Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729.

Bild:
<< vorherige Seite

Cap. 12, v. 7. an die Corinthier.
[Spaltenumbruch] hatte, so suchet er das erstere zu verhüten Wel-
ches denn ein gutes Kennzeichen eines getreuen
Seelen-Hirtens ist.

V. 7.

Und auf daß ich mich nicht der hohen
Offenbarung überhebe, ist mir gegeben
ein Pfahl ins Fleisch, nemlich des Satans
Engel, der mich mit Fäusten schlage, auf
daß ich mich nicht überhebe.

Anmerckungen.
1. Was diß für ein besonderes Leiden
Pauli gewesen, darüber sind zwar viele Mei-
nungen der Ausleger; die sich aber weder zum
Texte noch zum Contexte, schicken. Davon
um deßwillen einige nach ihrem Ungrunde anzu-
führen sind, damit man aus der Unrichtigkeit
hernach den richtigen Sinn Pauli desto eigentli-
cher erkennen könne.
2. Es kan dieser Ort nicht wohl also ver-
standen werden, daß der Satan Paulo leibli-
cher Weise erschienen sey,
und ihm wircklich
Fäusten-Schläge gegeben habe. Denn so
wenig die ersten Worte, von einem in das Fleisch
oder Leib gegebnen Pfahl, nach dem Buchsta-
ben zu verstehen sind, so wenig sind auch die letz-
tern nach ihrem buchstäblichen Laute anzuneh-
men. Daß aber die erstern und letztern auf ei-
nerley gehen, siehet ein ieder. Denn was der
Apostel erstlich mit verblümten vom Pfahl her-
genommenen Worten ausgesprochen hat, das
erläutert er hernach mit den Worten von den
Fäusten-Schlägen also, daß er zugleich anzei-
get, woher das Leiden rühre, nemlich vom Sa-
tan. Und da Pauli Leib ohne das durch die vie-
len würcklichen Schläge, blutigen Geisselungen,
Frost, Hunger und Durst, viel Wachen und
andern äusserlichen sehr schweren und harten
Leiden, sonderlich der Ketten und Banden in
den tiefesten Gefängnissen so sehr ausgemergelt
und entkräftet worden war, daß der äussere
Mensch daher an ihm immer mehr verwesete,
2 Cor. 4, 16. so ist gar nicht vermuthlich, daß
GOtt über den dem Leibe nach also geplagten
Paulum noch ein mehrers solte verhänget
haben.
3. Und eben so wenig läßt sich der Ort von
einer leiblichen Kranckheit, oder von einem
gewissen Zufall, welchen er innerlich oder äusser-
lich am Leibe gehabt, als da ist die Gicht und
dergleichen, verstehen, sintemal der Apostel die
Noth und Leiden des Leibes, die alhier eben so
wenig gemeinet seyn können, wie gedacht,
schon im Uberfluß hatte; dergleichen Affect
auch eben kein besonderes Mittel wider die Er-
hebung des Gemüths war. Es fällt denn auch
damit dahin die Meinung derer, die es von
Pauli Widersachern und aller seiner Verfol-
gung auslegen: als davon er schon vorher ge-
handelt hat, hier aber etwas besonders anführet.
Und wie wolte sich auch dazu das Gebet schicken,
da er GOtt anflehet, ihn von diesem Ubel zu be-
freyen? Denn er wuste ja wohl, daß er davon
vor seinem Tode keine Befreyung zu gewarten
hätte: und da ihm das Geheimniß des Creutzes
[Spaltenumbruch] bekant war, so hat er sie auch nicht einmal ver-
langet, oder verlangen können.
4. Da nun dieses Leiden am Leibe Pauli
und in den dazu gehörigen Umständen nicht zu
finden und also auch nicht zu suchen ist, und
er es doch also an sich gehabt hat, daß es ihm
sehr empfindlich gewesen; so muß seine Seele
damit seyn geängstet worden. Solte es nun
wol die Erb-Sünde mit ihren noch übrigen
Reitzungen gewesen seyn? Jch sage nein.
