Grundlage unsrer Erkenntniß aus. Wir können auch daraus, daß nicht jede Sinnen uns einerley Begriffe aufklären, daß wir dennoch einige Begriffe durch mehr als einen Sinn erlangen können, und daß denen, welche des Gesichts oder eines andern Sinnes beraubt sind, die demselben eigene Be- griffe gar nicht haben, aus allem diesem, sage ich, können wir verschiedne Betrachtungen über die Grän- zen unsrer Erkenntniß herleiten, und diese gewisser- maaßen mit dem Reiche der Wahrheiten an sich betrachtet vergleichen.
§. 54.
Einmal aus dem, daß auch die Werkzeuge der Sinnen, wenn sie zu heftige Empfindungen haben, uns den Begriff des Schmerzens verursachen, weil solche Empfindungen Schmerzen erregen, lassen sich in so fern jede Sinnen mit dem Gefühl vergleichen, und die genauere Betrachtung jeder Empfindungen und jeder Sinnen lehrt uns, daß etwas mechanisches dabey vorgehe, und daher vergleichen wir auch den in jeden Sinnen empfindbaren Schmerz mit dem Stechen, Drücken, Reißen, Brennen, Beißen etc. Jn so fern demnach ein Mechanismus bey jeden Sinnen und Empfindungen ist, in so fern läßt sich derselbe für sich betrachten, wie etwann Sanderson vieles von der Newtonischen Farbentheorie begriffe, ungeachtet er blind war.
§. 55.
Hingegen hätten wir von dem Licht und den Farben gar keinen Begriff, wenn uns das Sehen mangelte. Es würde nicht nur diese Eigenschaft der Materie des Lichts in dem System unsrer Erkenntniß fehlen, sondern es ist sehr zu zweifeln, ob wir wissen könnten, daß eine solche Materie existirt. Und wenn
es
I. Hauptſtuͤck, von den einfachen
Grundlage unſrer Erkenntniß aus. Wir koͤnnen auch daraus, daß nicht jede Sinnen uns einerley Begriffe aufklaͤren, daß wir dennoch einige Begriffe durch mehr als einen Sinn erlangen koͤnnen, und daß denen, welche des Geſichts oder eines andern Sinnes beraubt ſind, die demſelben eigene Be- griffe gar nicht haben, aus allem dieſem, ſage ich, koͤnnen wir verſchiedne Betrachtungen uͤber die Graͤn- zen unſrer Erkenntniß herleiten, und dieſe gewiſſer- maaßen mit dem Reiche der Wahrheiten an ſich betrachtet vergleichen.
§. 54.
Einmal aus dem, daß auch die Werkzeuge der Sinnen, wenn ſie zu heftige Empfindungen haben, uns den Begriff des Schmerzens verurſachen, weil ſolche Empfindungen Schmerzen erregen, laſſen ſich in ſo fern jede Sinnen mit dem Gefuͤhl vergleichen, und die genauere Betrachtung jeder Empfindungen und jeder Sinnen lehrt uns, daß etwas mechaniſches dabey vorgehe, und daher vergleichen wir auch den in jeden Sinnen empfindbaren Schmerz mit dem Stechen, Druͤcken, Reißen, Brennen, Beißen ꝛc. Jn ſo fern demnach ein Mechaniſmus bey jeden Sinnen und Empfindungen iſt, in ſo fern laͤßt ſich derſelbe fuͤr ſich betrachten, wie etwann Sanderſon vieles von der Newtoniſchen Farbentheorie begriffe, ungeachtet er blind war.
§. 55.
