de; vielleicht giebt es Wesen, die uns um mehrere Schritte noch zurück lassen. Und recht betrachtet, sehen wir denn am Himmel vergleichungsweise mehr, als Blinde in der Luft hören? Jst das uns sichtbare Firmament die ganze Welt? Wie öde scheinen nicht die großen Striche desselben, und wie leer scheint es außer der Milchstraße! Hat die Sonne nur Licht und Wärme? Läßt sie sich nicht noch auf andre Arten empfinden? Jst nur das, was wir sehen, am Him- mel? Hat nur die Luft und die Materie des Lichtes Undulationen?
§. 62.
Sanderson konnte sich die Theorie der Stralen- brechung, die Figur des Auges, die Brechung der Stralen auf dessen Flächen, und endlich auch die Fi- gur des Bildes auf dem Augennetze, alles dieses, ohne den Begriff der Farben zu haben, vorstellen, weil er die Meßkunst verstund, und weil er in dieser Theorie des Auges und des Mechanismus bey dem Sehen unterrichtet wurde. Wir können setzen, daß er auf diese Theorie von sich selbst hätte kommen kön- nen. Allein, ohne daß ihn Sehende versicherten, daß dieser Mechanismus in der Natur wirklich vorkom- me, würde er ihn als eine bloße mechanische Hypo- these, oder auch nur als eine Uebung in der Geome- trie angesehen haben, die er gleichsam für die lange Weile vornähme. Die Folge, die wir hieraus zie- hen, ist, daß es nicht unmöglich ist, einen Mecha- nismum zu gedenken, der bey einem Sinn vorkom- men kann, welchen wir nicht haben, und von dessen klaren Empfindungen wir uns unmöglich einen Be- griff machen können. Zum Behuf dieser Folge kön- nen wir noch anmerken, daß uns der Mechanismus des Sehens ungleich bekannter und einfacher ist, als
der
oder fuͤr ſich gedenkbaren Begriffen.
de; vielleicht giebt es Weſen, die uns um mehrere Schritte noch zuruͤck laſſen. Und recht betrachtet, ſehen wir denn am Himmel vergleichungsweiſe mehr, als Blinde in der Luft hoͤren? Jſt das uns ſichtbare Firmament die ganze Welt? Wie oͤde ſcheinen nicht die großen Striche deſſelben, und wie leer ſcheint es außer der Milchſtraße! Hat die Sonne nur Licht und Waͤrme? Laͤßt ſie ſich nicht noch auf andre Arten empfinden? Jſt nur das, was wir ſehen, am Him- mel? Hat nur die Luft und die Materie des Lichtes Undulationen?
§. 62.
Sanderſon konnte ſich die Theorie der Stralen- brechung, die Figur des Auges, die Brechung der Stralen auf deſſen Flaͤchen, und endlich auch die Fi- gur des Bildes auf dem Augennetze, alles dieſes, ohne den Begriff der Farben zu haben, vorſtellen, weil er die Meßkunſt verſtund, und weil er in dieſer Theorie des Auges und des Mechaniſmus bey dem Sehen unterrichtet wurde. Wir koͤnnen ſetzen, daß er auf dieſe Theorie von ſich ſelbſt haͤtte kommen koͤn- nen. Allein, ohne daß ihn Sehende verſicherten, daß dieſer Mechaniſmus in der Natur wirklich vorkom- me, wuͤrde er ihn als eine bloße mechaniſche Hypo- theſe, oder auch nur als eine Uebung in der Geome- trie angeſehen haben, die er gleichſam fuͤr die lange Weile vornaͤhme. Die Folge, die wir hieraus zie- hen, iſt, daß es nicht unmoͤglich iſt, einen Mecha- niſmum zu gedenken, der bey einem Sinn vorkom- men kann, welchen wir nicht haben, und von deſſen klaren Empfindungen wir uns unmoͤglich einen Be- griff machen koͤnnen. Zum Behuf dieſer Folge koͤn- nen wir noch anmerken, daß uns der Mechaniſmus des Sehens ungleich bekannter und einfacher iſt, als
der
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0515"n="493"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">oder fuͤr ſich gedenkbaren Begriffen.</hi></fw><lb/>
de; vielleicht giebt es Weſen, die uns um mehrere<lb/>
Schritte noch zuruͤck laſſen. Und recht betrachtet, ſehen<lb/>
wir denn am Himmel vergleichungsweiſe mehr, als<lb/>
Blinde in der Luft hoͤren? Jſt das uns ſichtbare<lb/>
