Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

V. Hauptstück.
nigen auf ganze Arten zu schließen, kömmt vor, so fern
man den (§. 232. 247.) angeführten Grundsatz vom Be-
harrungsstande anwenden kann. So fern man auf
diese Art allgemeine Begriffe und Sätze findet, läßt
sich die geometrische Methode dabey anwenden, weil
allgemeine Begriffe und Sätze zu Schlüssen erfordert
werden.

§. 253. Jn Ansehung der Handlungen geben uns
die Sinnen nur das Physische davon zu erkennen.
Wenn wir demnach ihre Moralität betrachten, und sie
von da her benennen wollen: so muß die Absicht,
welche eigentlich die Moralität ausmacht, und nicht in
die Sinnen fällt, auf eine andere Art gefunden werden.
Nun sollen wir bey unsern eigenen Handlungen uns we-
nigstens derjenigen Absicht bewußt seyn, die wir uns
dabey klar oder deutlich vorstellen. Und diese geht or-
dentlich auf das, wozu wir die Handlung als ein Mit-
tel gebrauchen, sie mag nun das Mittel seyn oder nicht.
Ob aber die Absicht immer der erste Anlaß und An-
trieb zur Handlung sey, ist eine andere Frage, weil es
verborgenere Triebfedern zu Handlungen giebt. Bey
den Handlungen anderer ist die Bestimmung der Ab-
sichten schwerer. Sie läßt sich weder aus dem Sicht-
baren der Handlung, noch aus dem Erfolge so schlecht-
hin bestimmen, und von denen, die eine Handlung be-
gehen, können wir die Absicht, die sie dabey hatten, so
ferne wissen, als sie selbst sich dieselbe klar vorstellten,
und sie uns aufrichtig entdecken (§. 107. 108. 113.). Jn-
dessen giebt es allerdings Fälle, wo sich bey Handlun-
gen die Absichten leicht abzählen lassen, und wo man
folglich mit Zuziehung der übrigen Umstände auf die
wahre oder wirkliche schließen kann, besonders wenn
man nur auf die nächste oder unmittelbare Absicht sieht.
Denn diese ist öfters auf die einzige mögliche einge-
schränkt. Man sieht leicht, daß die Gewißheit und die

Grade

V. Hauptſtuͤck.
nigen auf ganze Arten zu ſchließen, koͤmmt vor, ſo fern
man den (§. 232. 247.) angefuͤhrten Grundſatz vom Be-
harrungsſtande anwenden kann. So fern man auf
dieſe Art allgemeine Begriffe und Saͤtze findet, laͤßt
ſich die geometriſche Methode dabey anwenden, weil
allgemeine Begriffe und Saͤtze zu Schluͤſſen erfordert
werden.

§. 253. Jn Anſehung der Handlungen geben uns
die Sinnen nur das Phyſiſche davon zu erkennen.
Wenn wir demnach ihre Moralitaͤt betrachten, und ſie
von da her benennen wollen: ſo muß die Abſicht,
welche eigentlich die Moralitaͤt ausmacht, und nicht in
die Sinnen faͤllt, auf eine andere Art gefunden werden.
Nun ſollen wir bey unſern eigenen Handlungen uns we-
nigſtens derjenigen Abſicht bewußt ſeyn, die wir uns
dabey klar oder deutlich vorſtellen. Und dieſe geht or-
dentlich auf das, wozu wir die Handlung als ein Mit-
tel gebrauchen, ſie mag nun das Mittel ſeyn oder nicht.
Ob aber die Abſicht immer der erſte Anlaß und An-
trieb zur Handlung ſey, iſt eine andere Frage, weil es
verborgenere Triebfedern zu Handlungen giebt. Bey
den Handlungen anderer iſt die Beſtimmung der Ab-
ſichten ſchwerer. Sie laͤßt ſich weder aus dem Sicht-
baren der Handlung, noch aus dem Erfolge ſo ſchlecht-
hin beſtimmen, und von denen, die eine Handlung be-
gehen, koͤnnen wir die Abſicht, die ſie dabey hatten, ſo
ferne wiſſen, als ſie ſelbſt ſich dieſelbe klar vorſtellten,
und ſie uns aufrichtig entdecken (§. 107. 108. 113.). Jn-
deſſen giebt es allerdings Faͤlle, wo ſich bey Handlun-
gen die Abſichten leicht abzaͤhlen laſſen, und wo man
folglich mit Zuziehung der uͤbrigen Umſtaͤnde auf die
wahre oder wirkliche ſchließen kann, beſonders wenn
man nur auf die naͤchſte oder unmittelbare Abſicht ſieht.
Denn dieſe iſt oͤfters auf die einzige moͤgliche einge-
ſchraͤnkt. Man ſieht leicht, daß die Gewißheit und die

