Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

Von dem psychologischen Schein.
es Fälle giebt, wo auch der reine Verstand die Bilder
der Einbildungskraft beybehält. 2. Daß aber auch in
diesen Fällen die symbolische Erkenntniß die Vorstellung
erleichtere und deutlicher machen helfe. 3. Daß bey
abstracten Begriffen die Einbildungkraft individuale
Bestimmungen mit einmenge, von welchen der reine
Verstand abstrahiren muß. 4. Daß dieses Abstraht-
ren nicht wohl anders geschehe, als indem wir Begriffe
und Urtheile durch Worte oder Zeichen ausdrücken, mit
dem Bewußtseyn, daß sie allgemein, wahr und richtig
seyn. 5. Daß man auf diese Art vermittelst des Ab-
strahirens und der Schlüsse die abstracte Erkenntniß
weit über die Einbildungskraft hinaufschwingen könne,
aber auch, um sie brauchbar zu machen, in der Anwen-
dung solcher abstractern Erkenntniß sie dem Jndividua-
len wiederum näher bringen müsse. Uebrigens haben
wir bereits (§. 97.) angemerkt, daß auch der Schein
uns allgemeine Sätze und Verhältnisse anbiete, die sich
auf eben so allgemeine Verhältnisse in der Sache selbst
gründen. Jene können ohne diese aus der Erfahrung
gefunden werden, und so lange uns diese unbekannt
sind, müssen wir uns mit jenen begnügen, und können
es um so mehr thun, da der gemeine Gebrauch fast
mehr die Sprache des Scheins als die wahre fordert
(§. 66. 73.).



Viertes

Von dem pſychologiſchen Schein.
es Faͤlle giebt, wo auch der reine Verſtand die Bilder
der Einbildungskraft beybehaͤlt. 2. Daß aber auch in
dieſen Faͤllen die ſymboliſche Erkenntniß die Vorſtellung
erleichtere und deutlicher machen helfe. 3. Daß bey
abſtracten Begriffen die Einbildungkraft individuale
Beſtimmungen mit einmenge, von welchen der reine
Verſtand abſtrahiren muß. 4. Daß dieſes Abſtraht-
ren nicht wohl anders geſchehe, als indem wir Begriffe
und Urtheile durch Worte oder Zeichen ausdruͤcken, mit
dem Bewußtſeyn, daß ſie allgemein, wahr und richtig
ſeyn. 5. Daß man auf dieſe Art vermittelſt des Ab-
ſtrahirens und der Schluͤſſe die abſtracte Erkenntniß
weit uͤber die Einbildungskraft hinaufſchwingen koͤnne,
aber auch, um ſie brauchbar zu machen, in der Anwen-
dung ſolcher abſtractern Erkenntniß ſie dem Jndividua-
len wiederum naͤher bringen muͤſſe. Uebrigens haben
wir bereits (§. 97.) angemerkt, daß auch der Schein
uns allgemeine Saͤtze und Verhaͤltniſſe anbiete, die ſich
auf eben ſo allgemeine Verhaͤltniſſe in der Sache ſelbſt
gruͤnden. Jene koͤnnen ohne dieſe aus der Erfahrung
gefunden werden, und ſo lange uns dieſe unbekannt
ſind, muͤſſen wir uns mit jenen begnuͤgen, und koͤnnen
es um ſo mehr thun, da der gemeine Gebrauch faſt
mehr die Sprache des Scheins als die wahre fordert
(§. 66. 73.).



