Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729.Erklärung des Briefs Pauli Cap. 1, 14-16. [Spaltenumbruch]
pfangenen Berufs zum Apostel-Amt, 1 Cor. 9,16. seqq. und vermöge der mich also dringenden Liebe GOttes, daß ich mich iederman zum Knecht mache, 1 Cor. 9, 19. 2 Cor. 5, 14.) ein Schulde- ner beyde der Griechen und der Ungriechen, (der von den Griechen, unter welchen ich mich ietzo aufhalte, unterschiedenen Völcker, und unter ihnen, den Griechen und andern Natio- nen,) beyde der Weisen (die solches nach dem blossen Lichte der Natur sind) und der Unwei- sen (welche vor andern noch in mehrer Blind- heit dahin gehen, und mit jenen von dem wah- ren Lichte und Reiche GOttes gantz entfernet sind.) Anmerckungen. 1. Ein öffentlicher Lehrer muß, nebst der 2. Die wahre Weisheit ist allein im V. 15. Darum, so viel (ausser den gedachten V. 16. Denn (obwol das Evangelium von CHri- Anmerckungen. 1. Wie verderbt unsere Natur und in uns der Geschmack an göttlichen evangelischen Wahrheiten sey, erkennet man sonderlich dar- aus, daß sich der Mensch des Evangelii von dem Creutzes-Tode und von dem gantzen Stande der Erniedrigung natürlicher weise zu schämen pfleget: da doch, wie die höchste Weisheit, also auch die grösseste Kraft GOttes darinnen lieget. Weil man aber auch noch im Stande der Gnaden dazu versuchet werden könte, daß man sich des Evangelii schämete; darum ruft Paulus dem Timotheo noch im letztern Briefe zu: Schäme dich nicht des Zeugnisses unsers HERRN, noch meiner, der ich sein gebundener bin; sondern leide dich mit dem Evangelio, wie ich, nach der Kraft GOttes. c. 1, 8. Siehe auch v. 12. 2. Mancher schämet sich zwar des Evan- gelii von CHristo nicht, nachdem der Vortrag desselben in der gantzen christlichen, sonderlich evangelischen Kirche zur allgemeinen Gewohn- heit worden ist: allein er schämet sich doch des Sinnes und der Nachfolge Christi, und also auch in der That des Evangelii selbst in seiner rechten Application. 3. Evangelium und Glaube gehören zu- sammen. Denn gleichwie der Glaube ist eine Frucht des Evangelii, welche aus den darinnen vorgehaltenen und angepriesenen Gnaden-Ver- heissungen erwächset: also ist er auch nicht weni- ger dasjenige Werckzeug, oder Mittel, wodurch wir uns das Evangelium in allen seinen Heyls- Schätzen, und darinnen CHristum selbst, recht zueignen; er ist gleichsam der Eimer, damit wir aus der Fülle JESU Gnade um Gnade schöpfen. Joh. 1, 16. 4. Wer nicht schon in dieser Welt, oder im Reiche der Gnaden, bey rechter Application des Evangelii zum Stande der Seligkeit kömmt, der wird im Reiche der Herrlichkeit nim- mermehr dazu gelangen. Denn das Evangeli- um machet schon alhier würcklich selig; ob solche Seligkeit gleich noch sehr unvollkommen ist. 5. Aber weg mit aller leeren Einbildung von solcher Seligkeit! Denn das Evangelium ist ei- ne
Erklaͤrung des Briefs Pauli Cap. 1, 14-16. [Spaltenumbruch]
pfangenen Berufs zum Apoſtel-Amt, 1 Cor. 9,16. ſeqq. und vermoͤge der mich alſo dringenden Liebe GOttes, daß ich mich iederman zum Knecht mache, 1 Cor. 9, 19. 2 Cor. 5, 14.) ein Schulde- ner beyde der Griechen und der Ungriechen, (der von den Griechen, unter welchen ich mich ietzo aufhalte, unterſchiedenen Voͤlcker, und unter ihnen, den Griechen und andern Natio- nen,) beyde der Weiſen (die ſolches nach dem bloſſen Lichte der Natur ſind) und der Unwei- ſen (welche vor andern noch in mehrer Blind- heit dahin gehen, und mit jenen von dem wah- ren Lichte und Reiche GOttes gantz entfernet ſind.) Anmerckungen. 1. Ein oͤffentlicher Lehrer muß, nebſt der 2. Die wahre Weisheit iſt allein im V. 15. Darum, ſo viel (auſſer den gedachten V. 16. Denn (obwol das Evangelium von CHri- Anmerckungen. 