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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

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Von dem Wahrscheinlichen.
des Scheins übersetzen. So weit man es in diesen
dreyen Stücken bringen kann, so weit wird auch die Er-
zählung das Empfundene eigentlicher und einfacher vor-
stellen. Kömmt die Erzählung dadurch nun so heraus,
daß die Empfindung nicht nur möglich ist, sondern daß
wir klar einsehen, wir würden die Sache ebenfalls so
empfunden haben, wenn wir an des Erzählenden Stelle
gewesen wären, so können wir von ihm in Absicht auf
die Erkenntniß oder das Wissen nicht mehr fordern;
und hinwiederum verräth es sich durch eine solche Zer-
gliederung sehr oft, wenn es dem Erzählenden am Wil-
len fehlt, zu sagen, was er empfunden hat. Denn die
Affecten mischen das Empfindbare und das Nichtem-
pfindbare fast immer durch einander, und bey Erdich-
tungen giebt man darauf ebenfalls nicht so sorgfältig
Achtung.

§. 235. Die Glaubwürdigkeit eines Menschen kann
sowohl in Absicht auf den Verstand als in Absicht auf
den Willen eingetheilt werden.

1. Die Glaubwürdigkeit überhaupt, so fern sie
gleichsam persönlich ist, proportionirt sich nach
den Graden der Erkenntnißkräfte, und der Ge-
wissenhaftigkeit. Erstere machen das Jrren sel-
tener, je größer und geübter sie sind; letztere aber
macht die Lügen und Unwahrheiten seltener, und
zuweilen moralisch unmöglich; so wie es hingegen
Leute giebt, die aus Scherz, Muthwillen, Affe-
cten etc. sich zum Lügen gewöhnen, und das Gute,
Nützliche etc. zum Maaßstab des Wahren machen.
2. Die Glaubwürdigkeit in einer gewissen
Art von Sachen.
Diese kann durch Mangel
der dazu nöthigen Erkenntniß, durch Vorurtheile
und Affecten, die sich dabey mit einmengen, merk-
lich vermindert werden, und in soferne der allge-
meinen oder persönlichen Glaubwürdigkeit Abbruch
thun.

Von dem Wahrſcheinlichen.
des Scheins uͤberſetzen. So weit man es in dieſen
dreyen Stuͤcken bringen kann, ſo weit wird auch die Er-
zaͤhlung das Empfundene eigentlicher und einfacher vor-
ſtellen. Koͤmmt die Erzaͤhlung dadurch nun ſo heraus,
daß die Empfindung nicht nur moͤglich iſt, ſondern daß
wir klar einſehen, wir wuͤrden die Sache ebenfalls ſo
empfunden haben, wenn wir an des Erzaͤhlenden Stelle
geweſen waͤren, ſo koͤnnen wir von ihm in Abſicht auf
die Erkenntniß oder das Wiſſen nicht mehr fordern;
und hinwiederum verraͤth es ſich durch eine ſolche Zer-
gliederung ſehr oft, wenn es dem Erzaͤhlenden am Wil-
len fehlt, zu ſagen, was er empfunden hat. Denn die
Affecten miſchen das Empfindbare und das Nichtem-
pfindbare faſt immer durch einander, und bey Erdich-
tungen giebt man darauf ebenfalls nicht ſo ſorgfaͤltig
Achtung.

§. 235. Die Glaubwuͤrdigkeit eines Menſchen kann
ſowohl in Abſicht auf den Verſtand als in Abſicht auf
den Willen eingetheilt werden.

1. Die Glaubwuͤrdigkeit uͤberhaupt, ſo fern ſie
gleichſam perſoͤnlich iſt, proportionirt ſich nach
den Graden der Erkenntnißkraͤfte, und der Ge-
wiſſenhaftigkeit. Erſtere machen das Jrren ſel-
tener, je groͤßer und geuͤbter ſie ſind; letztere aber
macht die Luͤgen und Unwahrheiten ſeltener, und
zuweilen moraliſch unmoͤglich; ſo wie es hingegen
Leute giebt, die aus Scherz, Muthwillen, Affe-
cten ꝛc. ſich zum Luͤgen gewoͤhnen, und das Gute,
Nuͤtzliche ꝛc. zum Maaßſtab des Wahren machen.
2. Die Glaubwuͤrdigkeit in einer gewiſſen
Art von Sachen.
Dieſe kann durch Mangel
der dazu noͤthigen Erkenntniß, durch Vorurtheile
und Affecten, die ſich dabey mit einmengen, merk-
lich vermindert werden, und in ſoferne der allge-
meinen oder perſoͤnlichen Glaubwuͤrdigkeit Abbruch
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[397/0403] Von dem Wahrſcheinlichen. des Scheins uͤberſetzen. So weit man es in dieſen dreyen Stuͤcken bringen kann, ſo weit wird auch die Er- zaͤhlung das Empfundene eigentlicher und einfacher vor- ſtellen. Koͤmmt die Erzaͤhlung dadurch nun ſo heraus, daß die Empfindung nicht nur moͤglich iſt, ſondern daß wir klar einſehen, wir wuͤrden die Sache ebenfalls ſo empfunden haben, wenn wir an des Erzaͤhlenden Stelle geweſen waͤren, ſo koͤnnen wir von ihm in Abſicht auf die Erkenntniß oder das Wiſſen nicht mehr fordern; und hinwiederum verraͤth es ſich durch eine ſolche Zer- gliederung ſehr oft, wenn es dem Erzaͤhlenden am Wil- len fehlt, zu ſagen, was er empfunden hat. Denn die Affecten miſchen das Empfindbare und das Nichtem- pfindbare faſt immer durch einander, und bey Erdich- tungen giebt man darauf ebenfalls nicht ſo ſorgfaͤltig Achtung. §. 235. Die Glaubwuͤrdigkeit eines Menſchen kann ſowohl in Abſicht auf den Verſtand als in Abſicht auf den Willen eingetheilt werden. 1. Die Glaubwuͤrdigkeit uͤberhaupt, ſo fern ſie gleichſam perſoͤnlich iſt, proportionirt ſich nach den Graden der Erkenntnißkraͤfte, und der Ge- wiſſenhaftigkeit. Erſtere machen das Jrren ſel- tener, je groͤßer und geuͤbter ſie ſind; letztere aber macht die Luͤgen und Unwahrheiten ſeltener, und zuweilen moraliſch unmoͤglich; ſo wie es hingegen Leute giebt, die aus Scherz, Muthwillen, Affe- cten ꝛc. ſich zum Luͤgen gewoͤhnen, und das Gute, Nuͤtzliche ꝛc. zum Maaßſtab des Wahren machen. 2. Die Glaubwuͤrdigkeit in einer gewiſſen Art von Sachen. Dieſe kann durch Mangel der dazu noͤthigen Erkenntniß, durch Vorurtheile und Affecten, die ſich dabey mit einmengen, merk- lich vermindert werden, und in ſoferne der allge- meinen oder perſoͤnlichen Glaubwuͤrdigkeit Abbruch thun.

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/403>, abgerufen am 24.11.2024.