Denn obgleich Paulus auch davon sich noch
nicht gantz frey gewust; wie man unter andern
auch daraus erkennet, daß er bekennet in dem
Stande zu seyn, darinnen er sich erheben können,
und daß wider die Erhebung GOtt etwas har-
tes über ihn verhenget habe: so wird doch dieses
Leiden der Erb-Sünde in ihren Versuchungen
zur Eigenliebe entgegen gesetzet. Es würde die-
se Meynung auch wider den grossen Ernst, den
Paulus mit so grosser Verleugnung seiner selbst
und so williger Ubernehmung des Creutzes Chri-
sti, und mit so vielen Proben der zu einem gewiß
nicht geringen Grad gebrachten Tugenden in der
Heiligung erwiesen, gar sehr streiten, noch sich
zu den so gar nachdrücklichen Worten vom Pfahl
im Fleische und von Satanischen Fäusten-
Schlägen schicken. Denn hiemit wird ein
gantz besonders Leiden, das Paulus nicht eben
mit allen übrigen Christen gemein gehabt,
angezeiget; von der Erb-Sünde aber und dero-
selben Regungen ist kein Mensch frey. Daß es
viele unter den Papisten, um ihren ehe- und da-
bey bey vielen auch ehr- und gewissenlosen
Münchs- und Nonnen-Stand wider den Vor-
wurf vom Mangel der Gabe der Enthaltung
zu vertheidigen, gar von einer empfindlichen
Reitzung zur Unkeuschheit verstehen, ist so unge-
reimt, daß es nicht einmal einiger Widerlegung
gebrauchet.
5. Und da es auch keine geringe Anfech-
tung
ist, wenn eine Seele, die würcklich im
Stande der Gnaden stehet, in eine solche Dür-
re
und geistliche Wüste geräth, daß sie an der
Gnade GOttes, an ihrer Kindschaft und an der
ewigen Seligkeit zweifelt, sich auch wol gar
verworfen hält, und mit dem sehr schweren
Scrupel von der absoluten Erwehlung und Ver-
werfung gesichtet und recht gequälet wird, und
man also gedencken möchte, daß dieses der Pfahl
im Fleische und des Satans Fäusten-Schläge
gewesen wären: so will sich auch diese Meinung
allhier für Paulum gar nicht schicken. Denn
man findet in seinen Briefen keine eintzige Spur
von dieser Anfechtung, sondern fast allenthal-
ben das Gegentheil, und eine solche Glaubens-
Freudigkeit und Gewißheit von der Gnade
GOttes in Christo und von der ihm anvertraue-
ten theuren Beylage der geistlichen Heils-Güter,
daß man sich darüber recht zu verwundern hat.
6. Eine Art der Gemüths-Aengstigun-
gen
ist noch übrig, welche wol den meisten
Schein hat, daß sie alhier gemeinet sey. Nem-
lich da Paulus vorher Christum in seinen Glie-
dern aufs allergrimmigste verfolget, und man-
che Schwache auch wol, durch Hülfe der rich-
terlichen Gewalt, zur Lästerung wider den Na-
men

Cap. 12, v. 7. an die Corinthier.
[Spaltenumbruch] hatte, ſo ſuchet er das erſtere zu verhuͤten Wel-
ches denn ein gutes Kennzeichen eines getreuen
Seelen-Hirtens iſt.

V. 7.

Und auf daß ich mich nicht der hohen
Offenbarung uͤberhebe, iſt mir gegeben
ein Pfahl ins Fleiſch, nemlich des Satans
Engel, der mich mit Faͤuſten ſchlage, auf
daß ich mich nicht uͤberhebe.

Anmerckungen.
1. Was diß fuͤr ein beſonderes Leiden
Pauli geweſen, daruͤber ſind zwar viele Mei-
nungen der Ausleger; die ſich aber weder zum
Texte noch zum Contexte, ſchicken. Davon
um deßwillen einige nach ihrem Ungrunde anzu-
fuͤhren ſind, damit man aus der Unrichtigkeit
hernach den richtigen Sinn Pauli deſto eigentli-
cher erkennen koͤnne.
2. Es kan dieſer Ort nicht wohl alſo ver-
ſtanden werden, daß der Satan Paulo leibli-
cher Weiſe erſchienen ſey,
und ihm wircklich
Faͤuſten-Schlaͤge gegeben habe. Denn ſo
wenig die erſten Worte, von einem in das Fleiſch
oder Leib gegebnen Pfahl, nach dem Buchſta-
ben zu verſtehen ſind, ſo wenig ſind auch die letz-
tern nach ihrem buchſtaͤblichen Laute anzuneh-
men. Daß aber die erſtern und letztern auf ei-
nerley gehen, ſiehet ein ieder. Denn was der
Apoſtel erſtlich mit verbluͤmten vom Pfahl her-
genommenen Worten ausgeſprochen hat, das
erlaͤutert er hernach mit den Worten von den
Faͤuſten-Schlaͤgen alſo, daß er zugleich anzei-
get, woher das Leiden ruͤhre, nemlich vom Sa-
tan. Und da Pauli Leib ohne das durch die vie-
len wuͤrcklichen Schlaͤge, blutigen Geiſſelungen,
Froſt, Hunger und Durſt, viel Wachen und
andern aͤuſſerlichen ſehr ſchweren und harten
Leiden, ſonderlich der Ketten und Banden in
den tiefeſten Gefaͤngniſſen ſo ſehr ausgemergelt
und entkraͤftet worden war, daß der aͤuſſere
Menſch daher an ihm immer mehr verweſete,
2 Cor. 4, 16. ſo iſt gar nicht vermuthlich, daß
GOtt uͤber den dem Leibe nach alſo geplagten
Paulum noch ein mehrers ſolte verhaͤnget
haben.
