Erfahrungen, Beobachtungen und Versuche machen wir entweder selbst, oder wir haben sie von andern. Erstere find eigen, letztere fremd. Zwischen beyden Arten findet sich ein vielfacher Unterschied, den wir anzeigen wollen. Einmal sind fremde Erfah- rungen in Absicht auf uns allzeit hypothetisch, weil wir als Bedingungen dabey voraussetzen müssen, 1) sie seyn wirklich angestellt worden, 2) nicht er- schlichen, (§. 554 seqq.) 3) richtig und umständlich erzählt. Alle diese Stücke fallen weg, wenn die Er- fahrung, so man angiebt, an sich unmöglich und wi- dersprechend ist. Das erste besonders gründet sich auf die Glaubwürdigkeit des Angebers, des Autors, und des Nachsagers etc. Das zweyte, ob nämlich die Erfahrung erschlichen sey, läßt sich zuweilen nach den vorhin gegebnen Regeln prüfen, (§. 556.) z. E. in den ältern Zeiten habe man einen Kometen hüpfen gesehen. Dieses geht nicht an, weil die Kometen nichts hüpfendes haben. Die Richtigkeit und Voll- ständigkeit einer Erfahrung, so man von andern hört, läßt sich durch das selbst erfahren am besten prüfen, übrigens findet es sich zuweilen auch aus der Ver- gleichung der Umstände mit dem Erfolge.
§. 561.
Besonders aber ist anzumerken, daß wenn die Erfahrung, so man von andern hat, einen neuen Begriff in sich schließt, aus diesem Be- griffe alle Jndividualien nothwendig wegblei- ben, und daher die Erzählung unvollständig wird. Man lasse sich ein fremdes noch nie gesehe- nes Thier beschreiben. Die Beschreibung, wenn kein Gemälde dazu kömmt, wird fast nothwendig so un- vollständig seyn, daß man das Thier daraus schwer-
lich
VIII. Hauptſtuͤck,
§. 560.
Erfahrungen, Beobachtungen und Verſuche machen wir entweder ſelbſt, oder wir haben ſie von andern. Erſtere find eigen, letztere fremd. Zwiſchen beyden Arten findet ſich ein vielfacher Unterſchied, den wir anzeigen wollen. Einmal ſind fremde Erfah- rungen in Abſicht auf uns allzeit hypothetiſch, weil wir als Bedingungen dabey vorausſetzen muͤſſen, 1) ſie ſeyn wirklich angeſtellt worden, 2) nicht er- ſchlichen, (§. 554 ſeqq.) 3) richtig und umſtaͤndlich erzaͤhlt. Alle dieſe Stuͤcke fallen weg, wenn die Er- fahrung, ſo man angiebt, an ſich unmoͤglich und wi- derſprechend iſt. Das erſte beſonders gruͤndet ſich auf die Glaubwuͤrdigkeit des Angebers, des Autors, und des Nachſagers ꝛc. Das zweyte, ob naͤmlich die Erfahrung erſchlichen ſey, laͤßt ſich zuweilen nach den vorhin gegebnen Regeln pruͤfen, (§. 556.) z. E. in den aͤltern Zeiten habe man einen Kometen huͤpfen geſehen. Dieſes geht nicht an, weil die Kometen nichts huͤpfendes haben. Die Richtigkeit und Voll- ſtaͤndigkeit einer Erfahrung, ſo man von andern hoͤrt, laͤßt ſich durch das ſelbſt erfahren am beſten pruͤfen, uͤbrigens findet es ſich zuweilen auch aus der Ver- gleichung der Umſtaͤnde mit dem Erfolge.
§. 561.
Beſonders aber iſt anzumerken, daß wenn die Erfahrung, ſo man von andern hat, einen neuen Begriff in ſich ſchließt, aus dieſem Be- griffe alle Jndividualien nothwendig wegblei- ben, und daher die Erzaͤhlung unvollſtaͤndig wird. Man laſſe ſich ein fremdes noch nie geſehe- nes Thier beſchreiben. Die Beſchreibung, wenn kein Gemaͤlde dazu koͤmmt, wird faſt nothwendig ſo un- vollſtaͤndig ſeyn, daß man das Thier daraus ſchwer-
lich
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VIII. Hauptſtuͤck,
§. 560.
Erfahrungen, Beobachtungen und Verſuche
machen wir entweder ſelbſt, oder wir haben ſie von
andern. Erſtere find eigen, letztere fremd. Zwiſchen
beyden Arten findet ſich ein vielfacher Unterſchied, den
wir anzeigen wollen. Einmal ſind fremde Erfah-
rungen in Abſicht auf uns allzeit hypothetiſch,
weil wir als Bedingungen dabey vorausſetzen muͤſſen,
1) ſie ſeyn wirklich angeſtellt worden, 2) nicht er-
ſchlichen, (§. 554 ſeqq.) 3) richtig und umſtaͤndlich
erzaͤhlt. Alle dieſe Stuͤcke fallen weg, wenn die Er-
fahrung, ſo man angiebt, an ſich unmoͤglich und wi-
derſprechend iſt. Das erſte beſonders gruͤndet ſich auf
die Glaubwuͤrdigkeit des Angebers, des Autors,
und des Nachſagers ꝛc. Das zweyte, ob naͤmlich
die Erfahrung erſchlichen ſey, laͤßt ſich zuweilen nach
den vorhin gegebnen Regeln pruͤfen, (§. 556.) z. E.
in den aͤltern Zeiten habe man einen Kometen huͤpfen
geſehen. Dieſes geht nicht an, weil die Kometen
nichts huͤpfendes haben. Die Richtigkeit und Voll-
ſtaͤndigkeit einer Erfahrung, ſo man von andern hoͤrt,
laͤßt ſich durch das ſelbſt erfahren am beſten pruͤfen,
uͤbrigens findet es ſich zuweilen auch aus der Ver-
gleichung der Umſtaͤnde mit dem Erfolge.
§. 561.
Beſonders aber iſt anzumerken, daß wenn die
Erfahrung, ſo man von andern hat, einen
neuen Begriff in ſich ſchließt, aus dieſem Be-
griffe alle Jndividualien nothwendig wegblei-
ben, und daher die Erzaͤhlung unvollſtaͤndig
wird. Man laſſe ſich ein fremdes noch nie geſehe-
nes Thier beſchreiben. Die Beſchreibung, wenn kein
Gemaͤlde dazu koͤmmt, wird faſt nothwendig ſo un-
vollſtaͤndig ſeyn, daß man das Thier daraus ſchwer-
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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/376>, abgerufen am 24.11.2024.
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