Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

Von dem moralischen Schein.
ändert, oder in andere Formen gebracht werden, und
wie schwer es dabey ist, nicht nur die Wahrheit, sondern
auch den wahren Grad der Erheblichkeit eines jeden
Satzes zu bestimmen, und bey der einmal festgesetzten
Bestimmung zu bleiben.

§. 128. Wir haben den Einfluß der Leidenschaften
in die Veränderungen des Scheins bereits in dem er-
sten Hauptstücke kürzlich angezeigt, und den daher rüh-
renden Schein moralisch genennt (§. 17. 18. 22.), theils
um ihn durch ein eigenes Wort von dem physischen
und psychologischen zu unterscheiden, theils auch,
weil in der That der Wille, die Leidenschaften und die
Begriffe des Guten und Bösen Gegenstände der Mo-
ral sind. Wir werden aber, ohne uns bey dem Worte
aufzuhalten, stückweise anzeigen, was wir unter dem
moralischen Schein verstehen, und wie weitläuftig
sich die Theorie desselben ausbreite.

§. 129. Zu diesem Ende merken wir an, daß man
in der Sittenlehre längst schon das wahre Gute von
dem Scheingut unterschieden hat, weil zwischen gut
scheinen und gut seyn allerdings ein Unterschied ist.
Wir haben die Theorie dieses Unterschiedes oben schon
(§. 30.) als einen specialen Theil der Phänomenologie
angegeben. Es ist aber diese Theorie fast nichts anders,
als eine Anwendung der Lehre des physischen und psy-
chologischen Scheins auf das Gute. Wir haben da-
her in vorgehendem Hauptstücke einige Fälle davon als
Beyspiele angeführt (§. 107. 108. 113. 116.), und werden
hier nur die ersten Grundbegriffe dazu angeben, und die
verschiedenen Arten des Scheinguten bestimmen. Wir
merken demnach an, daß es bey Beurtheilung des Gu-
ten auf eine Schlußrede ankomme. Der Unterfatz zeigt
die Beschaffenheit der Sache an. Der Obersatz
aber giebt an, daß eine Sache von solcher Beschaffen-
heit gut sey. Jn Ansehung dieser Schlußrede können

nun

Von dem moraliſchen Schein.
aͤndert, oder in andere Formen gebracht werden, und
wie ſchwer es dabey iſt, nicht nur die Wahrheit, ſondern
auch den wahren Grad der Erheblichkeit eines jeden
Satzes zu beſtimmen, und bey der einmal feſtgeſetzten
Beſtimmung zu bleiben.

§. 128. Wir haben den Einfluß der Leidenſchaften
in die Veraͤnderungen des Scheins bereits in dem er-
ſten Hauptſtuͤcke kuͤrzlich angezeigt, und den daher ruͤh-
renden Schein moraliſch genennt (§. 17. 18. 22.), theils
um ihn durch ein eigenes Wort von dem phyſiſchen
und pſychologiſchen zu unterſcheiden, theils auch,
weil in der That der Wille, die Leidenſchaften und die
Begriffe des Guten und Boͤſen Gegenſtaͤnde der Mo-
ral ſind. Wir werden aber, ohne uns bey dem Worte
aufzuhalten, ſtuͤckweiſe anzeigen, was wir unter dem
moraliſchen Schein verſtehen, und wie weitlaͤuftig
ſich die Theorie deſſelben ausbreite.

§. 129. Zu dieſem Ende merken wir an, daß man
in der Sittenlehre laͤngſt ſchon das wahre Gute von
dem Scheingut unterſchieden hat, weil zwiſchen gut
ſcheinen und gut ſeyn allerdings ein Unterſchied iſt.
Wir haben die Theorie dieſes Unterſchiedes oben ſchon
(§. 30.) als einen ſpecialen Theil der Phaͤnomenologie
angegeben. Es iſt aber dieſe Theorie faſt nichts anders,
als eine Anwendung der Lehre des phyſiſchen und pſy-
chologiſchen Scheins auf das Gute. Wir haben da-
her in vorgehendem Hauptſtuͤcke einige Faͤlle davon als
Beyſpiele angefuͤhrt (§. 107. 108. 113. 116.), und werden
hier nur die erſten Grundbegriffe dazu angeben, und die
verſchiedenen Arten des Scheinguten beſtimmen. Wir
merken demnach an, daß es bey Beurtheilung des Gu-
ten auf eine Schlußrede ankomme. Der Unterfatz zeigt
die Beſchaffenheit der Sache an. Der Oberſatz
aber giebt an, daß eine Sache von ſolcher Beſchaffen-
heit gut ſey. Jn Anſehung dieſer Schlußrede koͤnnen