3. Und eben ſo wenig laͤßt ſich der Ort von
einer leiblichen Kranckheit, oder von einem
gewiſſen Zufall, welchen er innerlich oder aͤuſſer-
lich am Leibe gehabt, als da iſt die Gicht und
dergleichen, verſtehen, ſintemal der Apoſtel die
Noth und Leiden des Leibes, die alhier eben ſo
wenig gemeinet ſeyn koͤnnen, wie gedacht,
ſchon im Uberfluß hatte; dergleichen Affect
auch eben kein beſonderes Mittel wider die Er-
hebung des Gemuͤths war. Es faͤllt denn auch
damit dahin die Meinung derer, die es von
Pauli Widerſachern und aller ſeiner Verfol-
gung auslegen: als davon er ſchon vorher ge-
handelt hat, hier aber etwas beſonders anfuͤhret.
Und wie wolte ſich auch dazu das Gebet ſchicken,
da er GOtt anflehet, ihn von dieſem Ubel zu be-
freyen? Denn er wuſte ja wohl, daß er davon
vor ſeinem Tode keine Befreyung zu gewarten
haͤtte: und da ihm das Geheimniß des Creutzes
[Spaltenumbruch] bekant war, ſo hat er ſie auch nicht einmal ver-
langet, oder verlangen koͤnnen.
4. Da nun dieſes Leiden am Leibe Pauli
und in den dazu gehoͤrigen Umſtaͤnden nicht zu
finden und alſo auch nicht zu ſuchen iſt, und
er es doch alſo an ſich gehabt hat, daß es ihm
ſehr empfindlich geweſen; ſo muß ſeine Seele
damit ſeyn geaͤngſtet worden. Solte es nun
wol die Erb-Suͤnde mit ihren noch uͤbrigen
Reitzungen geweſen ſeyn? Jch ſage nein.
Denn obgleich Paulus auch davon ſich noch
nicht gantz frey gewuſt; wie man unter andern
auch daraus erkennet, daß er bekennet in dem
Stande zu ſeyn, darinnen er ſich erheben koͤnnen,
und daß wider die Erhebung GOtt etwas har-
tes uͤber ihn verhenget habe: ſo wird doch dieſes
Leiden der Erb-Suͤnde in ihren Verſuchungen
zur Eigenliebe entgegen geſetzet. Es wuͤrde die-
ſe Meynung auch wider den groſſen Ernſt, den
Paulus mit ſo groſſer Verleugnung ſeiner ſelbſt
und ſo williger Ubernehmung des Creutzes Chri-
ſti, und mit ſo vielen Proben der zu einem gewiß
nicht geringen Grad gebrachten Tugenden in der
Heiligung erwieſen, gar ſehr ſtreiten, noch ſich
zu den ſo gar nachdruͤcklichen Worten vom Pfahl
im Fleiſche und von Sataniſchen Faͤuſten-
Schlaͤgen ſchicken. Denn hiemit wird ein
gantz beſonders Leiden, das Paulus nicht eben
mit allen uͤbrigen Chriſten gemein gehabt,
angezeiget; von der Erb-Suͤnde aber und dero-
ſelben Regungen iſt kein Menſch frey. Daß es
viele unter den Papiſten, um ihren ehe- und da-
bey bey vielen auch ehr- und gewiſſenloſen
Muͤnchs- und Nonnen-Stand wider den Vor-
wurf vom Mangel der Gabe der Enthaltung
zu vertheidigen, gar von einer empfindlichen
Reitzung zur Unkeuſchheit verſtehen, iſt ſo unge-
reimt, daß es nicht einmal einiger Widerlegung
gebrauchet.
