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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

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I. Hauptstück.
den Ohren jedermann bekannt. Jm Schwindel
scheint alles sich umzudrehen, und im Traume stellen
wir uns Dinge eben so lebhaft vor, als wenn sie vor-
handen wären. Die innere Wärme des Leibes mischt
sich vielfältig in das Urtheil, so wir, der Empfindung
nach, von der äußern Wärme fällen, und die Thermo-
meter haben uns gelehrt, daß einerley Temperatur der
Luft uns kalt und warm vorkommen könne. Ueber-
haupt mengen sich die aus innerlichen Ursachen herrüh-
renden Bewegungen der Empfindungsnerven in die, so
von den äußern Gegenständen herkommen, und erst an-
gezogene Erfahrungen zeigen, daß jene auch ohne diese
allein wirken, oder sie in der Wirkung überwiegen kön-
nen. Von dem, was in hitzigen Fiebern, im Deliri-
ren etc. vorgeht, ist hier unnöthig anzuführen, weil solche
Zufälle sich bey gesundem Zustande der Sinnen nicht
einfinden.

§. 8. Jndessen zeigen uns diese Beobachtungen ei-
ne besondere Art und Quelle des Scheins an, welcher
sich, auch ohne von äußern Gegenständen veranlaßt zu
werden, einfinden kann. Es kann daher Fälle geben,
wo man in der That sich aus andern Gründen, Kenn-
zeichen und Versuchen versichern muß, ob ein solches
Blendwerk vorgehe, oder die Sache wirklich sey? Bey
unerwarteten und unmöglich scheinenden Fällen zwei-
feln wir an der Wirklichkeit, und hinwiederum nach
gar zu lebhaften Träumen stehen wir an, ob es nicht
wirklich sey?

§. 9. Aber auch dieser Unterschied ist von den Jdea-
listen angefochten worden, als welche diese zweyte Art
des Scheins schlechthin auf alles ausdehnen, was wir
sonst wirklich außer uns zu seyn glauben. Sie machen
zwischen dem, was wir wachend sehen, und dem, was
wir im Traume sehen, keinen andern Unterschied, als
den, so zwischen einer zusammenhängenden und nicht

zusam-

I. Hauptſtuͤck.
den Ohren jedermann bekannt. Jm Schwindel
ſcheint alles ſich umzudrehen, und im Traume ſtellen
wir uns Dinge eben ſo lebhaft vor, als wenn ſie vor-
handen waͤren. Die innere Waͤrme des Leibes miſcht
ſich vielfaͤltig in das Urtheil, ſo wir, der Empfindung
nach, von der aͤußern Waͤrme faͤllen, und die Thermo-
meter haben uns gelehrt, daß einerley Temperatur der
Luft uns kalt und warm vorkommen koͤnne. Ueber-
haupt mengen ſich die aus innerlichen Urſachen herruͤh-
renden Bewegungen der Empfindungsnerven in die, ſo
von den aͤußern Gegenſtaͤnden herkommen, und erſt an-
gezogene Erfahrungen zeigen, daß jene auch ohne dieſe
allein wirken, oder ſie in der Wirkung uͤberwiegen koͤn-
nen. Von dem, was in hitzigen Fiebern, im Deliri-
ren ꝛc. vorgeht, iſt hier unnoͤthig anzufuͤhren, weil ſolche
Zufaͤlle ſich bey geſundem Zuſtande der Sinnen nicht
einfinden.

§. 8. Jndeſſen zeigen uns dieſe Beobachtungen ei-
ne beſondere Art und Quelle des Scheins an, welcher
ſich, auch ohne von aͤußern Gegenſtaͤnden veranlaßt zu
werden, einfinden kann. Es kann daher Faͤlle geben,
wo man in der That ſich aus andern Gruͤnden, Kenn-
zeichen und Verſuchen verſichern muß, ob ein ſolches
Blendwerk vorgehe, oder die Sache wirklich ſey? Bey
unerwarteten und unmoͤglich ſcheinenden Faͤllen zwei-
feln wir an der Wirklichkeit, und hinwiederum nach
gar zu lebhaften Traͤumen ſtehen wir an, ob es nicht
wirklich ſey?

§. 9. Aber auch dieſer Unterſchied iſt von den Jdea-
liſten angefochten worden, als welche dieſe zweyte Art
des Scheins ſchlechthin auf alles ausdehnen, was wir
ſonſt wirklich außer uns zu ſeyn glauben. Sie machen
zwiſchen dem, was wir wachend ſehen, und dem, was
wir im Traume ſehen, keinen andern Unterſchied, als
den, ſo zwiſchen einer zuſammenhaͤngenden und nicht

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[222/0228] I. Hauptſtuͤck. den Ohren jedermann bekannt. Jm Schwindel ſcheint alles ſich umzudrehen, und im Traume ſtellen wir uns Dinge eben ſo lebhaft vor, als wenn ſie vor- handen waͤren. Die innere Waͤrme des Leibes miſcht ſich vielfaͤltig in das Urtheil, ſo wir, der Empfindung nach, von der aͤußern Waͤrme faͤllen, und die Thermo- meter haben uns gelehrt, daß einerley Temperatur der Luft uns kalt und warm vorkommen koͤnne. Ueber- haupt mengen ſich die aus innerlichen Urſachen herruͤh- renden Bewegungen der Empfindungsnerven in die, ſo von den aͤußern Gegenſtaͤnden herkommen, und erſt an- gezogene Erfahrungen zeigen, daß jene auch ohne dieſe allein wirken, oder ſie in der Wirkung uͤberwiegen koͤn- nen. Von dem, was in hitzigen Fiebern, im Deliri- ren ꝛc. vorgeht, iſt hier unnoͤthig anzufuͤhren, weil ſolche Zufaͤlle ſich bey geſundem Zuſtande der Sinnen nicht einfinden. §. 8. Jndeſſen zeigen uns dieſe Beobachtungen ei- ne beſondere Art und Quelle des Scheins an, welcher ſich, auch ohne von aͤußern Gegenſtaͤnden veranlaßt zu werden, einfinden kann. Es kann daher Faͤlle geben, wo man in der That ſich aus andern Gruͤnden, Kenn- zeichen und Verſuchen verſichern muß, ob ein ſolches Blendwerk vorgehe, oder die Sache wirklich ſey? Bey unerwarteten und unmoͤglich ſcheinenden Faͤllen zwei- feln wir an der Wirklichkeit, und hinwiederum nach gar zu lebhaften Traͤumen ſtehen wir an, ob es nicht wirklich ſey? §. 9. Aber auch dieſer Unterſchied iſt von den Jdea- liſten angefochten worden, als welche dieſe zweyte Art des Scheins ſchlechthin auf alles ausdehnen, was wir ſonſt wirklich außer uns zu ſeyn glauben. Sie machen zwiſchen dem, was wir wachend ſehen, und dem, was wir im Traume ſehen, keinen andern Unterſchied, als den, ſo zwiſchen einer zuſammenhaͤngenden und nicht zuſam-

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/228>, abgerufen am 26.11.2024.