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Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729.

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Cap. 10, v. 1-4. an die Römer.
Das zehnte Capitel.
Worinn der Apostel noch mit mehrern vorstellet und erläu-
tert/ daß die meisten Jüden ihre Verwerfung und Verstockung durch
ihren Unglauben und Widerspenstigkeit gegen das allen Menschen
zugedachte Evangelium von CHristo selbst verur-
sachet haben.
V. 1.
[Spaltenumbruch]

LJeben Brüder, meines Hertzens
Wunsch ist, und flehe auch
GOtt für Jsrael, daß sie selig
werden.
(Daraus denn so viel
mehr zu erkennen ist, daß ich sie nicht
hasse, und daß ich ihre Verwerfung nicht für all-
gemein halte, noch einem absoluten Rathschlusse
GOttes zuschreibe.)

Anmerckung.

Dieses ist auch unsere Pflicht, Paulo dar-
inn nachzufolgen, und die Bekehrung des Jüdi-
schen Volcks nicht allein zu wünschen, sondern
auch mit unserm Gebet für sie zu GOtt, und
mit unserm guten Exempel, zu befordern: Zu-
mal da von ihrer noch künftigen fast allgemeinen
Bekehrung so viel herrliche Verheissungen vor-
handen sind: wie wir hernach im eilften Capi-
tel mit mehrern sehen werden.

V. 2.

Denn ich gebe ihnen Zeugniß, daß sie
eifern um GOtt, aber mit Unverstand,

(wie noch heutiges Tages vielfältig geschiehet:
nicht allein im Pabstthum; sondern auch unter
den Evangelischen von manchen unbekehrten und
fleischlich gesinneten Lehrern, welche im Geiste
der alten Pharisäer stehen, und, da sie auf der
einen Seite den Syncretismum und den Indifse-
rentismum
in der Religion vermeiden wollen,
nicht sehen, daß sie auf das alterum extremum
eines recht sectirischen und blinden Religions-
Eifers verfallen, und, unter der Einbildung der
vertheidigten Orthodoxie, oder reinen Lehre
und geretteten Ehre GOttes, wol gar die theu-
resten Evangelischen Wahrheiten bestreiten, ja
Christum in seinen Gliedern hassen, beschuldi-
gen und verunglimpfen; dabey aber doch mit je-
nen alten Feinden immer meinen, als thäten sie
GOtt einen Dienst daran. Joh. 16, 1. 2. Actor.
21, 20. 22, 3. 4. Gal. 1, 14.

V. 3.

Denn sie erkennen die Gerechtigkeit,
die vor GOtt gilt,
(ten tou Theou dikaiosunen,
die Gerechtigkeit GOTTes, die von GOTT
kömmt, die, nachdem sie der Sohn GOttes,
und also GOTT selbst uns erworben hat, uns
GOTT aus Gnaden schencket, wenn wir sie
durch den Glauben ergreifen: von welcher Ge-
rechtigkeit oben cap. 2. 3. 4. 5. gehandelt ist.
[Spaltenumbruch] Diese kennen sie dergestalt) nicht (daß sie diesel-
be, wenn sie ihnen gleich angepriesen wird, nicht
erkennen und annehmen wollen,) und trach-
ten ihre eigene Gerechtigkeit
(aus blossen
Natur-Kräften nach dem Gesetze in äusserlichen
Wercken und Levitischen Coremonien aufzurich-
teu, und damit den Himmel zu verdienen,)
und sind also der Gerechtigkeit, die vor
GOtt gilt, nicht unterthan,
(dieselbe
im Gehorsam des Glaubens c. 1, 5. 16, 26. Act.
6, 7. mit Verleugnung ihres geistlichen Stol-
tzes anzunehmen, also daß sie von ihrer falschen
Höhe herunter stiegen, und sich als arme Sün-
der in ihrer Unwürdigkeit unter GOTT demü-
thigten und mit dem bußfertigen Zöllner, sagten:
GOtt sey mir Sünder gnädig.)

Anmerckungen.

1. Keine Leute sind ferner vom Reiche
GOttes und schwerer zu bekehren, als die, wel-
che, wenn sie von der rechten Ordnung des
Heils hören, so viel eigne Gerechtigkeit haben,
daß sie meinen, sie stehen schon längst darinnen.
Denn bey äusserlichen groben Wercken des Flei-
sches kan man sie zur Uberzeugung ihres noch
gantz unbekehrten Wesens nicht anfassen: und
redet man vom innern mit ihnen, so sprechen sie
zu allem ja; bis endlich noch manchem die Au-
gen aufgehen, daß er sich vor sich selbst ent-
setzet.