5. Und da es auch keine geringe Anfech-
tung
iſt, wenn eine Seele, die wuͤrcklich im
Stande der Gnaden ſtehet, in eine ſolche Duͤr-
re
und geiſtliche Wuͤſte geraͤth, daß ſie an der
Gnade GOttes, an ihrer Kindſchaft und an der
ewigen Seligkeit zweifelt, ſich auch wol gar
verworfen haͤlt, und mit dem ſehr ſchweren
Scrupel von der abſoluten Erwehlung und Ver-
werfung geſichtet und recht gequaͤlet wird, und
man alſo gedencken moͤchte, daß dieſes der Pfahl
im Fleiſche und des Satans Faͤuſten-Schlaͤge
geweſen waͤren: ſo will ſich auch dieſe Meinung
allhier fuͤr Paulum gar nicht ſchicken. Denn
man findet in ſeinen Briefen keine eintzige Spur
von dieſer Anfechtung, ſondern faſt allenthal-
ben das Gegentheil, und eine ſolche Glaubens-
Freudigkeit und Gewißheit von der Gnade
GOttes in Chriſto und von der ihm anvertraue-
ten theuren Beylage der geiſtlichen Heils-Guͤter,
daß man ſich daruͤber recht zu verwundern hat.
6. Eine Art der Gemuͤths-Aengſtigun-
gen
iſt noch uͤbrig, welche wol den meiſten
Schein hat, daß ſie alhier gemeinet ſey. Nem-
lich da Paulus vorher Chriſtum in ſeinen Glie-
dern aufs allergrimmigſte verfolget, und man-
che Schwache auch wol, durch Huͤlfe der rich-
terlichen Gewalt, zur Laͤſterung wider den Na-
men
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0491" n="463"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Cap. 12, v. 7. an die Corinthier.</hi></fw><lb/><cb/>
hatte, &#x017F;o &#x017F;uchet er das er&#x017F;tere zu verhu&#x0364;ten Wel-<lb/>
ches denn ein gutes Kennzeichen eines getreuen<lb/>
Seelen-Hirtens i&#x017F;t.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>V. 7.</head><lb/>
            <p> <hi rendition="#fr">Und auf daß ich mich nicht der hohen<lb/>
Offenbarung u&#x0364;berhebe, i&#x017F;t mir gegeben<lb/>
ein Pfahl ins Flei&#x017F;ch, nemlich des Satans<lb/>
Engel, der mich mit Fa&#x0364;u&#x017F;ten &#x017F;chlage, auf<lb/>
daß ich mich nicht u&#x0364;berhebe.</hi> </p><lb/>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#b">Anmerckungen.</hi> </head><lb/>
              <list>
                <item>1. Was diß fu&#x0364;r ein be&#x017F;onderes Leiden<lb/>
Pauli gewe&#x017F;en, daru&#x0364;ber &#x017F;ind zwar viele Mei-<lb/>
nungen der Ausleger; die &#x017F;ich aber weder zum<lb/>
Texte noch zum <hi rendition="#aq">Contexte,</hi> &#x017F;chicken. Davon<lb/>
um deßwillen einige nach ihrem Ungrunde anzu-<lb/>
fu&#x0364;hren &#x017F;ind, damit man aus der Unrichtigkeit<lb/>
hernach den richtigen Sinn Pauli de&#x017F;to eigentli-<lb/>
cher erkennen ko&#x0364;nne.</item><lb/>
                <item>2. Es kan die&#x017F;er Ort nicht wohl al&#x017F;o ver-<lb/>
&#x017F;tanden werden, daß der Satan Paulo <hi rendition="#fr">leibli-<lb/>
cher Wei&#x017F;e er&#x017F;chienen &#x017F;ey,</hi> und ihm wircklich<lb/><hi rendition="#fr">Fa&#x0364;u&#x017F;ten-Schla&#x0364;ge</hi> gegeben habe. Denn &#x017F;o<lb/>
wenig die er&#x017F;ten Worte, von einem in das Flei&#x017F;ch<lb/>
oder Leib gegebnen Pfahl, nach dem Buch&#x017F;ta-<lb/>
ben zu ver&#x017F;tehen &#x017F;ind, &#x017F;o wenig &#x017F;ind auch die letz-<lb/>
tern nach ihrem buch&#x017F;ta&#x0364;blichen Laute anzuneh-<lb/>
men. Daß aber die er&#x017F;tern und letztern auf ei-<lb/>
nerley gehen, &#x017F;iehet ein ieder. Denn was der<lb/>