1. Wie verderbt unſere Natur und in uns der Geſchmack an goͤttlichen evangeliſchen Wahrheiten ſey, erkennet man ſonderlich dar- aus, daß ſich der Menſch des Evangelii von dem Creutzes-Tode und von dem gantzen Stande der Erniedrigung natuͤrlicher weiſe zu ſchaͤmen pfleget: da doch, wie die hoͤchſte Weisheit, alſo auch die groͤſſeſte Kraft GOttes darinnen lieget. Weil man aber auch noch im Stande der Gnaden dazu verſuchet werden koͤnte, daß man ſich des Evangelii ſchaͤmete; darum ruft Paulus dem Timotheo noch im letztern Briefe zu: Schaͤme dich nicht des Zeugniſſes unſers HERRN, noch meiner, der ich ſein gebundener bin; ſondern leide dich mit dem Evangelio, wie ich, nach der Kraft GOttes. c. 1, 8. Siehe auch v. 12. 2. Mancher ſchaͤmet ſich zwar des Evan- gelii von CHriſto nicht, nachdem der Vortrag deſſelben in der gantzen chriſtlichen, ſonderlich evangeliſchen Kirche zur allgemeinen Gewohn- heit worden iſt: allein er ſchaͤmet ſich doch des Sinnes und der Nachfolge Chriſti, und alſo auch in der That des Evangelii ſelbſt in ſeiner rechten Application. 3. Evangelium und Glaube gehoͤren zu- ſammen. Denn gleichwie der Glaube iſt eine Frucht des Evangelii, welche aus den darinnen vorgehaltenen und angeprieſenen Gnaden-Ver- heiſſungen erwaͤchſet: alſo iſt er auch nicht weni- ger dasjenige Werckzeug, oder Mittel, wodurch wir uns das Evangelium in allen ſeinen Heyls- Schaͤtzen, und darinnen CHriſtum ſelbſt, recht zueignen; er iſt gleichſam der Eimer, damit wir aus der Fuͤlle JESU Gnade um Gnade ſchoͤpfen. Joh. 1, 16. 4. Wer nicht ſchon in dieſer Welt, oder im Reiche der Gnaden, bey rechter Application des Evangelii zum Stande der Seligkeit koͤmmt, der wird im Reiche der Herrlichkeit nim- mermehr dazu gelangen. Denn das Evangeli- um machet ſchon alhier wuͤrcklich ſelig; ob ſolche Seligkeit gleich noch ſehr unvollkommen iſt. 5. Aber weg mit aller leeren Einbildung von ſolcher Seligkeit! Denn das Evangelium iſt ei- ne
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Erklaͤrung des Briefs Pauli Cap. 1, 14-16.
pfangenen Berufs zum Apoſtel-Amt, 1 Cor. 9,
16. ſeqq. und vermoͤge der mich alſo dringenden
Liebe GOttes, daß ich mich iederman zum Knecht
mache, 1 Cor. 9, 19. 2 Cor. 5, 14.) ein Schulde-
ner beyde der Griechen und der Ungriechen,
(der von den Griechen, unter welchen ich mich
ietzo aufhalte, unterſchiedenen Voͤlcker, und
unter ihnen, den Griechen und andern Natio-
nen,) beyde der Weiſen (die ſolches nach dem
bloſſen Lichte der Natur ſind) und der Unwei-
ſen (welche vor andern noch in mehrer Blind-
heit dahin gehen, und mit jenen von dem wah-
ren Lichte und Reiche GOttes gantz entfernet
ſind.)
Anmerckungen.
1. Ein oͤffentlicher Lehrer muß, nebſt der
Gnade und Kraft der Heiligung, billig auch ein
ſolches Maaß der Erkaͤntniß haben, daß er nicht
allein die Unweiſen, ſondern auch die Weiſen
unterrichten und weiter fuͤhren, und ſonderlich
daß er die, welche ſich in falſcher Weisheit auf-
blehen, von ihrer Thorheit vor GOtt im Ge-
wiſſen uͤberzeugen, und zur wahren Weisheit
leiten koͤnne.
2. Die wahre Weisheit iſt allein im
Worte GOttes, im Worte des Geſetzes und
des Evangelii. Wer dieſer uͤbernatuͤrlichen
Weisheit ermangelt, der pfleget auch die na-
tuͤrliche nicht recht zu gebrauchen, ſondern da-
von nur den bloſſen Namen zu haben: wie an den
Philoſophis dergleichen, auf welche Paulus
ſonderlich ſiehet, zu erkennen iſt.
V. 15.
Darum, ſo viel (auſſer den gedachten
Verhinderungen) an mir iſt, bin ich geneigt
(und bereit) auch euch zu Rom (zu eurer meh-
rern Beveſtigung) das Evangelium (den gan-
tzen Rath GOttes von dem Grunde und der
Ordnung unſers Heyls, wozu auch das Geſetz
GOttes mit gehoͤret, insgemein und beſonders,
wie mit gehoͤrigem Vortrage, mit Lehren, Er-
mahnen und Troͤſten, alſo auch mit noͤthiger
Application auf eines ieden Seelen-Zuſtand)
zu predigen (wie es die rechte Theilung des
Worts mit ſich bringet, und hernach, als Pau-
lus endlich nach Rom gekommen, auch in den
Banden ſelbſt geſchehen iſt. Ap. Geſch. 28, 31.)
