Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

Von dem Hypothetischen der Sprache.
abstracten Begriff unter einem sinnlichen Bilde vor-
stellt. Und diese Vergleichung muß unmittelbar seyn,
daferne das Wort zu der zweyten Classe solle können
gerechnet werden. Die Auseinandersetzung der Ver-
gleichungsstücke, so weit sie immer reichen mögen, klärt
solche Begriffe am besten und deutlichsten auf, und
was in dem abstracten Begriffe willkührlich und wan-
kend scheinen möchte, wird dadurch auf ein nettes Gan-
zes gebracht, von welchem man um desto weniger Ursa-
che hat, abzugehen, weil die Aehnlichkeit des Eindru-
ckes, welche den abstracten Begriff bildet, dabey ganz
zum Grunde liegt. Auf diese Art sind z. E. in der Er-
findungskunst die Begriffe Rückweg, Umweg,
Abweg, Spur, Leitfaden, Lücke, Fragment, etc.

von sinnlichen Dingen hergenommen, und sehr brauch-
bar und bestimmt, wenn man die Vergleichungsstücke
dabey entwickelt und die Allegorie fortsetzt.

§. 344. Auf die erstbeschriebene Art zu verfahren,
erhält man Klarheit und Deutlichkeit bey den abstra-
cten Begriffen, weil jede Vergleichungsstücke durch die
Vergleichung mit einem sinnlichen Bilde auseinander-
gesetzt werden. Die Möglichkeit, einander verständlich
zu bleiben, gründet sich darauf, daß andere die ihnen
vorgezeigte Aehnlichkeit des Eindruckes ebenfalls em-
pfinden können, wenn sie von dem sinnlichen Bilde
klare Begriffe haben. Diese Forderung richtet sich aller-
dings nach den besondern Fähigkeiten einzelner Men-
schen, und nach der Geschicklichkeit und Bemühung,
auch den Einfältigsten verständlich zu bleiben. Dem-
nach gilt auch hievon, was wir in der Dianoiologie von
den menschlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten überhaupt
angemerkt haben (§. 531. seqq. l. cit.)

§. 345. Hingegen bey der dritten Classe von Wör-
tern, wobey die Vergleichung mit sinnlichen Bildern
nicht unmittelbar ist, sondern welche durch andere eben-
falls abstracte Wörter müssen definirt werden, fällt die

Klar-
Lamb. Organon II B. O

Von dem Hypothetiſchen der Sprache.
abſtracten Begriff unter einem ſinnlichen Bilde vor-
ſtellt. Und dieſe Vergleichung muß unmittelbar ſeyn,
daferne das Wort zu der zweyten Claſſe ſolle koͤnnen
gerechnet werden. Die Auseinanderſetzung der Ver-
gleichungsſtuͤcke, ſo weit ſie immer reichen moͤgen, klaͤrt
ſolche Begriffe am beſten und deutlichſten auf, und
was in dem abſtracten Begriffe willkuͤhrlich und wan-
kend ſcheinen moͤchte, wird dadurch auf ein nettes Gan-
zes gebracht, von welchem man um deſto weniger Urſa-
che hat, abzugehen, weil die Aehnlichkeit des Eindru-
ckes, welche den abſtracten Begriff bildet, dabey ganz
zum Grunde liegt. Auf dieſe Art ſind z. E. in der Er-
findungskunſt die Begriffe Ruͤckweg, Umweg,
Abweg, Spur, Leitfaden, Luͤcke, Fragment, ꝛc.

von ſinnlichen Dingen hergenommen, und ſehr brauch-
bar und beſtimmt, wenn man die Vergleichungsſtuͤcke
dabey entwickelt und die Allegorie fortſetzt.