Apo&#x017F;tel er&#x017F;tlich mit <hi rendition="#fr">verblu&#x0364;mten</hi> vom Pfahl her-<lb/>
genommenen <hi rendition="#fr">Worten</hi> ausge&#x017F;prochen hat, das<lb/>
erla&#x0364;utert er hernach mit den Worten von den<lb/><hi rendition="#fr">Fa&#x0364;u&#x017F;ten-Schla&#x0364;gen</hi> al&#x017F;o, daß er zugleich anzei-<lb/>
get, woher das Leiden ru&#x0364;hre, nemlich vom Sa-<lb/>
tan. Und da Pauli Leib ohne das durch die vie-<lb/>
len wu&#x0364;rcklichen Schla&#x0364;ge, blutigen Gei&#x017F;&#x017F;elungen,<lb/>
Fro&#x017F;t, Hunger und Dur&#x017F;t, viel Wachen und<lb/>
andern a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;erlichen &#x017F;ehr &#x017F;chweren und harten<lb/>
Leiden, &#x017F;onderlich der Ketten und Banden in<lb/>
den tiefe&#x017F;ten Gefa&#x0364;ngni&#x017F;&#x017F;en &#x017F;o &#x017F;ehr ausgemergelt<lb/>
und entkra&#x0364;ftet worden war, daß der a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;ere<lb/>
Men&#x017F;ch daher an ihm immer mehr verwe&#x017F;ete,<lb/>
2 Cor. 4, 16. &#x017F;o i&#x017F;t gar nicht vermuthlich, daß<lb/>
GOtt u&#x0364;ber den dem Leibe nach al&#x017F;o geplagten<lb/>
Paulum noch ein mehrers &#x017F;olte verha&#x0364;nget<lb/>
haben.</item><lb/>
                <item>3. Und eben &#x017F;o wenig la&#x0364;ßt &#x017F;ich der Ort von<lb/>
einer <hi rendition="#fr">leiblichen Kranckheit,</hi> oder von einem<lb/>
gewi&#x017F;&#x017F;en Zufall, welchen er innerlich oder a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;er-<lb/>
lich am Leibe gehabt, als da i&#x017F;t die Gicht und<lb/>
dergleichen, ver&#x017F;tehen, &#x017F;intemal der Apo&#x017F;tel die<lb/>
Noth und Leiden des Leibes, die alhier eben &#x017F;o<lb/>
wenig gemeinet &#x017F;eyn ko&#x0364;nnen, wie gedacht,<lb/>
&#x017F;chon im Uberfluß hatte; dergleichen <hi rendition="#aq">Affect</hi><lb/>
auch eben kein be&#x017F;onderes Mittel wider die Er-<lb/>
hebung des Gemu&#x0364;ths war. Es fa&#x0364;llt denn auch<lb/>
damit dahin die Meinung derer, die es von<lb/>
Pauli Wider&#x017F;achern und aller &#x017F;einer Verfol-<lb/>
gung auslegen: als davon er &#x017F;chon vorher ge-<lb/>
handelt hat, hier aber etwas be&#x017F;onders anfu&#x0364;hret.<lb/>
Und wie wolte &#x017F;ich auch dazu das Gebet &#x017F;chicken,<lb/>
da er GOtt anflehet, ihn von die&#x017F;em Ubel zu be-<lb/>
freyen? Denn er wu&#x017F;te ja wohl, daß er davon<lb/>
vor &#x017F;einem Tode keine Befreyung zu gewarten<lb/>
ha&#x0364;tte: und da ihm das Geheimniß des Creutzes<lb/><cb/>
bekant war, &#x017F;o hat er &#x017F;ie auch nicht einmal ver-<lb/>
langet, oder verlangen ko&#x0364;nnen.</item><lb/>
                <item>4. Da nun die&#x017F;es Leiden am Leibe Pauli<lb/>
und in den dazu geho&#x0364;rigen Um&#x017F;ta&#x0364;nden nicht zu<lb/>
finden und al&#x017F;o auch nicht zu &#x017F;uchen i&#x017F;t, und<lb/>
er es doch al&#x017F;o an &#x017F;ich gehabt hat, daß es ihm<lb/>
&#x017F;ehr empfindlich gewe&#x017F;en; &#x017F;o muß &#x017F;eine <hi rendition="#fr">Seele</hi><lb/>
damit &#x017F;eyn gea&#x0364;ng&#x017F;tet worden. Solte es nun<lb/>
wol die <hi rendition="#fr">Erb-Su&#x0364;nde</hi> mit ihren noch u&#x0364;brigen<lb/>
Reitzungen gewe&#x017F;en &#x017F;eyn? Jch &#x017F;age nein.<lb/>
Denn obgleich Paulus auch davon &#x017F;ich noch<lb/>