V. 16.
Denn (obwol das Evangelium von CHri-
ſto, dem gecreutzigten Welt-Heylande, den
Juden ein Aergerniß und den Griechen, auch
den uͤbrigen Voͤlckern, eine Thorheit iſt, und
wol ſonderlich in dem praͤchtigen und ſtoltzen
Rom dafuͤr angeſehen wird, und uͤberhaupt daſ-
ſelbe unſrer hoffaͤrtigen Natur nicht anſtehet; ſo)
ſchaͤme ich mich doch des Evangelii von
CHriſto (ſo gar) nicht, (daß ich es mir vielmehr
fuͤr eine groſſe Ehre achte, deſſen Botſchafter
zu heiſſen, und ſonderlich deſſelben ſelbſt theil-
haftig geworden zu ſeyn: gleichwie auch die uͤbri-
gen Apoſtel ſich gefreuet haben, daß ſie gewuͤr-
diget worden, um des Namens CHriſti willen
Schmach zu leiden. Ap. Geſch. 5, 41.) Denn
(die Urſache davon anzuzeigen) es iſt eine Kraft
GOttes, (eine dergeſtalt kraͤftig wirckende gna-
denreiche Lehre) die da (nicht nur eine bewegli-
che Anweiſung giebt, ſondern auch) ſelig ma-
chet (aus dem groſſen Suͤnden-Elende in den
Stand der wuͤrcklichen Seligkeit verſetzet, zu-
voͤrderſt noch alhier im Reiche der Gnaden, al-
wo man aller Heyls-Guͤter reichlich zu genieſſen
hat, und hernach, der vollkommenen Vollen-
dung nach, im Reiche der ewigen Herrlichkeit)
alle, die daran glauben (παντὶ τῷ πιςεύοντι,
einem ieden, der in der Ordnung der Bekehrung
es glaubig auf- und annimmt, oder ſich zum
Gehorſam des Glaubens bringen laͤßt) die Ju-
den fuͤrnemlich (zuvorderſt; ſintemal CHri-
ſtus ihnen zuerſt verkuͤndiget worden, Matth. 15,
24. Luc. 24, 47. Roͤm. 15, 8. ſeqq.) und auch
die Griechen (nebſt andern Nationen der Un-
griechen. Matth. 28, 19. Ap. Geſch. 13, 46.)
Anmerckungen.
1. Wie verderbt unſere Natur und in
uns der Geſchmack an goͤttlichen evangeliſchen
Wahrheiten ſey, erkennet man ſonderlich dar-
aus, daß ſich der Menſch des Evangelii von dem
Creutzes-Tode und von dem gantzen Stande der
Erniedrigung natuͤrlicher weiſe zu ſchaͤmen
pfleget: da doch, wie die hoͤchſte Weisheit,
alſo auch die groͤſſeſte Kraft GOttes darinnen
lieget. Weil man aber auch noch im Stande
der Gnaden dazu verſuchet werden koͤnte, daß
man ſich des Evangelii ſchaͤmete; darum ruft
Paulus dem Timotheo noch im letztern Briefe
zu: Schaͤme dich nicht des Zeugniſſes
unſers HERRN, noch meiner, der ich
ſein gebundener bin; ſondern leide dich
mit dem Evangelio, wie ich, nach der
Kraft GOttes. c. 1, 8. Siehe auch v. 12.
2. Mancher ſchaͤmet ſich zwar des Evan-
gelii von CHriſto nicht, nachdem der Vortrag
deſſelben in der gantzen chriſtlichen, ſonderlich
evangeliſchen Kirche zur allgemeinen Gewohn-
heit worden iſt: allein er ſchaͤmet ſich doch des
Sinnes und der Nachfolge Chriſti, und alſo auch
in der That des Evangelii ſelbſt in ſeiner rechten
Application.
3. Evangelium und Glaube gehoͤren zu-
ſammen. Denn gleichwie der Glaube iſt eine
Frucht des Evangelii, welche aus den darinnen
vorgehaltenen und angeprieſenen Gnaden-Ver-
heiſſungen erwaͤchſet: alſo iſt er auch nicht weni-
ger dasjenige Werckzeug, oder Mittel, wodurch
wir uns das Evangelium in allen ſeinen Heyls-
Schaͤtzen, und darinnen CHriſtum ſelbſt, recht
zueignen; er iſt gleichſam der Eimer, damit
wir aus der Fuͤlle JESU Gnade um Gnade
ſchoͤpfen. Joh. 1, 16.
4. Wer nicht ſchon in dieſer Welt, oder
im Reiche der Gnaden, bey rechter Application
des Evangelii zum Stande der Seligkeit
koͤmmt, der wird im Reiche der Herrlichkeit nim-
mermehr dazu gelangen. Denn das Evangeli-
um machet ſchon alhier wuͤrcklich ſelig; ob ſolche
Seligkeit gleich noch ſehr unvollkommen iſt.
5. Aber weg mit aller leeren Einbildung von
ſolcher Seligkeit! Denn das Evangelium iſt ei-
ne
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