Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

VI. Hauptstück,
der wahre nicht wohl directe beweisen, so sucht man
den andern umzustoßen.

§. 352.

Die apogogischen Beweise haben immer etwas
viel nothwendigeres als die directen, weil sie die Un-
möglichkeit oder Ungereimtheit des Gegentheils dar-
thun, und eben dadurch den Satz selbst nothwen-
dig wahr
machen, es sey, daß das Gegentheil an
sich, oder unter vorausgesetzten Bedingungen un-
möglich oder ungereimt sey. Man gebraucht sie aber
gemeiniglich bey identischen Sätzen, die nämlich auch
umgekehrt allgemein wahr bleiben. Und hiebey giebt
es für verschiedne Fälle allgemeine Formeln, die wir
hier voraus anzeigen wollen, um sodann die übrigen
Fälle, die nicht schlechthin von der Form unsrer Er-
kenntniß abhängen, besonders zu betrachten.

§. 353.

Die erste Formel betrifft allgemein verneinende
Sätze. Denn hat man den Satz: Kein A ist B,
bewiesen, so kann der umgekehrte Satz so bewiesen
werden:

Kein B ist A. Man setze: Etliche B seyn A,
da nun kein A, B ist (vermöge des directen Sa-
tzes) so sind diese etliche B, die A sind, nicht B.
Da nun dieses ungereimt ist, so ist es falsch,
daß etliche A, B seyn: folglich ist kein A, B.

§. 354.

Die andre Formel betrifft allgemein bejahende
Sätze, wenn man das Subject von dem Termino
infinito
des Prädicats läugnet. Der Satz: Alle
A sind B: sey erwiesen, so kann man so schließen:

Was nicht B ist, ist nicht A. Denn man
setze, es sey A, folglich: Was nicht B ist, ist
A: Nun aber alle A sind B (vermöge des dire-

cten

VI. Hauptſtuͤck,
der wahre nicht wohl directe beweiſen, ſo ſucht man
den andern umzuſtoßen.

§. 352.

Die apogogiſchen Beweiſe haben immer etwas
viel nothwendigeres als die directen, weil ſie die Un-
moͤglichkeit oder Ungereimtheit des Gegentheils dar-
thun, und eben dadurch den Satz ſelbſt nothwen-
dig wahr
machen, es ſey, daß das Gegentheil an
ſich, oder unter vorausgeſetzten Bedingungen un-
moͤglich oder ungereimt ſey. Man gebraucht ſie aber
gemeiniglich bey identiſchen Saͤtzen, die naͤmlich auch
umgekehrt allgemein wahr bleiben. Und hiebey giebt
es fuͤr verſchiedne Faͤlle allgemeine Formeln, die wir
hier voraus anzeigen wollen, um ſodann die uͤbrigen
Faͤlle, die nicht ſchlechthin von der Form unſrer Er-
kenntniß abhaͤngen, beſonders zu betrachten.

§. 353.

Die erſte Formel betrifft allgemein verneinende
Saͤtze. Denn hat man den Satz: Kein A iſt B,
bewieſen, ſo kann der umgekehrte Satz ſo bewieſen
werden:

Kein B iſt A. Man ſetze: Etliche B ſeyn A,
da nun kein A, B iſt (vermoͤge des directen Sa-
tzes) ſo ſind dieſe etliche B, die A ſind, nicht B.
Da nun dieſes ungereimt iſt, ſo iſt es falſch,
daß etliche A, B ſeyn: folglich iſt kein A, B.

§. 354.

Die andre Formel betrifft allgemein bejahende
Saͤtze, wenn man das Subject von dem Termino
infinito
des Praͤdicats laͤugnet. Der Satz: Alle
A ſind B: ſey erwieſen, ſo kann man ſo ſchließen:

Was nicht B iſt, iſt nicht A. Denn man
ſetze, es ſey A, folglich: Was nicht B iſt, iſt
A: Nun aber alle A ſind B (vermoͤge des dire-