§. 344. Auf die erſtbeſchriebene Art zu verfahren,
erhaͤlt man Klarheit und Deutlichkeit bey den abſtra-
cten Begriffen, weil jede Vergleichungsſtuͤcke durch die
Vergleichung mit einem ſinnlichen Bilde auseinander-
geſetzt werden. Die Moͤglichkeit, einander verſtaͤndlich
zu bleiben, gruͤndet ſich darauf, daß andere die ihnen
vorgezeigte Aehnlichkeit des Eindruckes ebenfalls em-
pfinden koͤnnen, wenn ſie von dem ſinnlichen Bilde
klare Begriffe haben. Dieſe Forderung richtet ſich aller-
dings nach den beſondern Faͤhigkeiten einzelner Men-
ſchen, und nach der Geſchicklichkeit und Bemuͤhung,
auch den Einfaͤltigſten verſtaͤndlich zu bleiben. Dem-
nach gilt auch hievon, was wir in der Dianoiologie von
den menſchlichen Faͤhigkeiten und Fertigkeiten uͤberhaupt
angemerkt haben (§. 531. ſeqq. l. cit.)

§. 345. Hingegen bey der dritten Claſſe von Woͤr-
tern, wobey die Vergleichung mit ſinnlichen Bildern
nicht unmittelbar iſt, ſondern welche durch andere eben-
falls abſtracte Woͤrter muͤſſen definirt werden, faͤllt die