nun
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0307" n="301"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Von dem morali&#x017F;chen Schein.</hi></fw><lb/>
a&#x0364;ndert, oder in andere Formen gebracht werden, und<lb/>
wie &#x017F;chwer es dabey i&#x017F;t, nicht nur die Wahrheit, &#x017F;ondern<lb/>
auch den wahren Grad der Erheblichkeit eines jeden<lb/>
Satzes zu be&#x017F;timmen, und bey der einmal fe&#x017F;tge&#x017F;etzten<lb/>
Be&#x017F;timmung zu bleiben.</p><lb/>
          <p>§. 128. Wir haben den Einfluß der Leiden&#x017F;chaften<lb/>
in die Vera&#x0364;nderungen des Scheins bereits in dem er-<lb/>
&#x017F;ten Haupt&#x017F;tu&#x0364;cke ku&#x0364;rzlich angezeigt, und den daher ru&#x0364;h-<lb/>
renden Schein <hi rendition="#fr">morali&#x017F;ch</hi> genennt (§. 17. 18. 22.), theils<lb/>
um ihn durch ein eigenes Wort von dem <hi rendition="#fr">phy&#x017F;i&#x017F;chen</hi><lb/>
und <hi rendition="#fr">p&#x017F;ychologi&#x017F;chen</hi> zu unter&#x017F;cheiden, theils auch,<lb/>
weil in der That der Wille, die Leiden&#x017F;chaften und die<lb/>
Begriffe des Guten und Bo&#x0364;&#x017F;en Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde der Mo-<lb/>
ral &#x017F;ind. Wir werden aber, ohne uns bey dem Worte<lb/>
aufzuhalten, &#x017F;tu&#x0364;ckwei&#x017F;e anzeigen, was wir unter dem<lb/><hi rendition="#fr">morali&#x017F;chen Schein</hi> ver&#x017F;tehen, und wie weitla&#x0364;uftig<lb/>
&#x017F;ich die Theorie de&#x017F;&#x017F;elben ausbreite.</p><lb/>
          <p>§. 129. Zu die&#x017F;em Ende merken wir an, daß man<lb/>
in der Sittenlehre la&#x0364;ng&#x017F;t &#x017F;chon das <hi rendition="#fr">wahre Gute</hi> von<lb/>
dem <hi rendition="#fr">Scheingut</hi> unter&#x017F;chieden hat, weil zwi&#x017F;chen gut<lb/>
&#x017F;cheinen und gut &#x017F;eyn allerdings ein Unter&#x017F;chied i&#x017F;t.<lb/>
Wir haben die Theorie die&#x017F;es Unter&#x017F;chiedes oben &#x017F;chon<lb/>
(§. 30.) als einen &#x017F;pecialen Theil der Pha&#x0364;nomenologie<lb/>
angegeben. Es i&#x017F;t aber die&#x017F;e Theorie fa&#x017F;t nichts anders,<lb/>
als eine Anwendung der Lehre des phy&#x017F;i&#x017F;chen und p&#x017F;y-<lb/>
chologi&#x017F;chen Scheins auf das <hi rendition="#fr">Gute.</hi> Wir haben da-<lb/>
her in vorgehendem Haupt&#x017F;tu&#x0364;cke einige Fa&#x0364;lle davon als<lb/>
Bey&#x017F;piele angefu&#x0364;hrt (§. 107. 108. 113. 116.), und werden<lb/>
hier nur die er&#x017F;ten Grundbegriffe dazu angeben, und die<lb/>
ver&#x017F;chiedenen Arten des <hi rendition="#fr">Scheinguten</hi> be&#x017F;timmen. Wir<lb/>
merken demnach an, daß es bey Beurtheilung des Gu-<lb/>
ten auf eine Schlußrede ankomme. Der Unterfatz zeigt<lb/>
die <hi rendition="#fr">Be&#x017F;chaffenheit</hi> der Sache an. Der Ober&#x017F;atz<lb/>
aber giebt an, daß eine Sache von &#x017F;olcher Be&#x017F;chaffen-<lb/>
heit <hi rendition="#fr">gut</hi> &#x017F;ey. Jn An&#x017F;ehung die&#x017F;er Schlußrede ko&#x0364;nnen<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">nun</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[301/0307] Von dem moraliſchen Schein. aͤndert, oder in andere Formen gebracht werden, und wie ſchwer es dabey iſt, nicht nur die Wahrheit, ſondern auch den wahren Grad der Erheblichkeit eines jeden Satzes zu beſtimmen, und bey der einmal feſtgeſetzten Beſtimmung zu bleiben. §. 128. Wir haben den Einfluß der Leidenſchaften in die Veraͤnderungen des Scheins bereits in dem er- ſten Hauptſtuͤcke kuͤrzlich angezeigt, und den daher ruͤh- renden Schein moraliſch genennt (§. 17. 18. 22.), theils um ihn durch ein eigenes Wort von dem phyſiſchen und pſychologiſchen zu unterſcheiden, theils auch, weil in der That der Wille, die Leidenſchaften und die Begriffe des Guten und Boͤſen Gegenſtaͤnde der Mo- ral ſind. Wir werden aber, ohne uns bey dem Worte aufzuhalten, ſtuͤckweiſe anzeigen, was wir unter dem moraliſchen Schein verſtehen, und wie weitlaͤuftig ſich die Theorie deſſelben ausbreite. §. 129. Zu dieſem Ende merken wir an, daß man in der Sittenlehre laͤngſt ſchon das wahre Gute von dem Scheingut unterſchieden hat, weil zwiſchen gut ſcheinen und gut ſeyn allerdings ein Unterſchied iſt. Wir haben die Theorie dieſes Unterſchiedes oben ſchon (§. 30.) als einen ſpecialen Theil der Phaͤnomenologie angegeben. Es iſt aber dieſe Theorie faſt nichts anders, als eine Anwendung der Lehre des phyſiſchen und pſy- chologiſchen Scheins auf das Gute. Wir haben da- her in vorgehendem Hauptſtuͤcke einige Faͤlle davon als Beyſpiele angefuͤhrt (§. 107. 108. 113. 116.), und werden hier nur die erſten Grundbegriffe dazu angeben, und die verſchiedenen Arten des Scheinguten beſtimmen. Wir merken demnach an, daß es bey Beurtheilung des Gu- ten auf eine Schlußrede ankomme. Der Unterfatz zeigt die Beſchaffenheit der Sache an. Der Oberſatz aber giebt an, daß eine Sache von ſolcher Beſchaffen- heit gut ſey. Jn Anſehung dieſer Schlußrede koͤnnen nun

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/307
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/307>, abgerufen am 24.11.2024.