cten
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0252" n="230"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">VI.</hi> Haupt&#x017F;tu&#x0364;ck,</hi></fw><lb/>
der wahre nicht wohl directe bewei&#x017F;en, &#x017F;o &#x017F;ucht man<lb/>
den andern umzu&#x017F;toßen.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 352.</head><lb/>
            <p>Die apogogi&#x017F;chen Bewei&#x017F;e haben immer etwas<lb/>
viel nothwendigeres als die directen, weil &#x017F;ie die Un-<lb/>
mo&#x0364;glichkeit oder Ungereimtheit des Gegentheils dar-<lb/>
thun, und eben dadurch den Satz &#x017F;elb&#x017F;t <hi rendition="#fr">nothwen-<lb/>
dig wahr</hi> machen, es &#x017F;ey, daß das Gegentheil an<lb/>
&#x017F;ich, oder unter vorausge&#x017F;etzten Bedingungen un-<lb/>
mo&#x0364;glich oder ungereimt &#x017F;ey. Man gebraucht &#x017F;ie aber<lb/>
gemeiniglich bey identi&#x017F;chen Sa&#x0364;tzen, die na&#x0364;mlich auch<lb/>
umgekehrt allgemein wahr bleiben. Und hiebey giebt<lb/>
es fu&#x0364;r ver&#x017F;chiedne Fa&#x0364;lle allgemeine Formeln, die wir<lb/>
hier voraus anzeigen wollen, um &#x017F;odann die u&#x0364;brigen<lb/>
Fa&#x0364;lle, die nicht &#x017F;chlechthin von der Form un&#x017F;rer Er-<lb/>
kenntniß abha&#x0364;ngen, be&#x017F;onders zu betrachten.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 353.</head><lb/>
            <p>Die er&#x017F;te Formel betrifft allgemein verneinende<lb/>
Sa&#x0364;tze. Denn hat man den Satz: <hi rendition="#fr">Kein</hi> <hi rendition="#aq">A</hi> <hi rendition="#fr">i&#x017F;t</hi> <hi rendition="#aq">B,</hi><lb/>
bewie&#x017F;en, &#x017F;o kann der umgekehrte Satz &#x017F;o bewie&#x017F;en<lb/>
werden:</p><lb/>
            <p> <hi rendition="#et"><hi rendition="#fr">Kein</hi><hi rendition="#aq">B</hi><hi rendition="#fr">i&#x017F;t</hi><hi rendition="#aq">A.</hi> Man &#x017F;etze: Etliche <hi rendition="#aq">B</hi> &#x017F;eyn <hi rendition="#aq">A,</hi><lb/>
da nun kein <hi rendition="#aq">A, B</hi> i&#x017F;t (vermo&#x0364;ge des directen Sa-<lb/>
tzes) &#x017F;o &#x017F;ind die&#x017F;e etliche <hi rendition="#aq">B,</hi> die <hi rendition="#aq">A</hi> &#x017F;ind, nicht <hi rendition="#aq">B.</hi><lb/>
Da nun die&#x017F;es ungereimt i&#x017F;t, &#x017F;o i&#x017F;t es fal&#x017F;ch,<lb/>
daß etliche <hi rendition="#aq">A, B</hi> &#x017F;eyn: folglich i&#x017F;t kein <hi rendition="#aq">A, B.</hi></hi> </p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 354.</head><lb/>
            <p>Die andre Formel betrifft allgemein bejahende<lb/>
Sa&#x0364;tze, wenn man das Subject von dem <hi rendition="#aq">Termino<lb/>
infinito</hi> des Pra&#x0364;dicats la&#x0364;ugnet. Der Satz: <hi rendition="#fr">Alle</hi><lb/><hi rendition="#aq">A</hi> <hi rendition="#fr">&#x017F;ind</hi> <hi rendition="#aq">B:</hi> &#x017F;ey erwie&#x017F;en, &#x017F;o kann man &#x017F;o &#x017F;chließen:</p><lb/>
            <p> <hi rendition="#et"><hi rendition="#fr">Was nicht</hi><hi rendition="#aq">B</hi><hi rendition="#fr">i&#x017F;t, i&#x017F;t nicht</hi><hi rendition="#aq">A.</hi> Denn man<lb/>
&#x017F;etze, es &#x017F;ey <hi rendition="#aq">A,</hi> folglich: Was nicht <hi rendition="#aq">B</hi> i&#x017F;t, i&#x017F;t<lb/><hi rendition="#aq">A:</hi> Nun aber alle <hi rendition="#aq">A</hi> &#x017F;ind <hi rendition="#aq">B</hi> (vermo&#x0364;ge des dire-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">cten</fw><lb/></hi> </p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[230/0252] VI. Hauptſtuͤck, der wahre nicht wohl directe beweiſen, ſo ſucht man den andern umzuſtoßen. §. 352. Die apogogiſchen Beweiſe haben immer etwas viel nothwendigeres als die directen, weil ſie die Un- moͤglichkeit oder Ungereimtheit des Gegentheils dar- thun, und eben dadurch den Satz ſelbſt nothwen- dig wahr machen, es ſey, daß das Gegentheil an ſich, oder unter vorausgeſetzten Bedingungen un- moͤglich oder ungereimt ſey. Man gebraucht ſie aber gemeiniglich bey identiſchen Saͤtzen, die naͤmlich auch umgekehrt allgemein wahr bleiben. Und hiebey giebt es fuͤr verſchiedne Faͤlle allgemeine Formeln, die wir hier voraus anzeigen wollen, um ſodann die uͤbrigen Faͤlle, die nicht ſchlechthin von der Form unſrer Er- kenntniß abhaͤngen, beſonders zu betrachten. §. 353. Die erſte Formel betrifft allgemein verneinende Saͤtze. Denn hat man den Satz: Kein A iſt B, bewieſen, ſo kann der umgekehrte Satz ſo bewieſen werden: Kein B iſt A. Man ſetze: Etliche B ſeyn A, da nun kein A, B iſt (vermoͤge des directen Sa- tzes) ſo ſind dieſe etliche B, die A ſind, nicht B. Da nun dieſes ungereimt iſt, ſo iſt es falſch, daß etliche A, B ſeyn: folglich iſt kein A, B. §. 354. Die andre Formel betrifft allgemein bejahende Saͤtze, wenn man das Subject von dem Termino infinito des Praͤdicats laͤugnet. Der Satz: Alle A ſind B: ſey erwieſen, ſo kann man ſo ſchließen: Was nicht B iſt, iſt nicht A. Denn man ſetze, es ſey A, folglich: Was nicht B iſt, iſt A: Nun aber alle A ſind B (vermoͤge des dire- cten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/252
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/252>, abgerufen am 22.11.2024.