Hingegen haͤtten wir von dem Licht und den Farben gar keinen Begriff, wenn uns das Sehen mangelte. Es wuͤrde nicht nur dieſe Eigenſchaft der Materie des Lichts in dem Syſtem unſrer Erkenntniß fehlen, ſondern es iſt ſehr zu zweifeln, ob wir wiſſen koͤnnten, daß eine ſolche Materie exiſtirt. Und wenn
es
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0510"n="488"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#aq">I.</hi> Hauptſtuͤck, von den einfachen</hi></fw><lb/>
Grundlage unſrer Erkenntniß aus. Wir koͤnnen<lb/>
auch daraus, daß nicht jede Sinnen uns einerley<lb/>
Begriffe aufklaͤren, daß wir dennoch einige Begriffe<lb/>
durch mehr als einen Sinn erlangen koͤnnen, und daß<lb/>
denen, welche des Geſichts oder eines andern<lb/>
Sinnes beraubt ſind, die demſelben eigene Be-<lb/>
griffe gar nicht haben, aus allem dieſem, ſage ich,<lb/>
koͤnnen wir verſchiedne Betrachtungen uͤber die Graͤn-<lb/>
zen unſrer Erkenntniß herleiten, und dieſe gewiſſer-<lb/>
maaßen mit dem Reiche der Wahrheiten an ſich<lb/>
betrachtet vergleichen.</p></div><lb/><divn="3"><head>§. 54.</head><lb/><p>Einmal aus dem, daß auch die Werkzeuge der<lb/>
Sinnen, wenn ſie zu heftige Empfindungen haben,<lb/>
uns den Begriff des Schmerzens verurſachen, weil<lb/>ſolche Empfindungen Schmerzen erregen, laſſen ſich<lb/>
in ſo fern jede Sinnen mit dem Gefuͤhl vergleichen,<lb/>
und die genauere Betrachtung jeder Empfindungen<lb/>
und jeder Sinnen lehrt uns, daß etwas mechaniſches<lb/>
dabey vorgehe, und daher vergleichen wir auch den<lb/>
in jeden Sinnen empfindbaren Schmerz mit dem<lb/>
Stechen, Druͤcken, Reißen, Brennen, Beißen ꝛc.<lb/>
Jn ſo fern demnach ein <hirendition="#aq">Mechaniſmus</hi> bey jeden<lb/>
Sinnen und Empfindungen iſt, in ſo fern laͤßt ſich<lb/>
derſelbe fuͤr ſich betrachten, wie etwann <hirendition="#fr">Sanderſon</hi><lb/>
vieles von der Newtoniſchen Farbentheorie begriffe,<lb/>
ungeachtet er blind war.</p></div><lb/><divn="3"><head>§. 55.</head><lb/><p>Hingegen haͤtten wir von dem Licht und den<lb/>
Farben gar keinen Begriff, wenn uns das <hirendition="#fr">Sehen</hi><lb/>
mangelte. Es wuͤrde nicht nur dieſe Eigenſchaft der<lb/>
Materie des Lichts in dem Syſtem unſrer Erkenntniß<lb/>
fehlen, ſondern es iſt ſehr zu zweifeln, ob wir wiſſen<lb/>
koͤnnten, daß eine ſolche Materie exiſtirt. Und wenn<lb/><fwplace="bottom"type="catch">es</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[488/0510]
I. Hauptſtuͤck, von den einfachen
Grundlage unſrer Erkenntniß aus. Wir koͤnnen
auch daraus, daß nicht jede Sinnen uns einerley
Begriffe aufklaͤren, daß wir dennoch einige Begriffe
durch mehr als einen Sinn erlangen koͤnnen, und daß
denen, welche des Geſichts oder eines andern
Sinnes beraubt ſind, die demſelben eigene Be-
griffe gar nicht haben, aus allem dieſem, ſage ich,
koͤnnen wir verſchiedne Betrachtungen uͤber die Graͤn-
zen unſrer Erkenntniß herleiten, und dieſe gewiſſer-
maaßen mit dem Reiche der Wahrheiten an ſich
betrachtet vergleichen.
§. 54.
Einmal aus dem, daß auch die Werkzeuge der
Sinnen, wenn ſie zu heftige Empfindungen haben,
uns den Begriff des Schmerzens verurſachen, weil
ſolche Empfindungen Schmerzen erregen, laſſen ſich
in ſo fern jede Sinnen mit dem Gefuͤhl vergleichen,
und die genauere Betrachtung jeder Empfindungen
und jeder Sinnen lehrt uns, daß etwas mechaniſches
dabey vorgehe, und daher vergleichen wir auch den
in jeden Sinnen empfindbaren Schmerz mit dem
Stechen, Druͤcken, Reißen, Brennen, Beißen ꝛc.
Jn ſo fern demnach ein Mechaniſmus bey jeden
Sinnen und Empfindungen iſt, in ſo fern laͤßt ſich
derſelbe fuͤr ſich betrachten, wie etwann Sanderſon
vieles von der Newtoniſchen Farbentheorie begriffe,
ungeachtet er blind war.
§. 55.
Hingegen haͤtten wir von dem Licht und den
Farben gar keinen Begriff, wenn uns das Sehen
mangelte. Es wuͤrde nicht nur dieſe Eigenſchaft der
Materie des Lichts in dem Syſtem unſrer Erkenntniß
fehlen, ſondern es iſt ſehr zu zweifeln, ob wir wiſſen
koͤnnten, daß eine ſolche Materie exiſtirt. Und wenn
es
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764, S. 488. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/510>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.