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Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729.

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Cap. 3, v. 24. an die Römer.
[Spaltenumbruch] raubet der Herrlichkeit GOttes, nemlich,
die sie am göttlichen Ebenbilde gehabt haben:
sintemal im Ebenbilde GOttes die rechte doxa,
oder der rechte Adel der menschlichen Natur be-
standen. Daher Paulüs 2 Cor. 3, 18. von der
Erneuerung zum Ebenbilde GOttes das Wort
doxa, Herrlichkeit, zu dreyen malen gebrau-
chet, wenn er bezeuget, daß sich e doxa Kuriou,
des HErrn Klarheit oder Herrlichkeit, der-
gestalt in den Gläubigen spiegele und abdrucke,
daß sie in dasselbige Ebenbild verkläret würden,
apo doxes ei[fremdsprachliches Material - Zeichen fehlt]s doxan, von einer Klarheit zur
andern.

Anmerckung.

Es ist ein schnöder Mißbrauch dieses
Spruchs, wenn er von unbekehrten Leuten der
ernstlichen Ermahnung zum thätigen Christen-
thum entgegen gesetzet wird. Da ja die Rede
nicht ist von dem, was wir von Natur sind, son-
dern von dem, wie unsere sündliche Natur durch
Christum wieder soll zu ihrem rechten Adel in
GOtt gelangen. Welcher ihr mitgetheilet
wird durch die Rechtfertigung, oder durch die ge-
schenckte Gerechtigkeit Christi; aber nicht an-
ders als in der Ordnung der Wiedergeburt,
vermöge welcher in uns der erste Anfang ge-
schiehet von der Wiederaufrichtung des verlohr-
nen herrlichen Ebenbildes GOttes.

V. 24.

Und werden (daher, weil es also um
uns stehet) ohne (alles unser eigenes) Ver-
dienst
(vor dem Gerichte GOttes, davor
alle, die gerecht werden wollen, sich mit ihrem
Gewissen in der Ordnung der wahren Busse und
des Glaubens zu stellen haben) gerecht (ge-
recht und von den Sünden loßgesprochen) aus
seiner
(des himmlischen Vaters, der in dem
Geschäfte unserer Seligkeit sich in besonde-
rer Art das Gericht zueignet) Gnade (die un-
serer eigen Verdienstlichkeit entgegen gesetzet ist,
und darinnen bestehet, daß GOtt in dem ewi-
gen Rathe des Friedens die Bürgschaft des
Sohns angenommen, ihn auch daher, nach
vorhergegangenen so vielen Verheissungen und
Vorbildungen zum Heilande in die Welt ge-
sandt, und das Werck der Erlösung vollbringen
lassen, auch das Löse-Geld als vollgültig accep-
tir
et, und es den Gläubigen, als ware es ihr eig-
nes, zurechnet, und sie also gerecht spricht)
durch die Erlösung, so durch JEsum Chri-
stum geschehen ist
(und nebst der Gnade zum
Grunde unsers Heils nöthig war. Gr. Die in
Christo JEsu,
oder in seinem Verdienste, ist,
nemlich gegründet und zu finden.)