Grade
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0416" n="410"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">V.</hi> Haupt&#x017F;tu&#x0364;ck.</hi></fw><lb/>
nigen auf ganze Arten zu &#x017F;chließen, ko&#x0364;mmt vor, &#x017F;o fern<lb/>
man den (§. 232. 247.) angefu&#x0364;hrten Grund&#x017F;atz vom Be-<lb/>
harrungs&#x017F;tande anwenden kann. So fern man auf<lb/>
die&#x017F;e Art allgemeine Begriffe und Sa&#x0364;tze findet, la&#x0364;ßt<lb/>
&#x017F;ich die geometri&#x017F;che Methode dabey anwenden, weil<lb/>
allgemeine Begriffe und Sa&#x0364;tze zu Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en erfordert<lb/>
werden.</p><lb/>
          <p>§. 253. Jn An&#x017F;ehung der Handlungen geben uns<lb/>
die Sinnen nur das Phy&#x017F;i&#x017F;che davon zu erkennen.<lb/>
Wenn wir demnach ihre Moralita&#x0364;t betrachten, und &#x017F;ie<lb/>
von da her benennen wollen: &#x017F;o muß die <hi rendition="#fr">Ab&#x017F;icht,</hi><lb/>
welche eigentlich die Moralita&#x0364;t ausmacht, und nicht in<lb/>
die Sinnen fa&#x0364;llt, auf eine andere Art gefunden werden.<lb/>
Nun &#x017F;ollen wir bey un&#x017F;ern eigenen Handlungen uns we-<lb/>
nig&#x017F;tens derjenigen Ab&#x017F;icht bewußt &#x017F;eyn, die wir uns<lb/>
dabey klar oder deutlich vor&#x017F;tellen. Und die&#x017F;e geht or-<lb/>
dentlich auf das, wozu wir die Handlung als ein Mit-<lb/>
tel gebrauchen, &#x017F;ie mag nun das Mittel &#x017F;eyn oder nicht.<lb/>
Ob aber die Ab&#x017F;icht immer der er&#x017F;te Anlaß und An-<lb/>
trieb zur Handlung &#x017F;ey, i&#x017F;t eine andere Frage, weil es<lb/>
verborgenere Triebfedern zu Handlungen giebt. Bey<lb/>
den Handlungen anderer i&#x017F;t die Be&#x017F;timmung der Ab-<lb/>
&#x017F;ichten &#x017F;chwerer. Sie la&#x0364;ßt &#x017F;ich weder aus dem Sicht-<lb/>
baren der Handlung, noch aus dem Erfolge &#x017F;o &#x017F;chlecht-<lb/>
hin be&#x017F;timmen, und von denen, die eine Handlung be-<lb/>
gehen, ko&#x0364;nnen wir die Ab&#x017F;icht, die &#x017F;ie dabey hatten, &#x017F;o<lb/>
ferne wi&#x017F;&#x017F;en, als &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ich die&#x017F;elbe klar vor&#x017F;tellten,<lb/>
und &#x017F;ie uns aufrichtig entdecken (§. 107. 108. 113.). Jn-<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en giebt es allerdings Fa&#x0364;lle, wo &#x017F;ich bey Handlun-<lb/>
gen die Ab&#x017F;ichten leicht abza&#x0364;hlen la&#x017F;&#x017F;en, und wo man<lb/>
folglich mit Zuziehung der u&#x0364;brigen Um&#x017F;ta&#x0364;nde auf die<lb/>
wahre oder wirkliche &#x017F;chließen kann, be&#x017F;onders wenn<lb/>
man nur auf die na&#x0364;ch&#x017F;te oder unmittelbare Ab&#x017F;icht &#x017F;ieht.<lb/>
Denn die&#x017F;e i&#x017F;t o&#x0364;fters auf die einzige mo&#x0364;gliche einge-<lb/>
&#x017F;chra&#x0364;nkt. Man &#x017F;ieht leicht, daß die Gewißheit und die<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Grade</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[410/0416] V. Hauptſtuͤck. nigen auf ganze Arten zu ſchließen, koͤmmt vor, ſo fern man den (§. 232. 247.) angefuͤhrten Grundſatz vom Be- harrungsſtande anwenden kann. So fern man auf dieſe Art allgemeine Begriffe und Saͤtze findet, laͤßt ſich die geometriſche Methode dabey anwenden, weil allgemeine Begriffe und Saͤtze zu Schluͤſſen erfordert werden. §. 253. Jn Anſehung der Handlungen geben uns die Sinnen nur das Phyſiſche davon zu erkennen. Wenn wir demnach ihre Moralitaͤt betrachten, und ſie von da her benennen wollen: ſo muß die Abſicht, welche eigentlich die Moralitaͤt ausmacht, und nicht in die Sinnen faͤllt, auf eine andere Art gefunden werden. Nun ſollen wir bey unſern eigenen Handlungen uns we- nigſtens derjenigen Abſicht bewußt ſeyn, die wir uns dabey klar oder deutlich vorſtellen. Und dieſe geht or- dentlich auf das, wozu wir die Handlung als ein Mit- tel gebrauchen, ſie mag nun das Mittel ſeyn oder nicht. Ob aber die Abſicht immer der erſte Anlaß und An- trieb zur Handlung ſey, iſt eine andere Frage, weil es verborgenere Triebfedern zu Handlungen giebt. Bey den Handlungen anderer iſt die Beſtimmung der Ab- ſichten ſchwerer. Sie laͤßt ſich weder aus dem Sicht- baren der Handlung, noch aus dem Erfolge ſo ſchlecht- hin beſtimmen, und von denen, die eine Handlung be- gehen, koͤnnen wir die Abſicht, die ſie dabey hatten, ſo ferne wiſſen, als ſie ſelbſt ſich dieſelbe klar vorſtellten, und ſie uns aufrichtig entdecken (§. 107. 108. 113.). Jn- deſſen giebt es allerdings Faͤlle, wo ſich bey Handlun- gen die Abſichten leicht abzaͤhlen laſſen, und wo man folglich mit Zuziehung der uͤbrigen Umſtaͤnde auf die wahre oder wirkliche ſchließen kann, beſonders wenn man nur auf die naͤchſte oder unmittelbare Abſicht ſieht. Denn dieſe iſt oͤfters auf die einzige moͤgliche einge- ſchraͤnkt. Man ſieht leicht, daß die Gewißheit und die Grade

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/416
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/416>, abgerufen am 11.05.2024.