nicht gantz frey gewu&#x017F;t; wie man unter andern<lb/>
auch daraus erkennet, daß er bekennet in dem<lb/>
Stande zu &#x017F;eyn, darinnen er &#x017F;ich erheben ko&#x0364;nnen,<lb/>
und daß wider die Erhebung GOtt etwas har-<lb/>
tes u&#x0364;ber ihn verhenget habe: &#x017F;o wird doch die&#x017F;es<lb/>
Leiden der Erb-Su&#x0364;nde in ihren Ver&#x017F;uchungen<lb/>
zur Eigenliebe entgegen ge&#x017F;etzet. Es wu&#x0364;rde die-<lb/>
&#x017F;e Meynung auch wider den gro&#x017F;&#x017F;en Ern&#x017F;t, den<lb/>
Paulus mit &#x017F;o gro&#x017F;&#x017F;er Verleugnung &#x017F;einer &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
und &#x017F;o williger Ubernehmung des Creutzes Chri-<lb/>
&#x017F;ti, und mit &#x017F;o vielen Proben der zu einem gewiß<lb/>
nicht geringen Grad gebrachten Tugenden in der<lb/>
Heiligung erwie&#x017F;en, gar &#x017F;ehr &#x017F;treiten, noch &#x017F;ich<lb/>
zu den &#x017F;o gar nachdru&#x0364;cklichen Worten vom Pfahl<lb/>
im Flei&#x017F;che und von Satani&#x017F;chen Fa&#x0364;u&#x017F;ten-<lb/>
Schla&#x0364;gen &#x017F;chicken. Denn hiemit wird ein<lb/>
gantz be&#x017F;onders Leiden, das Paulus nicht eben<lb/>
mit allen u&#x0364;brigen Chri&#x017F;ten gemein gehabt,<lb/>
angezeiget; von der Erb-Su&#x0364;nde aber und dero-<lb/>
&#x017F;elben Regungen i&#x017F;t kein Men&#x017F;ch frey. Daß es<lb/>
viele unter den Papi&#x017F;ten, um ihren ehe- und da-<lb/>
bey bey vielen auch ehr- und gewi&#x017F;&#x017F;enlo&#x017F;en<lb/>
Mu&#x0364;nchs- und Nonnen-Stand wider den Vor-<lb/>
wurf vom Mangel der Gabe der Enthaltung<lb/>
zu vertheidigen, gar von einer empfindlichen<lb/>
Reitzung zur Unkeu&#x017F;chheit ver&#x017F;tehen, i&#x017F;t &#x017F;o unge-<lb/>
reimt, daß es nicht einmal einiger Widerlegung<lb/>
gebrauchet.</item><lb/>
                <item>5. Und da es auch keine geringe <hi rendition="#fr">Anfech-<lb/>
tung</hi> i&#x017F;t, wenn eine Seele, die wu&#x0364;rcklich im<lb/>
Stande der Gnaden &#x017F;tehet, in eine &#x017F;olche <hi rendition="#fr">Du&#x0364;r-<lb/>
re</hi> und <hi rendition="#fr">gei&#x017F;tliche Wu&#x0364;&#x017F;te</hi> gera&#x0364;th, daß &#x017F;ie an der<lb/>
Gnade GOttes, an ihrer Kind&#x017F;chaft und an der<lb/>
ewigen Seligkeit zweifelt, &#x017F;ich auch wol gar<lb/>
verworfen ha&#x0364;lt, und mit dem &#x017F;ehr &#x017F;chweren<lb/>
Scrupel von der <hi rendition="#aq">ab&#x017F;olut</hi>en Erwehlung und Ver-<lb/>
werfung ge&#x017F;ichtet und recht gequa&#x0364;let wird, und<lb/>
man al&#x017F;o gedencken mo&#x0364;chte, daß die&#x017F;es der Pfahl<lb/>
im Flei&#x017F;che und des Satans Fa&#x0364;u&#x017F;ten-Schla&#x0364;ge<lb/>
gewe&#x017F;en wa&#x0364;ren: &#x017F;o will &#x017F;ich auch die&#x017F;e Meinung<lb/>
allhier fu&#x0364;r Paulum gar nicht &#x017F;chicken. Denn<lb/>
man findet in &#x017F;einen Briefen keine eintzige Spur<lb/>
von die&#x017F;er Anfechtung, &#x017F;ondern fa&#x017F;t allenthal-<lb/>
ben das Gegentheil, und eine &#x017F;olche Glaubens-<lb/>
Freudigkeit und Gewißheit von der Gnade<lb/>
GOttes in Chri&#x017F;to und von der ihm anvertraue-<lb/>
ten theuren Beylage der gei&#x017F;tlichen Heils-Gu&#x0364;ter,<lb/>
daß man &#x017F;ich daru&#x0364;ber recht zu verwundern hat.</item><lb/>
                <item>6. Eine Art der <hi rendition="#fr">Gemu&#x0364;ths-Aeng&#x017F;tigun-<lb/>