Anmerckungen.
1. Gnade und Erlösung, Gnade des
Vaters, und Erlösung des Sohnes, (wel-
ches beydes der Heilige Geist, als ein Geist
des Vaters und des Sohns, im Evangelio, und
durch das Evangelium in den Hertzen der Gläu-
bigen verkläret und versiegelt) sind die beyden
Haupt-Stücke, auf welche es zur Gründung
[Spaltenumbruch] unsers Heils angekommen ist, und welche in ein
herrliches Temperament zusammen traten.
2. Die blosse Gnade ohne Erlösung wür-
de der richterlichen Gerechtigkeit GOttes zu na-
he getreten seyn. Darum muste dieser durch die
Erlösung ein Genügen geschehen. Und wo die
blosse richterliche Gerechtigkeit allein ausgeü-
bet worden wäre, so hätte keine G[n]ade statt ge-
funden, auch keine Erlösung; als welche ausser
der Beweisung der Gerechtigkeit auch die Dar-
stellung der Gnade mit in sich hat: sintemal es
auch vor weltlichen Gerichten ein Beweis der
Gnade ist, wenn bey einem Delinquenten nicht
nach der Strenge der Gerechtigkeit verfahren,
sondern, da ihm das Leben von rechtswegen
abgesprochen worden, dafür ein Löse-Geld ange-
nommen wird.
3. Und gleichwie das Temperament der
Gnade und Gerechtigkeit zum Grunde unsers
Heils
gehöret, so findet es sich auch in der Ord-
nung
desselben. Denn ohne Gnade erhielten
wir keine Vergebung der Sünden und keine
Kräfte zum heiligen Wandel, oder zur Erneue-
rung des Ebenbndes GOttes. Und ohne Ge-
rechtigkeit
würde, mit Hindansetzung der
Busse und gründlichen Bekehrung auch Erneu-
rung, die Gnade auf Muthwillen gezogen, auch
die Gnade, die keine Erlösung zum Grunde hat,
nicht hoch genug geachtet werden.
4. Darum sind die Gnade und Gerech-
tigkeit
die beyden Haupt-Eigenschaften GOt-
tes, die sich im Wercke unserer Seligkeit erwei-
sen; und zwar dergestalt, daß GOtt nach den-
selben ist der Evangelist und auch der Gesetz-
geber.
Der Evangelist und Vater nach der
Gnade; der Gesetzgeber und Richter nach
der Gerechtigkeit. Daher denn von sich selbst
erfolget, daß weder in dem Grunde, noch in
der Ordnung unsers Heils eines von dem an-
dern getrennet werden kan und muß.
5. Beyde Haupt-Eigenschaften geben auch
in dem gantzen Lauffe des Christenthums den al-
lerweisesten und kräftigsten Einfluß. Denn
nach der Gnade bleiben wir am Evangelio,
und wandeln vor GOtt zuversichtlich und
freudig. Nach der Gerechtigkeit aber und
Heiligkeit suchen wir unsern innern und äusserli-
chen Wandel heiliglich zu führen, wie es dem
Gesetze GOttes gemäß ist. Und also ist fiden-
ter & sancte
vor GOtt zu wandeln das rechte
thei~on, oder das, was im Christenthum das beste
und nöthigste ist; sonderlich wenn beyde Stücke
dergestalt im aequilibrio stehen, oder gleiches
Gewicht ausmachen, daß man weder auf der ei-
nen Seite bey seiner noch übrigen grossen Un-
vollkommenheit kleinmüthig; noch auf der an-
dern Seite bey dem Genuß der Gnade GOttes
übermüthig werde, und durch den Betrug der
Sünden aus der Christlichen Freyheit in fleisch-
liche Sicherheit gerathe.
6. Jm übrigen ist die eigentliche und gar
nachdrückliche Bedeutung des Worts apolu-
trosis, Erlösung, wohl zu mercken. Die
Wurtzel dieses Worts ist luo, ich mache los,
lusis, eine Losmachung. Weil aber man-
che
G 3

Cap. 3, v. 24. an die Roͤmer.
[Spaltenumbruch] raubet der Herrlichkeit GOttes, nemlich,
die ſie am goͤttlichen Ebenbilde gehabt haben:
ſintemal im Ebenbilde GOttes die rechte δοξα,
oder der rechte Adel der menſchlichen Natur be-
ſtanden. Daher Pauluͤs 2 Cor. 3, 18. von der
Erneuerung zum Ebenbilde GOttes das Wort
δοξα, Herrlichkeit, zu dreyen malen gebrau-
chet, wenn er bezeuget, daß ſich ὴ δόξα Κυρίου,
des HErrn Klarheit oder Herrlichkeit, der-
geſtalt in den Glaͤubigen ſpiegele und abdrucke,
daß ſie in daſſelbige Ebenbild verklaͤret wuͤrden,
ἀπὸ δόξης ει[fremdsprachliches Material – Zeichen fehlt]ς δόξαν, von einer Klarheit zur
andern.

Anmerckung.

Es iſt ein ſchnoͤder Mißbrauch dieſes
Spruchs, wenn er von unbekehrten Leuten der
ernſtlichen Ermahnung zum thaͤtigen Chriſten-
thum entgegen geſetzet wird. Da ja die Rede
nicht iſt von dem, was wir von Natur ſind, ſon-
dern von dem, wie unſere ſuͤndliche Natur durch
Chriſtum wieder ſoll zu ihrem rechten Adel in
GOtt gelangen. Welcher ihr mitgetheilet
wird durch die Rechtfertigung, oder durch die ge-
ſchenckte Gerechtigkeit Chriſti; aber nicht an-
ders als in der Ordnung der Wiedergeburt,
vermoͤge welcher in uns der erſte Anfang ge-
ſchiehet von der Wiederaufrichtung des verlohr-
nen herrlichen Ebenbildes GOttes.