2. Keine Leute sind hingegen auch dem gu-
ten abholder, als welche den rechtschaffnen und
ernstlichen Wandel wahrer Christen, der aus
der Evangelischen Quelle der Gnade entstehet,
wider die Wahrheit und Liebe also beurtheilen,
daß sie ihn für eine Pharisäische Werckheilig-
keit halten, ihn auch wol mit gehäßigen Na-
men belegen.

V. 4.

Denn (um zu erkennen, warum der Weg,
durch die Gerechtigkeit des Gesetzes selig zu wer-
den, nicht der rechte, oder uns nützliche, und
daß also der unglaubigen Juden ihr Eifer mit
Unverstand sey; so ist zu mercken, daß das Ge-
setz uns dazu nicht gegeben, sondern es auf das
Evangelium von Christo ankommet,) Christus
ist des Gesetzes Ende,
(in Christo, so bald
wir durch den Glauben in ihm sind, höret das
Gesetz auf, uns, wegen unser Unvermögen,
ihm ein Genügen zu thun, zu verfluchen und

zu
R
Cap. 10, v. 1-4. an die Roͤmer.
Das zehnte Capitel.
Worinn der Apoſtel noch mit mehrern vorſtellet und erlaͤu-
tert/ daß die meiſten Juͤden ihre Verwerfung und Verſtockung durch
ihren Unglauben und Widerſpenſtigkeit gegen das allen Menſchen
zugedachte Evangelium von CHriſto ſelbſt verur-
ſachet haben.
V. 1.
[Spaltenumbruch]

LJeben Bruͤder, meines Hertzens
Wunſch iſt, und flehe auch
GOtt fuͤr Jſrael, daß ſie ſelig
werden.
(Daraus denn ſo viel
mehr zu erkennen iſt, daß ich ſie nicht
haſſe, und daß ich ihre Verwerfung nicht fuͤr all-
gemein halte, noch einem abſoluten Rathſchluſſe
GOttes zuſchreibe.)

Anmerckung.

Dieſes iſt auch unſere Pflicht, Paulo dar-
inn nachzufolgen, und die Bekehrung des Juͤdi-
ſchen Volcks nicht allein zu wuͤnſchen, ſondern
auch mit unſerm Gebet fuͤr ſie zu GOtt, und
mit unſerm guten Exempel, zu befordern: Zu-
mal da von ihrer noch kuͤnftigen faſt allgemeinen
Bekehrung ſo viel herrliche Verheiſſungen vor-
handen ſind: wie wir hernach im eilften Capi-
tel mit mehrern ſehen werden.

V. 2.

Denn ich gebe ihnen Zeugniß, daß ſie
eifern um GOtt, aber mit Unverſtand,

(wie noch heutiges Tages vielfaͤltig geſchiehet:
nicht allein im Pabſtthum; ſondern auch unter
den Evangeliſchen von manchen unbekehrten und
fleiſchlich geſinneten Lehrern, welche im Geiſte
der alten Phariſaͤer ſtehen, und, da ſie auf der
einen Seite den Syncretiſmum und den Indifſe-
rentiſmum
in der Religion vermeiden wollen,
nicht ſehen, daß ſie auf das alterum extremum
eines recht ſectiriſchen und blinden Religions-
Eifers verfallen, und, unter der Einbildung der
vertheidigten Orthodoxie, oder reinen Lehre
und geretteten Ehre GOttes, wol gar die theu-
reſten Evangeliſchen Wahrheiten beſtreiten, ja
Chriſtum in ſeinen Gliedern haſſen, beſchuldi-
gen und verunglimpfen; dabey aber doch mit je-
nen alten Feinden immer meinen, als thaͤten ſie
GOtt einen Dienſt daran. Joh. 16, 1. 2. Actor.
21, 20. 22, 3. 4. Gal. 1, 14.