gen</hi> i&#x017F;t noch u&#x0364;brig, welche wol den mei&#x017F;ten<lb/>
Schein hat, daß &#x017F;ie alhier gemeinet &#x017F;ey. Nem-<lb/>
lich da Paulus vorher Chri&#x017F;tum in &#x017F;einen Glie-<lb/>
dern aufs allergrimmig&#x017F;te verfolget, und man-<lb/>
che Schwache auch wol, durch Hu&#x0364;lfe der rich-<lb/>
terlichen Gewalt, zur La&#x0364;&#x017F;terung wider den Na-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">men</fw><lb/></item>
              </list>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[463/0491] Cap. 12, v. 7. an die Corinthier. hatte, ſo ſuchet er das erſtere zu verhuͤten Wel- ches denn ein gutes Kennzeichen eines getreuen Seelen-Hirtens iſt. V. 7. Und auf daß ich mich nicht der hohen Offenbarung uͤberhebe, iſt mir gegeben ein Pfahl ins Fleiſch, nemlich des Satans Engel, der mich mit Faͤuſten ſchlage, auf daß ich mich nicht uͤberhebe. Anmerckungen. 1. Was diß fuͤr ein beſonderes Leiden Pauli geweſen, daruͤber ſind zwar viele Mei- nungen der Ausleger; die ſich aber weder zum Texte noch zum Contexte, ſchicken. Davon um deßwillen einige nach ihrem Ungrunde anzu- fuͤhren ſind, damit man aus der Unrichtigkeit hernach den richtigen Sinn Pauli deſto eigentli- cher erkennen koͤnne. 2. Es kan dieſer Ort nicht wohl alſo ver- ſtanden werden, daß der Satan Paulo leibli- cher Weiſe erſchienen ſey, und ihm wircklich Faͤuſten-Schlaͤge gegeben habe. Denn ſo wenig die erſten Worte, von einem in das Fleiſch oder Leib gegebnen Pfahl, nach dem Buchſta- ben zu verſtehen ſind, ſo wenig ſind auch die letz- tern nach ihrem buchſtaͤblichen Laute anzuneh- men. Daß aber die erſtern und letztern auf ei- nerley gehen, ſiehet ein ieder. Denn was der Apoſtel erſtlich mit verbluͤmten vom Pfahl her- genommenen Worten ausgeſprochen hat, das erlaͤutert er hernach mit den Worten von den Faͤuſten-Schlaͤgen alſo, daß er zugleich anzei- get, woher das Leiden ruͤhre, nemlich vom Sa- tan. Und da Pauli Leib ohne das durch die vie- len wuͤrcklichen Schlaͤge, blutigen Geiſſelungen, Froſt, Hunger und Durſt, viel Wachen und andern aͤuſſerlichen ſehr ſchweren und harten Leiden, ſonderlich der Ketten und Banden in den tiefeſten Gefaͤngniſſen ſo ſehr ausgemergelt und entkraͤftet worden war, daß der aͤuſſere Menſch daher an ihm immer mehr verweſete, 2 Cor. 4, 16. ſo iſt gar nicht vermuthlich, daß GOtt uͤber den dem Leibe nach alſo geplagten Paulum noch ein mehrers ſolte verhaͤnget haben. 3. Und eben ſo wenig laͤßt ſich der Ort von einer leiblichen Kranckheit, oder von einem gewiſſen Zufall, welchen er innerlich oder aͤuſſer- lich am Leibe gehabt, als da iſt die Gicht und dergleichen, verſtehen, ſintemal der Apoſtel die Noth und Leiden des Leibes, die alhier eben ſo wenig gemeinet ſeyn koͤnnen, wie gedacht, ſchon im Uberfluß hatte; dergleichen Affect auch eben kein beſonderes Mittel wider die Er- hebung des Gemuͤths war. Es faͤllt denn auch damit dahin die Meinung derer, die es von Pauli Widerſachern und aller ſeiner Verfol- gung auslegen: als davon er ſchon vorher ge- handelt hat, hier aber etwas beſonders anfuͤhret. Und wie wolte ſich auch dazu das Gebet ſchicken, da er GOtt anflehet, ihn von dieſem Ubel zu be- freyen? Denn er wuſte ja wohl, daß er davon vor ſeinem Tode keine Befreyung zu gewarten haͤtte: und