V. 24.

Und werden (daher, weil es alſo um
uns ſtehet) ohne (alles unſer eigenes) Ver-
dienſt
(vor dem Gerichte GOttes, davor
alle, die gerecht werden wollen, ſich mit ihrem
Gewiſſen in der Ordnung der wahren Buſſe und
des Glaubens zu ſtellen haben) gerecht (ge-
recht und von den Suͤnden loßgeſprochen) aus
ſeiner
(des himmliſchen Vaters, der in dem
Geſchaͤfte unſerer Seligkeit ſich in beſonde-
rer Art das Gericht zueignet) Gnade (die un-
ſerer eigen Verdienſtlichkeit entgegen geſetzet iſt,
und darinnen beſtehet, daß GOtt in dem ewi-
gen Rathe des Friedens die Buͤrgſchaft des
Sohns angenommen, ihn auch daher, nach
vorhergegangenen ſo vielen Verheiſſungen und
Vorbildungen zum Heilande in die Welt ge-
ſandt, und das Werck der Erloͤſung vollbringen
laſſen, auch das Loͤſe-Geld als vollguͤltig accep-
tir
et, und es den Glaͤubigen, als ware es ihr eig-
nes, zurechnet, und ſie alſo gerecht ſpricht)
durch die Erloͤſung, ſo durch JEſum Chri-
ſtum geſchehen iſt
(und nebſt der Gnade zum
Grunde unſers Heils noͤthig war. Gr. Die in
Chriſto JEſu,
oder in ſeinem Verdienſte, iſt,
nemlich gegruͤndet und zu finden.)

