Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite
V. Hauptstück.

§. 154. Man findet nämlich einen Satz, den die
Erfahrung angiebt, davon sie aber auch zuweilen ab-
weicht, und zwar ohne daß man die Umstände erörtern
kann, wenn das eine oder das andere geschieht. Jn-
dessen zeichnet man beyderley Fälle, so wie sie vorkom-
men, und ohne Auswahl auf, um aus der Summe von
beyden zu bestimmen, wie sich die zutreffenden Fälle ge-
gen die fehlenden verhalten. Diese Verhältniß be-
stimmt den Grad der Wahrscheinlichkeit des
Satzes der Natur gemäß.
Man weiß dadurch
nicht nur, daß etliche A, B sind, sondern genauer, wie
viele es sind, und wie viele es nicht sind. So z. E. hat
man in großen Städten die Anzahl der Lebenden zu
den in jedem Jahre Sterbenden aus der vieljährigen
Abzählung von beyden gefunden.

§. 155. Bey solcher Abzählung der Fälle kömmt
nun folgendes zu bemerken vor. Einmal sieht man,
daß es um die Bestimmung des Grades der Particula-
rität eines Satzes zu thun ist, wenn man nur die zween
Begriffe A, B in Betrachtung zieht. Und dieses ist
der einfachste Fall. Die Bedingungen, die dabey vor-
ausgesetzt werden, sind: 1. Daß man bey den Begrif-
fen A, B genau bleibe. 2. Daß man sie in einerley
Umständen aufsuche, oder wo diese abwechseln, die Ob-
servation so lange fortsetze, bis die Ungleichheit der Um-
stände einander compensire, und die aus der Summe
gesundene Verhältniß derer A, die B sind, zu denen, die
es nicht sind, anfange beständig zu werden, oder nicht
mehr merklich verschieden zu seyn. 3. Daß man unter
diesen Bedingungen die Fälle A nehme, wie sie sich
anbieten, ohne dabey auszuwählen, weil eine solche Aus-
wahl einen Einfluß in die gesuchte Verhältniß haben,
und sie fehlerhaft machen könnte.

§. 156. Es bleibt aber selten bey so einfachen Be-
obachtungen, sondern man nimmt zu den Begriffen A, B

noch
V. Hauptſtuͤck.

§. 154. Man findet naͤmlich einen Satz, den die
Erfahrung angiebt, davon ſie aber auch zuweilen ab-
weicht, und zwar ohne daß man die Umſtaͤnde eroͤrtern
kann, wenn das eine oder das andere geſchieht. Jn-
deſſen zeichnet man beyderley Faͤlle, ſo wie ſie vorkom-
men, und ohne Auswahl auf, um aus der Summe von
beyden zu beſtimmen, wie ſich die zutreffenden Faͤlle ge-
gen die fehlenden verhalten. Dieſe Verhaͤltniß be-
ſtimmt den Grad der Wahrſcheinlichkeit des
Satzes der Natur gemaͤß.
Man weiß dadurch
nicht nur, daß etliche A, B ſind, ſondern genauer, wie
viele es ſind, und wie viele es nicht ſind. So z. E. hat
man in großen Staͤdten die Anzahl der Lebenden zu
den in jedem Jahre Sterbenden aus der vieljaͤhrigen
Abzaͤhlung von beyden gefunden.

§. 155. Bey ſolcher Abzaͤhlung der Faͤlle koͤmmt
nun folgendes zu bemerken vor. Einmal ſieht man,
daß es um die Beſtimmung des Grades der Particula-
ritaͤt eines Satzes zu thun iſt, wenn man nur die zween
Begriffe A, B in Betrachtung zieht. Und dieſes iſt
der einfachſte Fall. Die Bedingungen, die dabey vor-
ausgeſetzt werden, ſind: 1. Daß man bey den Begrif-
fen A, B genau bleibe. 2. Daß man ſie in einerley
Umſtaͤnden aufſuche, oder wo dieſe abwechſeln, die Ob-
ſervation ſo lange fortſetze, bis die Ungleichheit der Um-
ſtaͤnde einander compenſire, und die aus der Summe
geſundene Verhaͤltniß derer A, die B ſind, zu denen, die
es nicht ſind, anfange beſtaͤndig zu werden, oder nicht
mehr merklich verſchieden zu ſeyn. 3. Daß man unter
dieſen Bedingungen die Faͤlle A nehme, wie ſie ſich
anbieten, ohne dabey auszuwaͤhlen, weil eine ſolche Aus-
wahl einen Einfluß in die geſuchte Verhaͤltniß haben,
und ſie fehlerhaft machen koͤnnte.

§. 156. Es bleibt aber ſelten bey ſo einfachen Be-
obachtungen, ſondern man nimmt zu den Begriffen A, B