V. 3.

Denn ſie erkennen die Gerechtigkeit,
die vor GOtt gilt,
(τὴν τοῦ Θεοῦ δικαίοσύνην,
die Gerechtigkeit GOTTes, die von GOTT
koͤmmt, die, nachdem ſie der Sohn GOttes,
und alſo GOTT ſelbſt uns erworben hat, uns
GOTT aus Gnaden ſchencket, wenn wir ſie
durch den Glauben ergreifen: von welcher Ge-
rechtigkeit oben cap. 2. 3. 4. 5. gehandelt iſt.
[Spaltenumbruch] Dieſe kennen ſie dergeſtalt) nicht (daß ſie dieſel-
be, wenn ſie ihnen gleich angeprieſen wird, nicht
erkennen und annehmen wollen,) und trach-
ten ihre eigene Gerechtigkeit
(aus bloſſen
Natur-Kraͤften nach dem Geſetze in aͤuſſerlichen
Wercken und Levitiſchen Coremonien aufzurich-
teu, und damit den Himmel zu verdienen,)
und ſind alſo der Gerechtigkeit, die vor
GOtt gilt, nicht unterthan,
(dieſelbe
im Gehorſam des Glaubens c. 1, 5. 16, 26. Act.
6, 7. mit Verleugnung ihres geiſtlichen Stol-
tzes anzunehmen, alſo daß ſie von ihrer falſchen
Hoͤhe herunter ſtiegen, und ſich als arme Suͤn-
der in ihrer Unwuͤrdigkeit unter GOTT demuͤ-
thigten und mit dem bußfertigen Zoͤllner, ſagten:
GOtt ſey mir Suͤnder gnaͤdig.)

Anmerckungen.

1. Keine Leute ſind ferner vom Reiche
GOttes und ſchwerer zu bekehren, als die, wel-
che, wenn ſie von der rechten Ordnung des
Heils hoͤren, ſo viel eigne Gerechtigkeit haben,
daß ſie meinen, ſie ſtehen ſchon laͤngſt darinnen.
Denn bey aͤuſſerlichen groben Wercken des Flei-
ſches kan man ſie zur Uberzeugung ihres noch
gantz unbekehrten Weſens nicht anfaſſen: und
redet man vom innern mit ihnen, ſo ſprechen ſie
zu allem ja; bis endlich noch manchem die Au-
gen aufgehen, daß er ſich vor ſich ſelbſt ent-
ſetzet.

2. Keine Leute ſind hingegen auch dem gu-
ten abholder, als welche den rechtſchaffnen und
ernſtlichen Wandel wahrer Chriſten, der aus
der Evangeliſchen Quelle der Gnade entſtehet,
wider die Wahrheit und Liebe alſo beurtheilen,
daß ſie ihn fuͤr eine Phariſaͤiſche Werckheilig-
keit halten, ihn auch wol mit gehaͤßigen Na-
men belegen.

V. 4.

Denn (um zu erkennen, warum der Weg,
durch die Gerechtigkeit des Geſetzes ſelig zu wer-
den, nicht der rechte, oder uns nuͤtzliche, und
daß alſo der unglaubigen Juden ihr Eifer mit
Unverſtand ſey; ſo iſt zu mercken, daß das Ge-
ſetz uns dazu nicht gegeben, ſondern es auf das
Evangelium von Chriſto ankommet,) Chriſtus
iſt des Geſetzes Ende,
(in Chriſto, ſo bald
wir durch den Glauben in ihm ſind, hoͤret das
Geſetz auf, uns, wegen unſer Unvermoͤgen,
ihm ein Genuͤgen zu thun, zu verfluchen und