Anmerckungen.
1. Gnade und Erloͤſung, Gnade des
Vaters, und Erloͤſung des Sohnes, (wel-
ches beydes der Heilige Geiſt, als ein Geiſt
des Vaters und des Sohns, im Evangelio, und
durch das Evangelium in den Hertzen der Glaͤu-
bigen verklaͤret und verſiegelt) ſind die beyden
Haupt-Stuͤcke, auf welche es zur Gruͤndung
[Spaltenumbruch] unſers Heils angekommen iſt, und welche in ein
herrliches Temperament zuſammen traten.
2. Die bloſſe Gnade ohne Erloͤſung wuͤr-
de der richterlichen Gerechtigkeit GOttes zu na-
he getreten ſeyn. Darum muſte dieſer durch die
Erloͤſung ein Genuͤgen geſchehen. Und wo die
bloſſe richterliche Gerechtigkeit allein ausgeuͤ-
bet worden waͤre, ſo haͤtte keine G[n]ade ſtatt ge-
funden, auch keine Erloͤſung; als welche auſſer
der Beweiſung der Gerechtigkeit auch die Dar-
ſtellung der Gnade mit in ſich hat: ſintemal es
auch vor weltlichen Gerichten ein Beweis der
Gnade iſt, wenn bey einem Delinquenten nicht
nach der Strenge der Gerechtigkeit verfahren,
ſondern, da ihm das Leben von rechtswegen
abgeſprochen worden, dafuͤr ein Loͤſe-Geld ange-
nommen wird.
3. Und gleichwie das Temperament der
Gnade und Gerechtigkeit zum Grunde unſers
Heils
gehoͤret, ſo findet es ſich auch in der Ord-
nung
deſſelben. Denn ohne Gnade erhielten
wir keine Vergebung der Suͤnden und keine
Kraͤfte zum heiligen Wandel, oder zur Erneue-
rung des Ebenbndes GOttes. Und ohne Ge-
rechtigkeit
wuͤrde, mit Hindanſetzung der
Buſſe und gruͤndlichen Bekehrung auch Erneu-
rung, die Gnade auf Muthwillen gezogen, auch
die Gnade, die keine Erloͤſung zum Grunde hat,
nicht hoch genug geachtet werden.
4. Darum ſind die Gnade und Gerech-
tigkeit
die beyden Haupt-Eigenſchaften GOt-
tes, die ſich im Wercke unſerer Seligkeit erwei-
ſen; und zwar dergeſtalt, daß GOtt nach den-
ſelben iſt der Evangeliſt und auch der Geſetz-
geber.
Der Evangeliſt und Vater nach der
Gnade; der Geſetzgeber und Richter nach
der Gerechtigkeit. Daher denn von ſich ſelbſt
erfolget, daß weder in dem Grunde, noch in
der Ordnung unſers Heils eines von dem an-
dern getrennet werden kan und muß.
5. Beyde Haupt-Eigenſchaften geben auch
in dem gantzen Lauffe des Chriſtenthums den al-
lerweiſeſten und kraͤftigſten Einfluß. Denn
nach der Gnade bleiben wir am Evangelio,
und wandeln vor GOtt zuverſichtlich und
freudig. Nach der Gerechtigkeit aber und
Heiligkeit ſuchen wir unſern innern und aͤuſſerli-
chen Wandel heiliglich zu fuͤhren, wie es dem
Geſetze GOttes gemaͤß iſt. Und alſo iſt fiden-
ter & ſancte
vor GOtt zu wandeln das rechte
ϑει῀ον, oder das, was im Chriſtenthum das beſte
und noͤthigſte iſt; ſonderlich wenn beyde Stuͤcke
dergeſtalt im æquilibrio ſtehen, oder gleiches
Gewicht ausmachen, daß man weder auf der ei-
nen Seite bey ſeiner noch uͤbrigen groſſen Un-
vollkommenheit kleinmuͤthig; noch auf der an-
dern Seite bey dem Genuß der Gnade GOttes
uͤbermuͤthig werde, und durch den Betrug der
Suͤnden aus der Chriſtlichen Freyheit in fleiſch-
liche Sicherheit gerathe.
6. Jm uͤbrigen iſt die eigentliche und gar
nachdruͤckliche Bedeutung des Worts ἀπολύ-
τρωσις, Erloͤſung, wohl zu mercken. Die
Wurtzel dieſes Worts iſt λύω, ich mache los,
λύσις, eine Losmachung. Weil aber man-
che
G 3
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[53/0081] Cap. 3, v. 24. an die Roͤmer. raubet der Herrlichkeit GOttes, nemlich, die ſie am goͤttlichen Ebenbilde gehabt haben: ſintemal im Ebenbilde GOttes die rechte δοξα, oder der rechte Adel der menſchlichen Natur be- ſtanden. Daher Pauluͤs 2 Cor. 3, 18. von der Erneuerung zum Ebenbilde GOttes das Wort δοξα, Herrlichkeit, zu dreyen malen gebrau- chet, wenn er bezeuget, daß ſich ὴ δόξα Κυρίου, des HErrn Klarheit oder Herrlichkeit, der- geſtalt in den Glaͤubigen ſpiegele und abdrucke, daß ſie in daſſelbige Ebenbild verklaͤret wuͤrden, ἀπὸ δόξης ει_ ς δόξαν, von einer Klarheit zur andern. Anmerckung. Es iſt ein ſchnoͤder Mißbrauch dieſes Spruchs, wenn er von unbekehrten Leuten der ernſtlichen Ermahnung zum thaͤtigen Chriſten- thum entgegen geſetzet wird. Da ja die Rede nicht iſt von dem, was wir von Natur ſind, ſon- dern von dem, wie unſere ſuͤndliche Natur durch Chriſtum wieder ſoll zu ihrem rechten Adel in GOtt gelangen. Welcher ihr mitgetheilet wird durch die Rechtfertigung, oder durch die ge- ſchenckte Gerechtigkeit Chriſti; aber nicht an- ders als in der Ordnung der Wiedergeburt, vermoͤge welcher in uns der erſte Anfang ge- ſchiehet von der Wiederaufrichtung des verlohr- nen herrlichen