, ſo weit man es auch in den Wiſ-
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wendbar iſt.
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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/20>, abgerufen am 21.11.2024.
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