noch
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0330" n="324"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">V.</hi> Haupt&#x017F;tu&#x0364;ck.</hi> </fw><lb/>
          <p>§. 154. Man findet na&#x0364;mlich einen Satz, den die<lb/>
Erfahrung angiebt, davon &#x017F;ie aber auch zuweilen ab-<lb/>
weicht, und zwar ohne daß man die Um&#x017F;ta&#x0364;nde ero&#x0364;rtern<lb/>
kann, wenn das eine oder das andere ge&#x017F;chieht. Jn-<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en zeichnet man beyderley Fa&#x0364;lle, &#x017F;o wie &#x017F;ie vorkom-<lb/>
men, und ohne Auswahl auf, um aus der Summe von<lb/>
beyden zu be&#x017F;timmen, wie &#x017F;ich die zutreffenden Fa&#x0364;lle ge-<lb/>
gen die fehlenden verhalten. <hi rendition="#fr">Die&#x017F;e Verha&#x0364;ltniß be-<lb/>
&#x017F;timmt den Grad der Wahr&#x017F;cheinlichkeit des<lb/>
Satzes der Natur gema&#x0364;ß.</hi> Man weiß dadurch<lb/>
nicht nur, daß <hi rendition="#fr">etliche</hi> <hi rendition="#aq">A, B</hi> &#x017F;ind, &#x017F;ondern genauer, wie<lb/>
viele es &#x017F;ind, und wie viele es nicht &#x017F;ind. So z. E. hat<lb/>
man in großen Sta&#x0364;dten die Anzahl der Lebenden zu<lb/>
den in jedem Jahre Sterbenden aus der vielja&#x0364;hrigen<lb/>
Abza&#x0364;hlung von beyden gefunden.</p><lb/>
          <p>§. 155. Bey &#x017F;olcher Abza&#x0364;hlung der Fa&#x0364;lle ko&#x0364;mmt<lb/>
nun folgendes zu bemerken vor. Einmal &#x017F;ieht man,<lb/>
daß es um die Be&#x017F;timmung des Grades der Particula-<lb/>
rita&#x0364;t eines Satzes zu thun i&#x017F;t, wenn man nur die zween<lb/>
Begriffe <hi rendition="#aq">A, B</hi> in Betrachtung zieht. Und die&#x017F;es i&#x017F;t<lb/>
der einfach&#x017F;te Fall. Die Bedingungen, die dabey vor-<lb/>
ausge&#x017F;etzt werden, &#x017F;ind: 1. Daß man bey den Begrif-<lb/>
fen <hi rendition="#aq">A, B</hi> genau bleibe. 2. Daß man &#x017F;ie in einerley<lb/>
Um&#x017F;ta&#x0364;nden auf&#x017F;uche, oder wo die&#x017F;e abwech&#x017F;eln, die Ob-<lb/>
&#x017F;ervation &#x017F;o lange fort&#x017F;etze, bis die Ungleichheit der Um-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;nde einander compen&#x017F;ire, und die aus der Summe<lb/>
ge&#x017F;undene Verha&#x0364;ltniß derer <hi rendition="#aq">A,</hi> die <hi rendition="#aq">B</hi> &#x017F;ind, zu denen, die<lb/>
es nicht &#x017F;ind, anfange be&#x017F;ta&#x0364;ndig zu werden, oder nicht<lb/>
mehr merklich ver&#x017F;chieden zu &#x017F;eyn. 3. Daß man unter<lb/>
die&#x017F;en Bedingungen die Fa&#x0364;lle <hi rendition="#aq">A</hi> nehme, wie &#x017F;ie &#x017F;ich<lb/>
anbieten, ohne dabey auszuwa&#x0364;hlen, weil eine &#x017F;olche Aus-<lb/>
wahl einen Einfluß in die ge&#x017F;uchte Verha&#x0364;ltniß haben,<lb/>
und &#x017F;ie fehlerhaft machen ko&#x0364;nnte.</p><lb/>
          <p>§. 156. Es bleibt aber &#x017F;elten bey &#x017F;o einfachen Be-<lb/>
obachtungen, &#x017F;ondern man nimmt zu den Begriffen <hi rendition="#aq">A, B</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch">noch</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[324/0330] V. Hauptſtuͤck. §. 154. Man findet naͤmlich einen Satz, den die Erfahrung angiebt, davon ſie aber auch zuweilen ab- weicht, und zwar ohne daß man die Umſtaͤnde eroͤrtern kann, wenn das eine oder das andere geſchieht. Jn- deſſen zeichnet man beyderley Faͤlle, ſo wie ſie vorkom- men, und ohne Auswahl auf, um aus der Summe von beyden zu beſtimmen, wie ſich die zutreffenden Faͤlle ge- gen die fehlenden verhalten. Dieſe Verhaͤltniß be- ſtimmt den Grad der Wahrſcheinlichkeit des Satzes der Natur gemaͤß. Man weiß dadurch nicht nur, daß etliche A, B ſind, ſondern genauer, wie viele es ſind, und wie viele es nicht ſind. So z. E. hat man in großen Staͤdten die Anzahl der Lebenden zu den in jedem Jahre Sterbenden aus der vieljaͤhrigen Abzaͤhlung von beyden gefunden. §. 155. Bey ſolcher Abzaͤhlung der Faͤlle koͤmmt nun folgendes zu bemerken vor. Einmal ſieht man, daß es um die Beſtimmung des Grades der Particula- ritaͤt eines Satzes zu thun iſt, wenn man nur die zween Begriffe A, B in Betrachtung zieht. Und dieſes iſt der einfachſte Fall. Die Bedingungen, die dabey vor- ausgeſetzt werden, ſind: 1. Daß man bey den Begrif- fen A, B genau bleibe. 2. Daß man ſie in einerley Umſtaͤnden aufſuche, oder wo dieſe abwechſeln, die Ob- ſervation ſo lange fortſetze, bis die Ungleichheit der Um- ſtaͤnde einander compenſire, und die aus der Summe geſundene Verhaͤltniß derer A, die B ſind, zu denen, die es nicht ſind, anfange beſtaͤndig zu werden, oder nicht mehr merklich verſchieden zu ſeyn. 3. Daß man unter dieſen Bedingungen die Faͤlle A nehme, wie ſie ſich anbieten, ohne dabey auszuwaͤhlen, weil eine ſolche Aus- wahl einen Einfluß in die geſuchte Verhaͤltniß haben, und ſie fehlerhaft machen koͤnnte. §. 156. Es bleibt aber ſelten bey ſo einfachen Be- obachtungen, ſondern man nimmt zu den Begriffen A, B noch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/330
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/330>, abgerufen am 24.11.2024.