bisher für wahr gehalten, und da sie ihm sämmtlich beyfallen, so fange er an, sie unter einander zu ver- gleichen:
1. Aus den beyden ersten folgt durch einen Schluß in Barbara, daß ein Triangel eine Figur sey, und dieses stößt den dritten Satz um.
2. Hingegen aus dem ersten und dritten folgt, durch einen Schluß in Camestres, daß ein Triangel kein Viereck sey: Und dieses stößt den zweyten Satz um.
3. Endlich aus dem dritten und zweyten Satze folgt durch einen Schluß in Felapton, daß etliche Vierecke keine Figuren sind; und dieses stößt den ersten Satz zum Theil um.
Diese Widersprüche gründen sich schlechthin auf die Form der Sätze, und zeigen demnach so viel an, daß etwas irriges darinn seyn müsse, aber nicht, worinn es bestehe? Die Redensart, so man in dergleichen Fällen gebraucht, ist, daß man sagt: Man könne diese Sätze nicht zusammen reimen. Und in der That muß man aus andern Gründen ausmachen, welche darunter wahr oder falsch sind? Denn aus der bloßen Form läßt sich nur schließen, daß we- nigstens nicht alle wahr seyn können, weil sie auf Wi- dersprüche führen. Man muß daher, wenn man in seinen eignen Vorstellungen, oder in denen von an- dern mit seinen eignen verglichen, Widersprüche findet, behutsam verfahren, wenn man entscheiden will, wel- che unter diesen Vorstellungen den Widerspruch ver- anlassen, und folglich geändert werden müssen. Eben
so
IV. Hauptſtuͤck,
1. Ein Viereck iſt eine Figur.
2. Ein Triangel iſt ein Viereck.
3. Ein Triangel iſt keine Figur.
bisher fuͤr wahr gehalten, und da ſie ihm ſaͤmmtlich beyfallen, ſo fange er an, ſie unter einander zu ver- gleichen:
1. Aus den beyden erſten folgt durch einen Schluß in Barbara, daß ein Triangel eine Figur ſey, und dieſes ſtoͤßt den dritten Satz um.
2. Hingegen aus dem erſten und dritten folgt, durch einen Schluß in Cameſtres, daß ein Triangel kein Viereck ſey: Und dieſes ſtoͤßt den zweyten Satz um.
3. Endlich aus dem dritten und zweyten Satze folgt durch einen Schluß in Felapton, daß etliche Vierecke keine Figuren ſind; und dieſes ſtoͤßt den erſten Satz zum Theil um.
Dieſe Widerſpruͤche gruͤnden ſich ſchlechthin auf die Form der Saͤtze, und zeigen demnach ſo viel an, daß etwas irriges darinn ſeyn muͤſſe, aber nicht, worinn es beſtehe? Die Redensart, ſo man in dergleichen Faͤllen gebraucht, iſt, daß man ſagt: Man koͤnne dieſe Saͤtze nicht zuſammen reimen. Und in der That muß man aus andern Gruͤnden ausmachen, welche darunter wahr oder falſch ſind? Denn aus der bloßen Form laͤßt ſich nur ſchließen, daß we- nigſtens nicht alle wahr ſeyn koͤnnen, weil ſie auf Wi- derſpruͤche fuͤhren. Man muß daher, wenn man in ſeinen eignen Vorſtellungen, oder in denen von an- dern mit ſeinen eignen verglichen, Widerſpruͤche findet, behutſam verfahren, wenn man entſcheiden will, wel- che unter dieſen Vorſtellungen den Widerſpruch ver- anlaſſen, und folglich geaͤndert werden muͤſſen. Eben
ſo
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IV. Hauptſtuͤck,
1. Ein Viereck iſt eine Figur.
2. Ein Triangel iſt ein Viereck.
3. Ein Triangel iſt keine Figur.
bisher fuͤr wahr gehalten, und da ſie ihm ſaͤmmtlich
beyfallen, ſo fange er an, ſie unter einander zu ver-
gleichen:
1. Aus den beyden erſten folgt durch einen
Schluß in Barbara, daß ein Triangel eine
Figur ſey, und dieſes ſtoͤßt den dritten
Satz um.
2. Hingegen aus dem erſten und dritten folgt,
durch einen Schluß in Cameſtres, daß ein
Triangel kein Viereck ſey: Und dieſes ſtoͤßt
den zweyten Satz um.
3. Endlich aus dem dritten und zweyten Satze
folgt durch einen Schluß in Felapton, daß
etliche Vierecke keine Figuren ſind; und dieſes
ſtoͤßt den erſten Satz zum Theil um.
Dieſe Widerſpruͤche gruͤnden ſich ſchlechthin auf die
Form der Saͤtze, und zeigen demnach ſo viel an, daß
etwas irriges darinn ſeyn muͤſſe, aber nicht, worinn
es beſtehe? Die Redensart, ſo man in dergleichen
Faͤllen gebraucht, iſt, daß man ſagt: Man koͤnne
dieſe Saͤtze nicht zuſammen reimen. Und in
der That muß man aus andern Gruͤnden ausmachen,
welche darunter wahr oder falſch ſind? Denn aus
der bloßen Form laͤßt ſich nur ſchließen, daß we-
nigſtens nicht alle wahr ſeyn koͤnnen, weil ſie auf Wi-
derſpruͤche fuͤhren. Man muß daher, wenn man in
ſeinen eignen Vorſtellungen, oder in denen von an-
dern mit ſeinen eignen verglichen, Widerſpruͤche findet,
behutſam verfahren, wenn man entſcheiden will, wel-
che unter dieſen Vorſtellungen den Widerſpruch ver-
anlaſſen, und folglich geaͤndert werden muͤſſen. Eben
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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/268>, abgerufen am 24.11.2024.
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