da ihm das Geheimniß des Creutzes bekant war, ſo hat er ſie auch nicht einmal ver- langet, oder verlangen koͤnnen. 4. Da nun dieſes Leiden am Leibe Pauli und in den dazu gehoͤrigen Umſtaͤnden nicht zu finden und alſo auch nicht zu ſuchen iſt, und er es doch alſo an ſich gehabt hat, daß es ihm ſehr empfindlich geweſen; ſo muß ſeine Seele damit ſeyn geaͤngſtet worden. Solte es nun wol die Erb-Suͤnde mit ihren noch uͤbrigen Reitzungen geweſen ſeyn? Jch ſage nein. Denn obgleich Paulus auch davon ſich noch nicht gantz frey gewuſt; wie man unter andern auch daraus erkennet, daß er bekennet in dem Stande zu ſeyn, darinnen er ſich erheben koͤnnen, und daß wider die Erhebung GOtt etwas har- tes uͤber ihn verhenget habe: ſo wird doch dieſes Leiden der Erb-Suͤnde in ihren Verſuchungen zur Eigenliebe entgegen geſetzet. Es wuͤrde die- ſe Meynung auch wider den groſſen Ernſt, den Paulus mit ſo groſſer Verleugnung ſeiner ſelbſt und ſo williger Ubernehmung des Creutzes Chri- ſti, und mit ſo vielen Proben der zu einem gewiß nicht geringen Grad gebrachten Tugenden in der Heiligung erwieſen, gar ſehr ſtreiten, noch ſich zu den ſo gar nachdruͤcklichen Worten vom Pfahl im Fleiſche und von Sataniſchen Faͤuſten- Schlaͤgen ſchicken. Denn hiemit wird ein gantz beſonders Leiden, das Paulus nicht eben mit allen uͤbrigen Chriſten gemein gehabt, angezeiget; von der Erb-Suͤnde aber und dero- ſelben Regungen iſt kein Menſch frey. Daß es viele unter den Papiſten, um ihren ehe- und da- bey bey vielen auch ehr- und gewiſſenloſen Muͤnchs- und Nonnen-Stand wider den Vor- wurf vom Mangel der Gabe der Enthaltung zu vertheidigen, gar von einer empfindlichen Reitzung zur Unkeuſchheit verſtehen, iſt ſo unge- reimt, daß es nicht einmal einiger Widerlegung gebrauchet. 5. Und da es auch keine geringe Anfech- tung iſt, wenn eine Seele, die wuͤrcklich im Stande der Gnaden ſtehet, in eine ſolche Duͤr- re und geiſtliche Wuͤſte geraͤth, daß ſie an der Gnade GOttes, an ihrer Kindſchaft und an der ewigen Seligkeit zweifelt, ſich auch wol gar verworfen haͤlt, und mit dem ſehr ſchweren Scrupel von der abſoluten Erwehlung und Ver- werfung geſichtet und recht gequaͤlet wird, und man alſo gedencken moͤchte, daß dieſes der Pfahl im Fleiſche und des Satans Faͤuſten-Schlaͤge geweſen waͤren: ſo will ſich auch dieſe Meinung allhier fuͤr Paulum gar nicht ſchicken. Denn man findet in ſeinen Briefen keine eintzige Spur von dieſer Anfechtung, ſondern faſt allenthal- ben das Gegentheil, und eine ſolche Glaubens- Freudigkeit und Gewißheit von der Gnade GOttes in Chriſto und von der ihm anvertraue- ten theuren Beylage der geiſtlichen Heils-Guͤter, daß man ſich daruͤber recht zu verwundern hat. 6. Eine Art der Gemuͤths-Aengſtigun- gen iſt noch uͤbrig, welche wol den meiſten Schein hat, daß ſie alhier gemeinet ſey. Nem- lich da Paulus vorher Chriſtum in ſeinen Glie- dern aufs allergrimmigſte verfolget, und man- che Schwache auch wol, durch Huͤlfe der rich- terlichen Gewalt, zur Laͤſterung wider den Na- men

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht01_1729
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht01_1729/491
Zitationshilfe: Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729, S. 463. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht01_1729/491>, abgerufen am 24.11.2024.