nicht abweicht, und folglich die wahre oder eine der wahren ist, die der Aufgabe Genügen thun. Eben so, wenn man eine mit Ziffern geschriebene Schrift zu dechiffriren hat, so nimmt man einige Buchstaben willkührlich an, und sieht, ob man Wörter heraus- bringe. Jst dieses, so geht man weiter; wo| nicht, so muß die Hypothese geändert werden. Jn der Algeber setzt man für bestimmte Größen Buchstaben oder andre Zeichen, und verfährt damit ungefehr, wie bey der Regel Falsi, um endlich zu einer oder mehrern Gleichungen zu gelangen. Wir wollen nun sehen, wie diese Fälle von den physischen und philoso- phischen Hypothesen verschieden sind.
§. 569.
Einmal bey der Regel Falsi, bey algebraischen Aufgaben und bey dem Dechiffriren hat man nur wenige Bedingungen |zu erfüllen. Hingegen ist es bey den physischen Hypothesen nicht genug, daß sie nur einigen Erfahrungen Genügen leisten, sie müssen allen Genügen thun. Diese Abzählung aber ist nicht so leicht. Jndessen giebt es Fälle, wo es angeht. Sie sind aber wie- derum mehr mathematisch als physisch. Z. E. Um das Gesetz der Stralenbrechung zu finden, läßt man einen Lichtstral unter allen Winkeln durch eine bre- chende Materie fallen, und mißt beydes den Einfalls- winkel und den Refractionswinkel ab. Man findet ein beständiges Verhältniß zwischen ihren Sinus, und so ist nicht zu zweifeln, daß dieses nicht sollte das gesuchte Gesetz seyn. Denn Zahlen sind individual, und wenn sie in der Natur auf eine Art bestimmt sind, so ist es mit Ausschluß aller übrigen Ar- ten. Snellius, der dieses Gesetz der Stralenbrechung aus Versuchen gefunden, hat allerdings verschiedene
Hypo-
Z 5
von der Erfahrung.
nicht abweicht, und folglich die wahre oder eine der wahren iſt, die der Aufgabe Genuͤgen thun. Eben ſo, wenn man eine mit Ziffern geſchriebene Schrift zu dechiffriren hat, ſo nimmt man einige Buchſtaben willkuͤhrlich an, und ſieht, ob man Woͤrter heraus- bringe. Jſt dieſes, ſo geht man weiter; wo| nicht, ſo muß die Hypotheſe geaͤndert werden. Jn der Algeber ſetzt man fuͤr beſtimmte Groͤßen Buchſtaben oder andre Zeichen, und verfaͤhrt damit ungefehr, wie bey der Regel Falſi, um endlich zu einer oder mehrern Gleichungen zu gelangen. Wir wollen nun ſehen, wie dieſe Faͤlle von den phyſiſchen und philoſo- phiſchen Hypotheſen verſchieden ſind.
§. 569.
Einmal bey der Regel Falſi, bey algebraiſchen Aufgaben und bey dem Dechiffriren hat man nur wenige Bedingungen |zu erfuͤllen. Hingegen iſt es bey den phyſiſchen Hypotheſen nicht genug, daß ſie nur einigen Erfahrungen Genuͤgen leiſten, ſie muͤſſen allen Genuͤgen thun. Dieſe Abzaͤhlung aber iſt nicht ſo leicht. Jndeſſen giebt es Faͤlle, wo es angeht. Sie ſind aber wie- derum mehr mathematiſch als phyſiſch. Z. E. Um das Geſetz der Stralenbrechung zu finden, laͤßt man einen Lichtſtral unter allen Winkeln durch eine bre- chende Materie fallen, und mißt beydes den Einfalls- winkel und den Refractionswinkel ab. Man findet ein beſtaͤndiges Verhaͤltniß zwiſchen ihren Sinus, und ſo iſt nicht zu zweifeln, daß dieſes nicht ſollte das geſuchte Geſetz ſeyn. Denn Zahlen ſind individual, und wenn ſie in der Natur auf eine Art beſtimmt ſind, ſo iſt es mit Ausſchluß aller uͤbrigen Ar- ten. Snellius, der dieſes Geſetz der Stralenbrechung aus Verſuchen gefunden, hat allerdings verſchiedene
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von der Erfahrung.
nicht abweicht, und folglich die wahre oder eine der
wahren iſt, die der Aufgabe Genuͤgen thun. Eben ſo,
wenn man eine mit Ziffern geſchriebene Schrift
zu dechiffriren hat, ſo nimmt man einige Buchſtaben
willkuͤhrlich an, und ſieht, ob man Woͤrter heraus-
bringe. Jſt dieſes, ſo geht man weiter; wo| nicht,
ſo muß die Hypotheſe geaͤndert werden. Jn der
Algeber ſetzt man fuͤr beſtimmte Groͤßen Buchſtaben
oder andre Zeichen, und verfaͤhrt damit ungefehr,
wie bey der Regel Falſi, um endlich zu einer oder
mehrern Gleichungen zu gelangen. Wir wollen nun
ſehen, wie dieſe Faͤlle von den phyſiſchen und philoſo-
phiſchen Hypotheſen verſchieden ſind.
§. 569.
Einmal bey der Regel Falſi, bey algebraiſchen
Aufgaben und bey dem Dechiffriren hat man nur
wenige Bedingungen |zu erfuͤllen. Hingegen iſt
es bey den phyſiſchen Hypotheſen nicht genug,
daß ſie nur einigen Erfahrungen Genuͤgen
leiſten, ſie muͤſſen allen Genuͤgen thun. Dieſe
Abzaͤhlung aber iſt nicht ſo leicht. Jndeſſen giebt
es Faͤlle, wo es angeht. Sie ſind aber wie-
derum mehr mathematiſch als phyſiſch. Z. E. Um
das Geſetz der Stralenbrechung zu finden, laͤßt man
einen Lichtſtral unter allen Winkeln durch eine bre-
chende Materie fallen, und mißt beydes den Einfalls-
winkel und den Refractionswinkel ab. Man findet
ein beſtaͤndiges Verhaͤltniß zwiſchen ihren Sinus, und
ſo iſt nicht zu zweifeln, daß dieſes nicht ſollte das geſuchte
Geſetz ſeyn. Denn Zahlen ſind individual, und
wenn ſie in der Natur auf eine Art beſtimmt
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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/383>, abgerufen am 24.11.2024.
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