Klar-
Lamb. Organon II B. O
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0215" n="209"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Von dem Hypotheti&#x017F;chen der Sprache.</hi></fw><lb/>
ab&#x017F;tracten Begriff unter einem &#x017F;innlichen Bilde vor-<lb/>
&#x017F;tellt. Und die&#x017F;e Vergleichung muß unmittelbar &#x017F;eyn,<lb/>
daferne das Wort zu der zweyten Cla&#x017F;&#x017F;e &#x017F;olle ko&#x0364;nnen<lb/>
gerechnet werden. Die Auseinander&#x017F;etzung der Ver-<lb/>
gleichungs&#x017F;tu&#x0364;cke, &#x017F;o weit &#x017F;ie immer reichen mo&#x0364;gen, kla&#x0364;rt<lb/>
&#x017F;olche Begriffe am be&#x017F;ten und deutlich&#x017F;ten auf, und<lb/>
was in dem ab&#x017F;tracten Begriffe willku&#x0364;hrlich und wan-<lb/>
kend &#x017F;cheinen mo&#x0364;chte, wird dadurch auf ein nettes Gan-<lb/>
zes gebracht, von welchem man um de&#x017F;to weniger Ur&#x017F;a-<lb/>
che hat, abzugehen, weil die Aehnlichkeit des Eindru-<lb/>
ckes, welche den ab&#x017F;tracten Begriff bildet, dabey ganz<lb/>
zum Grunde liegt. Auf die&#x017F;e Art &#x017F;ind z. E. in der Er-<lb/>
findungskun&#x017F;t die Begriffe <hi rendition="#fr">Ru&#x0364;ckweg, Umweg,<lb/>
Abweg, Spur, Leitfaden, Lu&#x0364;cke, Fragment, &#xA75B;c.</hi><lb/>
von &#x017F;innlichen Dingen hergenommen, und &#x017F;ehr brauch-<lb/>
bar und be&#x017F;timmt, wenn man die Vergleichungs&#x017F;tu&#x0364;cke<lb/>
dabey entwickelt und die Allegorie fort&#x017F;etzt.</p><lb/>
          <p>§. 344. Auf die er&#x017F;tbe&#x017F;chriebene Art zu verfahren,<lb/>
erha&#x0364;lt man Klarheit und Deutlichkeit bey den ab&#x017F;tra-<lb/>
cten Begriffen, weil jede Vergleichungs&#x017F;tu&#x0364;cke durch die<lb/>
Vergleichung mit einem &#x017F;innlichen Bilde auseinander-<lb/>
ge&#x017F;etzt werden. Die Mo&#x0364;glichkeit, einander ver&#x017F;ta&#x0364;ndlich<lb/>
zu bleiben, gru&#x0364;ndet &#x017F;ich darauf, daß andere die ihnen<lb/>
vorgezeigte Aehnlichkeit des Eindruckes ebenfalls em-<lb/>
pfinden ko&#x0364;nnen, wenn &#x017F;ie von dem &#x017F;innlichen Bilde<lb/>
klare Begriffe haben. Die&#x017F;e Forderung richtet &#x017F;ich aller-<lb/>
dings nach den be&#x017F;ondern Fa&#x0364;higkeiten einzelner Men-<lb/>
&#x017F;chen, und nach der Ge&#x017F;chicklichkeit und Bemu&#x0364;hung,<lb/>
auch den Einfa&#x0364;ltig&#x017F;ten ver&#x017F;ta&#x0364;ndlich zu bleiben. Dem-<lb/>
nach gilt auch hievon, was wir in der Dianoiologie von<lb/>
den men&#x017F;chlichen Fa&#x0364;higkeiten und Fertigkeiten u&#x0364;berhaupt<lb/>
angemerkt haben (§. 531. <hi rendition="#aq">&#x017F;eqq. l. cit.</hi>)</p><lb/>
          <p>§. 345. Hingegen bey der dritten Cla&#x017F;&#x017F;e von Wo&#x0364;r-<lb/>
tern, wobey die Vergleichung mit &#x017F;innlichen Bildern<lb/>
nicht unmittelbar i&#x017F;t, &#x017F;ondern welche durch andere eben-<lb/>
falls ab&#x017F;tracte Wo&#x0364;rter mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en definirt werden, fa&#x0364;llt die<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Lamb. Organon <hi rendition="#aq">II</hi> B. O</fw><fw place="bottom" type="catch">Klar-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[209/0215] Von dem Hypothetiſchen der Sprache. abſtracten Begriff unter einem ſinnlichen Bilde vor- ſtellt. Und dieſe Vergleichung muß unmittelbar ſeyn, daferne das Wort zu der zweyten Claſſe ſolle koͤnnen gerechnet werden. Die Auseinanderſetzung der Ver- gleichungsſtuͤcke, ſo weit ſie immer reichen moͤgen, klaͤrt ſolche Begriffe am beſten und deutlichſten auf, und was in dem abſtracten Begriffe willkuͤhrlich und wan- kend ſcheinen moͤchte, wird dadurch auf ein nettes Gan- zes gebracht, von welchem man um deſto weniger Urſa- che hat, abzugehen, weil die Aehnlichkeit des Eindru- ckes, welche den abſtracten Begriff bildet, dabey ganz zum Grunde liegt. Auf dieſe Art ſind z. E. in der Er- findungskunſt die Begriffe Ruͤckweg, Umweg, Abweg, Spur, Leitfaden, Luͤcke, Fragment, ꝛc. von ſinnlichen Dingen hergenommen, und ſehr brauch- bar und beſtimmt, wenn man die Vergleichungsſtuͤcke dabey entwickelt und die Allegorie fortſetzt. §. 344. Auf die erſtbeſchriebene Art zu verfahren, erhaͤlt man Klarheit und Deutlichkeit bey den abſtra- cten Begriffen, weil jede Vergleichungsſtuͤcke durch die Vergleichung mit einem ſinnlichen Bilde auseinander- geſetzt werden. Die Moͤglichkeit, einander verſtaͤndlich zu bleiben, gruͤndet ſich darauf, daß andere die ihnen vorgezeigte Aehnlichkeit des Eindruckes ebenfalls em- pfinden koͤnnen, wenn ſie von dem ſinnlichen Bilde klare Begriffe haben. Dieſe Forderung richtet ſich aller- dings nach den beſondern Faͤhigkeiten einzelner Men- ſchen, und nach der Geſchicklichkeit und Bemuͤhung, auch den Einfaͤltigſten verſtaͤndlich zu bleiben. Dem- nach gilt auch hievon, was wir in der Dianoiologie von den menſchlichen Faͤhigkeiten und Fertigkeiten uͤberhaupt angemerkt haben (§. 531. ſeqq. l. cit.) §. 345. Hingegen bey der dritten Claſſe von Woͤr- tern, wobey die Vergleichung mit ſinnlichen Bildern nicht unmittelbar iſt, ſondern welche durch andere eben- falls abſtracte Woͤrter muͤſſen definirt werden, faͤllt die Klar- Lamb. Organon II B. O

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/215
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/215>, abgerufen am 11.05.2024.