Firmament die ganze Welt? Wie oͤde ſcheinen nicht<lb/>
die großen Striche deſſelben, und wie leer ſcheint es<lb/>
außer der Milchſtraße! Hat die Sonne nur Licht und<lb/>
Waͤrme? Laͤßt ſie ſich nicht noch auf andre Arten<lb/>
empfinden? Jſt nur das, was wir ſehen, am Him-<lb/>
mel? Hat nur die Luft und die Materie des Lichtes<lb/>
Undulationen?</p></div><lb/><divn="3"><head>§. 62.</head><lb/><p><hirendition="#fr">Sanderſon</hi> konnte ſich die Theorie der Stralen-<lb/>
brechung, die Figur des Auges, die Brechung der<lb/>
Stralen auf deſſen Flaͤchen, und endlich auch die Fi-<lb/>
gur des Bildes auf dem Augennetze, alles dieſes, ohne<lb/>
den Begriff der Farben zu haben, vorſtellen, weil<lb/>
er die Meßkunſt verſtund, und weil er in dieſer<lb/>
Theorie des Auges und des <hirendition="#aq">Mechaniſmus</hi> bey dem<lb/>
Sehen unterrichtet wurde. Wir koͤnnen ſetzen, daß<lb/>
er auf dieſe Theorie von ſich ſelbſt haͤtte kommen koͤn-<lb/>
nen. Allein, ohne daß ihn Sehende verſicherten, daß<lb/>
dieſer <hirendition="#aq">Mechaniſmus</hi> in der Natur wirklich vorkom-<lb/>
me, wuͤrde er ihn als eine bloße mechaniſche Hypo-<lb/>
theſe, oder auch nur als eine Uebung in der Geome-<lb/>
trie angeſehen haben, die er gleichſam fuͤr die lange<lb/>
Weile vornaͤhme. Die Folge, die wir hieraus zie-<lb/>
hen, iſt, daß es nicht unmoͤglich iſt, einen <hirendition="#aq">Mecha-<lb/>
niſmum</hi> zu gedenken, der bey einem <hirendition="#fr">Sinn</hi> vorkom-<lb/>
men kann, welchen wir nicht haben, und von deſſen<lb/>
klaren Empfindungen wir uns unmoͤglich einen Be-<lb/>
griff machen koͤnnen. Zum Behuf dieſer Folge koͤn-<lb/>
nen wir noch anmerken, daß uns der <hirendition="#aq">Mechaniſmus</hi><lb/>
des Sehens ungleich bekannter und einfacher iſt, als<lb/><fwplace="bottom"type="catch">der</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[493/0515]
oder fuͤr ſich gedenkbaren Begriffen.
de; vielleicht giebt es Weſen, die uns um mehrere
Schritte noch zuruͤck laſſen. Und recht betrachtet, ſehen
wir denn am Himmel vergleichungsweiſe mehr, als
Blinde in der Luft hoͤren? Jſt das uns ſichtbare
Firmament die ganze Welt? Wie oͤde ſcheinen nicht
die großen Striche deſſelben, und wie leer ſcheint es
außer der Milchſtraße! Hat die Sonne nur Licht und
Waͤrme? Laͤßt ſie ſich nicht noch auf andre Arten
empfinden? Jſt nur das, was wir ſehen, am Him-
mel? Hat nur die Luft und die Materie des Lichtes
Undulationen?
§. 62.
Sanderſon konnte ſich die Theorie der Stralen-
brechung, die Figur des Auges, die Brechung der
Stralen auf deſſen Flaͤchen, und endlich auch die Fi-
gur des Bildes auf dem Augennetze, alles dieſes, ohne
den Begriff der Farben zu haben, vorſtellen, weil
er die Meßkunſt verſtund, und weil er in dieſer
Theorie des Auges und des Mechaniſmus bey dem
Sehen unterrichtet wurde. Wir koͤnnen ſetzen, daß
er auf dieſe Theorie von ſich ſelbſt haͤtte kommen koͤn-
nen. Allein, ohne daß ihn Sehende verſicherten, daß
dieſer Mechaniſmus in der Natur wirklich vorkom-
me, wuͤrde er ihn als eine bloße mechaniſche Hypo-
theſe, oder auch nur als eine Uebung in der Geome-
trie angeſehen haben, die er gleichſam fuͤr die lange
Weile vornaͤhme. Die Folge, die wir hieraus zie-
hen, iſt, daß es nicht unmoͤglich iſt, einen Mecha-
niſmum zu gedenken, der bey einem Sinn vorkom-
men kann, welchen wir nicht haben, und von deſſen
klaren Empfindungen wir uns unmoͤglich einen Be-
griff machen koͤnnen. Zum Behuf dieſer Folge koͤn-
nen wir noch anmerken, daß uns der Mechaniſmus
des Sehens ungleich bekannter und einfacher iſt, als
der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764, S. 493. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/515>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.