verschiedene Arten des psychologischen Scheins haben wir bereits in dem ersten Hauptstücke angezeigt, und werden sie nun umständlicher betrachten.
§. 112. Das Bewußtseyn hat überhaupt den Er- folg, daß wir geneigt sind, aus dem Mangel des Be- wußtseyns auf das nicht seyn zu schließen, und daher die Begriffe, so wie wir sie uns jedesmal vorstellen, als vollständig anzusehen, ungeacht sie es nicht sind. Die- ses kann vorkommen, es sey, daß wir nur einige Be- stimmungen vergessen, oder daß wir sie in der That nie gewußt haben. Jn beyden Fällen bleibt in der Vor- stellung des Begriffes eine Lücke, und die Theorie da- von reicht nicht so weit als die Sache selbst. So wenn man zu dem Begriff eines Körpers nur die Ausdeh- nung, zu dem Begriff der Unsterblichkeit der Seele nur die Jmmaterialität nimmt, so reicht man damit nicht aus, weil ein Körper solid ist, und den Raum ausfüllt, und weil man zu dem nicht sterben, das nicht vernichtet werden, und das Bewußtseyn mitnehmen muß.
§. 113. Noch leichter aber fällt man in diesen Feh- ler, bey der Abzählung der Arten, Glieder, Fälle etc. die zu einer Gattung oder Classe gehören. Wir haben die Schwierigkeiten, solche Abzählungen vollständig zu machen, und sie zu beweisen, in dem zweyten Haupt- stücke der Dianoiologie angezeigt. Bey mehreren Ar- ten der Möglichkeit einer Sache, bey mehrern mögli- chen Absichten einer Handlung, Auslegungen einer Re- de etc. scheint uns öfters die, so uns beyfällt, so einleuch- tend, als wenn sie die einzige wäre, so, daß wir uns nur nicht in Sinn kommen lassen, andere zu suchen. Bey Dingen, die wirklich geschehen sind, oder geschehen wer- den, hat von solchen Möglichkeiten allerdings jedesmal nur eine statt. Ob es aber eben die sey, die wir uns sogleich dabey vorstellen, das ist eine andere Frage, die durch genaueres Aufsuchen der Umstände erörtert wer-
den
III. Hauptſtuͤck.
verſchiedene Arten des pſychologiſchen Scheins haben wir bereits in dem erſten Hauptſtuͤcke angezeigt, und werden ſie nun umſtaͤndlicher betrachten.
§. 112. Das Bewußtſeyn hat uͤberhaupt den Er- folg, daß wir geneigt ſind, aus dem Mangel des Be- wußtſeyns auf das nicht ſeyn zu ſchließen, und daher die Begriffe, ſo wie wir ſie uns jedesmal vorſtellen, als vollſtaͤndig anzuſehen, ungeacht ſie es nicht ſind. Die- ſes kann vorkommen, es ſey, daß wir nur einige Be- ſtimmungen vergeſſen, oder daß wir ſie in der That nie gewußt haben. Jn beyden Faͤllen bleibt in der Vor- ſtellung des Begriffes eine Luͤcke, und die Theorie da- von reicht nicht ſo weit als die Sache ſelbſt. So wenn man zu dem Begriff eines Koͤrpers nur die Ausdeh- nung, zu dem Begriff der Unſterblichkeit der Seele nur die Jmmaterialitaͤt nimmt, ſo reicht man damit nicht aus, weil ein Koͤrper ſolid iſt, und den Raum ausfuͤllt, und weil man zu dem nicht ſterben, das nicht vernichtet werden, und das Bewußtſeyn mitnehmen muß.
§. 113. Noch leichter aber faͤllt man in dieſen Feh- ler, bey der Abzaͤhlung der Arten, Glieder, Faͤlle ꝛc. die zu einer Gattung oder Claſſe gehoͤren. Wir haben die Schwierigkeiten, ſolche Abzaͤhlungen vollſtaͤndig zu machen, und ſie zu beweiſen, in dem zweyten Haupt- ſtuͤcke der Dianoiologie angezeigt. Bey mehreren Ar- ten der Moͤglichkeit einer Sache, bey mehrern moͤgli- chen Abſichten einer Handlung, Auslegungen einer Re- de ꝛc. ſcheint uns oͤfters die, ſo uns beyfaͤllt, ſo einleuch- tend, als wenn ſie die einzige waͤre, ſo, daß wir uns nur nicht in Sinn kommen laſſen, andere zu ſuchen. Bey Dingen, die wirklich geſchehen ſind, oder geſchehen wer- den, hat von ſolchen Moͤglichkeiten allerdings jedesmal nur eine ſtatt. Ob es aber eben die ſey, die wir uns ſogleich dabey vorſtellen, das iſt eine andere Frage, die durch genaueres Aufſuchen der Umſtaͤnde eroͤrtert wer-
den
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III. Hauptſtuͤck.
verſchiedene Arten des pſychologiſchen Scheins haben
wir bereits in dem erſten Hauptſtuͤcke angezeigt, und
werden ſie nun umſtaͤndlicher betrachten.
§. 112. Das Bewußtſeyn hat uͤberhaupt den Er-
folg, daß wir geneigt ſind, aus dem Mangel des Be-
wußtſeyns auf das nicht ſeyn zu ſchließen, und daher
die Begriffe, ſo wie wir ſie uns jedesmal vorſtellen, als
vollſtaͤndig anzuſehen, ungeacht ſie es nicht ſind. Die-
ſes kann vorkommen, es ſey, daß wir nur einige Be-
ſtimmungen vergeſſen, oder daß wir ſie in der That nie
gewußt haben. Jn beyden Faͤllen bleibt in der Vor-
ſtellung des Begriffes eine Luͤcke, und die Theorie da-
von reicht nicht ſo weit als die Sache ſelbſt. So wenn
man zu dem Begriff eines Koͤrpers nur die Ausdeh-
nung, zu dem Begriff der Unſterblichkeit der Seele nur
die Jmmaterialitaͤt nimmt, ſo reicht man damit nicht
aus, weil ein Koͤrper ſolid iſt, und den Raum ausfuͤllt,
und weil man zu dem nicht ſterben, das nicht vernichtet
werden, und das Bewußtſeyn mitnehmen muß.
§. 113. Noch leichter aber faͤllt man in dieſen Feh-
ler, bey der Abzaͤhlung der Arten, Glieder, Faͤlle ꝛc.
die zu einer Gattung oder Claſſe gehoͤren. Wir haben
die Schwierigkeiten, ſolche Abzaͤhlungen vollſtaͤndig zu
machen, und ſie zu beweiſen, in dem zweyten Haupt-
ſtuͤcke der Dianoiologie angezeigt. Bey mehreren Ar-
ten der Moͤglichkeit einer Sache, bey mehrern moͤgli-
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de ꝛc. ſcheint uns oͤfters die, ſo uns beyfaͤllt, ſo einleuch-
tend, als wenn ſie die einzige waͤre, ſo, daß wir uns nur
nicht in Sinn kommen laſſen, andere zu ſuchen. Bey
Dingen, die wirklich geſchehen ſind, oder geſchehen wer-
den, hat von ſolchen Moͤglichkeiten allerdings jedesmal
nur eine ſtatt. Ob es aber eben die ſey, die wir uns
ſogleich dabey vorſtellen, das iſt eine andere Frage, die
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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/294>, abgerufen am 24.11.2024.
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