Ebenbildes GOttes. V. 24. Und werden (daher, weil es alſo um uns ſtehet) ohne (alles unſer eigenes) Ver- dienſt (vor dem Gerichte GOttes, davor alle, die gerecht werden wollen, ſich mit ihrem Gewiſſen in der Ordnung der wahren Buſſe und des Glaubens zu ſtellen haben) gerecht (ge- recht und von den Suͤnden loßgeſprochen) aus ſeiner (des himmliſchen Vaters, der in dem Geſchaͤfte unſerer Seligkeit ſich in beſonde- rer Art das Gericht zueignet) Gnade (die un- ſerer eigen Verdienſtlichkeit entgegen geſetzet iſt, und darinnen beſtehet, daß GOtt in dem ewi- gen Rathe des Friedens die Buͤrgſchaft des Sohns angenommen, ihn auch daher, nach vorhergegangenen ſo vielen Verheiſſungen und Vorbildungen zum Heilande in die Welt ge- ſandt, und das Werck der Erloͤſung vollbringen laſſen, auch das Loͤſe-Geld als vollguͤltig accep- tiret, und es den Glaͤubigen, als ware es ihr eig- nes, zurechnet, und ſie alſo gerecht ſpricht) durch die Erloͤſung, ſo durch JEſum Chri- ſtum geſchehen iſt (und nebſt der Gnade zum Grunde unſers Heils noͤthig war. Gr. Die in Chriſto JEſu, oder in ſeinem Verdienſte, iſt, nemlich gegruͤndet und zu finden.) Anmerckungen. 1. Gnade und Erloͤſung, Gnade des Vaters, und Erloͤſung des Sohnes, (wel- ches beydes der Heilige Geiſt, als ein Geiſt des Vaters und des Sohns, im Evangelio, und durch das Evangelium in den Hertzen der Glaͤu- bigen verklaͤret und verſiegelt) ſind die beyden Haupt-Stuͤcke, auf welche es zur Gruͤndung unſers Heils angekommen iſt, und welche in ein herrliches Temperament zuſammen traten. 2. Die bloſſe Gnade ohne Erloͤſung wuͤr- de der richterlichen Gerechtigkeit GOttes zu na- he getreten ſeyn. Darum muſte dieſer durch die Erloͤſung ein Genuͤgen geſchehen. Und wo die bloſſe richterliche Gerechtigkeit allein ausgeuͤ- bet worden waͤre, ſo haͤtte keine Gnade ſtatt ge- funden, auch keine Erloͤſung; als welche auſſer der Beweiſung der Gerechtigkeit auch die Dar- ſtellung der Gnade mit in ſich hat: ſintemal es auch vor weltlichen Gerichten ein Beweis der Gnade iſt, wenn bey einem Delinquenten nicht nach der Strenge der Gerechtigkeit verfahren, ſondern, da ihm das Leben von rechtswegen abgeſprochen worden, dafuͤr ein Loͤſe-Geld ange- nommen wird. 3. Und gleichwie das Temperament der Gnade und Gerechtigkeit zum Grunde unſers Heils gehoͤret, ſo findet es ſich auch in der Ord- nung deſſelben. Denn ohne Gnade erhielten wir keine Vergebung der Suͤnden und keine Kraͤfte zum heiligen Wandel, oder zur Erneue- rung des Ebenbndes GOttes. Und ohne Ge- rechtigkeit wuͤrde, mit Hindanſetzung der Buſſe und gruͤndlichen Bekehrung auch Erneu- rung, die Gnade auf Muthwillen gezogen, auch die Gnade, die keine Erloͤſung zum Grunde hat, nicht hoch genug geachtet werden. 4. Darum ſind die Gnade und Gerech- tigkeit die beyden Haupt-Eigenſchaften GOt- tes, die ſich im Wercke unſerer Seligkeit erwei- ſen; und zwar dergeſtalt, daß GOtt nach den- ſelben iſt der Evangeliſt und auch der Geſetz- geber. Der Evangeliſt und Vater nach der Gnade; der Geſetzgeber und Richter nach der Gerechtigkeit. Daher denn von ſich ſelbſt erfolget, daß weder in dem Grunde, noch in der Ordnung unſers Heils eines von dem an- dern getrennet werden kan und muß. 5. Beyde Haupt-Eigenſchaften geben auch in dem gantzen Lauffe des Chriſtenthums den al- lerweiſeſten und kraͤftigſten Einfluß. Denn nach der Gnade bleiben wir am Evangelio, und wandeln vor GOtt zuverſichtlich und freudig. Nach der Gerechtigkeit aber und Heiligkeit ſuchen wir unſern innern und aͤuſſerli- chen Wandel heiliglich zu fuͤhren, wie es dem Geſetze GOttes gemaͤß iſt. Und alſo iſt fiden- ter & ſancte vor GOtt zu wandeln das rechte ϑει῀ον, oder das, was im Chriſtenthum das beſte und noͤthigſte iſt; ſonderlich wenn beyde Stuͤcke dergeſtalt im æquilibrio ſtehen, oder gleiches Gewicht ausmachen, daß man weder auf der ei- nen Seite bey ſeiner noch uͤbrigen groſſen Un- vollkommenheit kleinmuͤthig; noch auf der an- dern Seite bey dem Genuß der Gnade GOttes uͤbermuͤthig werde, und durch den Betrug der Suͤnden aus der Chriſtlichen Freyheit in fleiſch- liche Sicherheit gerathe. 6. Jm uͤbrigen iſt die eigentliche und gar nachdruͤckliche Bedeutung des Worts ἀπολύ- τρωσις, Erloͤſung, wohl zu mercken. Die Wurtzel dieſes Worts iſt λύω, ich mache los, λύσις, eine Losmachung. Weil aber man- che G 3

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Zitationshilfe: Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht01_1729/81>, abgerufen am 21.11.2024.