Viertes
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0305" n="299"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Von dem p&#x017F;ychologi&#x017F;chen Schein.</hi></fw><lb/>
es Fa&#x0364;lle giebt, wo auch der reine Ver&#x017F;tand die Bilder<lb/>
der Einbildungskraft beybeha&#x0364;lt. 2. Daß aber auch in<lb/>
die&#x017F;en Fa&#x0364;llen die &#x017F;ymboli&#x017F;che Erkenntniß die Vor&#x017F;tellung<lb/>
erleichtere und deutlicher machen helfe. 3. Daß bey<lb/>
ab&#x017F;tracten Begriffen die Einbildungkraft individuale<lb/>
Be&#x017F;timmungen mit einmenge, von welchen der reine<lb/>
Ver&#x017F;tand ab&#x017F;trahiren muß. 4. Daß die&#x017F;es Ab&#x017F;traht-<lb/>
ren nicht wohl anders ge&#x017F;chehe, als indem wir Begriffe<lb/>
und Urtheile durch Worte oder Zeichen ausdru&#x0364;cken, mit<lb/>
dem Bewußt&#x017F;eyn, daß &#x017F;ie allgemein, wahr und richtig<lb/>
&#x017F;eyn. 5. Daß man auf die&#x017F;e Art vermittel&#x017F;t des Ab-<lb/>
&#x017F;trahirens und der Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e die ab&#x017F;tracte Erkenntniß<lb/>
weit u&#x0364;ber die Einbildungskraft hinauf&#x017F;chwingen ko&#x0364;nne,<lb/>
aber auch, um &#x017F;ie brauchbar zu machen, in der Anwen-<lb/>
dung &#x017F;olcher ab&#x017F;tractern Erkenntniß &#x017F;ie dem Jndividua-<lb/>
len wiederum na&#x0364;her bringen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e. Uebrigens haben<lb/>
wir bereits (§. 97.) angemerkt, daß auch der Schein<lb/>
uns allgemeine Sa&#x0364;tze und Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e anbiete, die &#x017F;ich<lb/>
auf eben &#x017F;o allgemeine Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e in der Sache &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
gru&#x0364;nden. Jene ko&#x0364;nnen ohne die&#x017F;e aus der Erfahrung<lb/>
gefunden werden, und &#x017F;o lange uns die&#x017F;e unbekannt<lb/>
&#x017F;ind, mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en wir uns mit jenen begnu&#x0364;gen, und ko&#x0364;nnen<lb/>
es um &#x017F;o mehr thun, da der gemeine Gebrauch fa&#x017F;t<lb/>
mehr die Sprache des Scheins als die wahre fordert<lb/>
(§. 66. 73.).</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#b">Viertes</hi> </fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[299/0305] Von dem pſychologiſchen Schein. es Faͤlle giebt, wo auch der reine Verſtand die Bilder der Einbildungskraft beybehaͤlt. 2. Daß aber auch in dieſen Faͤllen die ſymboliſche Erkenntniß die Vorſtellung erleichtere und deutlicher machen helfe. 3. Daß bey abſtracten Begriffen die Einbildungkraft individuale Beſtimmungen mit einmenge, von welchen der reine Verſtand abſtrahiren muß. 4. Daß dieſes Abſtraht- ren nicht wohl anders geſchehe, als indem wir Begriffe und Urtheile durch Worte oder Zeichen ausdruͤcken, mit dem Bewußtſeyn, daß ſie allgemein, wahr und richtig ſeyn. 5. Daß man auf dieſe Art vermittelſt des Ab- ſtrahirens und der Schluͤſſe die abſtracte Erkenntniß weit uͤber die Einbildungskraft hinaufſchwingen koͤnne, aber auch, um ſie brauchbar zu machen, in der Anwen- dung ſolcher abſtractern Erkenntniß ſie dem Jndividua- len wiederum naͤher bringen muͤſſe. Uebrigens haben wir bereits (§. 97.) angemerkt, daß auch der Schein uns allgemeine Saͤtze und Verhaͤltniſſe anbiete, die ſich auf eben ſo allgemeine Verhaͤltniſſe in der Sache ſelbſt gruͤnden. Jene koͤnnen ohne dieſe aus der Erfahrung gefunden werden, und ſo lange uns dieſe unbekannt ſind, muͤſſen wir uns mit jenen begnuͤgen, und koͤnnen es um ſo mehr thun, da der gemeine Gebrauch faſt mehr die Sprache des Scheins als die wahre fordert (§. 66. 73.). Viertes

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/305
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/305>, abgerufen am 20.05.2024.