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[129/0157] Cap. 10, v. 1-4. an die Roͤmer. Das zehnte Capitel. Worinn der Apoſtel noch mit mehrern vorſtellet und erlaͤu- tert/ daß die meiſten Juͤden ihre Verwerfung und Verſtockung durch ihren Unglauben und Widerſpenſtigkeit gegen das allen Menſchen zugedachte Evangelium von CHriſto ſelbſt verur- ſachet haben. V. 1. LJeben Bruͤder, meines Hertzens Wunſch iſt, und flehe auch GOtt fuͤr Jſrael, daß ſie ſelig werden. (Daraus denn ſo viel mehr zu erkennen iſt, daß ich ſie nicht haſſe, und daß ich ihre Verwerfung nicht fuͤr all- gemein halte, noch einem abſoluten Rathſchluſſe GOttes zuſchreibe.) Anmerckung. Dieſes iſt auch unſere Pflicht, Paulo dar- inn nachzufolgen, und die Bekehrung des Juͤdi- ſchen Volcks nicht allein zu wuͤnſchen, ſondern auch mit unſerm Gebet fuͤr ſie zu GOtt, und mit unſerm guten Exempel, zu befordern: Zu- mal da von ihrer noch kuͤnftigen faſt allgemeinen Bekehrung ſo viel herrliche Verheiſſungen vor- handen ſind: wie wir hernach im eilften Capi- tel mit mehrern ſehen werden. V. 2. Denn ich gebe ihnen Zeugniß, daß ſie eifern um GOtt, aber mit Unverſtand, (wie noch heutiges Tages vielfaͤltig geſchiehet: nicht allein im Pabſtthum; ſondern auch unter den Evangeliſchen von manchen unbekehrten und fleiſchlich geſinneten Lehrern, welche im Geiſte der alten Phariſaͤer ſtehen, und, da ſie auf der einen Seite den Syncretiſmum und den Indifſe- rentiſmum in der Religion vermeiden wollen, nicht ſehen, daß ſie auf das alterum extremum eines recht ſectiriſchen und blinden Religions- Eifers verfallen, und, unter der Einbildung der vertheidigten Orthodoxie, oder reinen Lehre und geretteten Ehre GOttes, wol gar die theu- reſten Evangeliſchen Wahrheiten beſtreiten, ja Chriſtum in ſeinen Gliedern haſſen, beſchuldi- gen und verunglimpfen; dabey aber doch mit je- nen alten Feinden immer meinen, als thaͤten ſie GOtt einen Dienſt daran. Joh. 16, 1. 2. Actor. 21, 20. 22, 3. 4. Gal. 1, 14. V. 3. Denn ſie erkennen die Gerechtigkeit, die vor GOtt gilt, (τὴν τοῦ Θεοῦ δικαίοσύνην, die Gerechtigkeit GOTTes, die von GOTT koͤmmt, die, nachdem ſie der Sohn GOttes, und alſo GOTT ſelbſt uns erworben hat, uns GOTT aus Gnaden ſchencket, wenn wir ſie durch den Glauben ergreifen: von welcher Ge- rechtigkeit oben cap. 2. 3. 4. 5. gehandelt iſt. Dieſe kennen ſie dergeſtalt) nicht (daß ſie dieſel- be, wenn ſie ihnen gleich angeprieſen wird, nicht erkennen und annehmen wollen,) und trach- ten ihre eigene Gerechtigkeit (aus bloſſen Natur-Kraͤften nach dem Geſetze in aͤuſſerlichen Wercken und Levitiſchen Coremonien aufzurich- teu, und damit den Himmel zu verdienen,) und ſind alſo der Gerechtigkeit, die vor GOtt gilt, nicht unterthan, (dieſelbe im Gehorſam des Glaubens c. 1, 5. 16, 26. Act. 6, 7. mit Verleugnung ihres geiſtlichen Stol- tzes anzunehmen, alſo daß ſie von ihrer falſchen Hoͤhe herunter ſtiegen, und ſich als arme Suͤn- der in ihrer Unwuͤrdigkeit unter GOTT demuͤ- thigten und mit dem bußfertigen Zoͤllner, ſagten: GOtt ſey mir Suͤnder gnaͤdig.) Anmerckungen. 1. Keine Leute ſind ferner vom Reiche GOttes und ſchwerer zu bekehren, als die, wel- che, wenn ſie von der rechten Ordnung des Heils hoͤren, ſo viel eigne Gerechtigkeit haben, daß ſie meinen, ſie ſtehen ſchon laͤngſt darinnen. Denn bey aͤuſſerlichen groben Wercken des Flei- ſches kan man ſie zur Uberzeugung ihres noch gantz unbekehrten Weſens nicht anfaſſen: und redet man vom innern mit ihnen, ſo ſprechen ſie zu allem ja; bis endlich noch manchem die Au- gen aufgehen, daß er ſich vor ſich ſelbſt ent- ſetzet. 2. Keine Leute ſind hingegen auch dem gu- ten abholder, als welche den rechtſchaffnen und ernſtlichen Wandel wahrer Chriſten, der aus der Evangeliſchen Quelle der Gnade entſtehet, wider die Wahrheit und Liebe alſo beurtheilen, daß ſie ihn fuͤr eine Phariſaͤiſche Werckheilig- keit halten, ihn auch wol mit gehaͤßigen Na- men belegen. V. 4. Denn (um zu erkennen, warum der Weg, durch die Gerechtigkeit des Geſetzes ſelig zu wer- den, nicht der rechte, oder uns nuͤtzliche, und daß alſo der unglaubigen Juden ihr Eifer mit Unverſtand ſey; ſo iſt zu mercken, daß das Ge- ſetz uns dazu nicht gegeben, ſondern es auf das Evangelium von Chriſto ankommet,) Chriſtus iſt des Geſetzes Ende, (in Chriſto, ſo bald wir durch den Glauben in ihm ſind, hoͤret das Geſetz auf, uns, wegen unſer Unvermoͤgen, ihm ein Genuͤgen zu thun, zu verfluchen und zu R

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht01_1729/157>, abgerufen am 21.11.2024.