1. Thimotheus soll sein Depositum, seine Beylage bewahren. Da denn der grosse Un- terscheid der Bewahrung bey den leiblichen und geistlichenDepositis wohl zu mercken ist. Was man einem von leiblichen Dingen aufzu- heben giebt, wird nicht besser verwahret, als ohne Gebrauch; als durch welchen es abgenutzet und endlich gar verzehret, oder zernichtet wird. Hingegen wird ein geistliches Depositum ver- lohren, wenn es nicht gebrauchet wird, ie mehr aber und ie besser man es anleget, ie vortrefli- cher wird es, und ie reichlicher vermehret es sich: als welches dazu gegeben wird, daß wir geistlicher weise damit wuchern sollen: darum unser Heyland spricht: Wer da hat, dem wird gegeben, daß er die Fülle habe. Wer a- ber nicht hat, von dem wird auch genom- men das er hat. Matth. 13, 12. c. 25, 29. Da wir sehen, daß haben so viel sey als recht gebrau- chen; nicht haben aber so viel, als es nicht ge- treulich gebrauchen: sintemal durch Unterlas- sung des Gebrauchs das haben zum nicht ha- ben wird: durch die getreue Anwendung aber hat man es also, daß man der Habe recht froh wird.
2. Wer demnach mit Timotheo, ob gleich in einem viel geringern Maße, eine geistliche Beylage empfangen hat, dergleichen ein iegli- cher von der angenommenen Gnade der Bekeh- rung seyn kan, der gedencke, als würde er al- hier auch gleichsam mit Namen angeredet und zur getreuen Bewahrung ermuntert; sonderlich wer ein Lehrer ist. Auch haben alle auf Christum getaufte in der Jugend bey Zeiten dahin zu se- hen, daß sie in ihrem Tauf-Bunde bleiben, und also den Stand der Gnade ohne Rückfall bey sich bewahren.
3. Es streitet aber nichts mehr mit dem Schatz der geistlichen Beylage, als ein ungeist- liches Religions-Gezänck; als wodurch das gu- te Gewissen verletzet, und also auch das Geheim- niß des Glaubens mit der Gnade GOttes ver- dunckelt, verunreiniget, verderbet und gar ver- lohren wird. Und ob nicht die also genannte Theologia polemica, oder antithetica, in so fern sie, unter der falschen Meynung der zu rettenden Orthodoxie, der Evangelischen Wahrheit und der Lehre von der wahren Gott- seligkeit entgegen gesetzet wird, ein loses Ge- schwätz, und ein Gezäncke der falsch berühm- ten Kunst sey, können verständige beurtheilen. [Spaltenumbruch]
Paulus, Timotheus und andere Knechte GOttes hatten richtige Theses: die verführischen und fleischlich-gesinnten Lehrer aber wolten alles bes- ser wissen, und beschuldigten Paulum und andere Zeugen der Wahrheit durch ihre anti- theses, oder Gegensätze, der Unrichtigkeit in der Lehre; die doch aber bey ihnen selbst so sehr ver- derbet war. Also ist es auch nachher bis auf un- sere Zeiten ergangen: daß man also mit Paulo und Timotheo oft genöthiget worden, die reine Evangelische Wahrheit wider den irrigen Ge- genspruch derer zu retten, welche sich in dersel- ben Beurtheilung eine sonderbare gnosin, oder Erkenntniß zugeschrieben haben: Die aber er- funden worden, als pseudonumos, eine fälschlich also genannte, welche sich denn auch in ihren antithesibus unter andern sonderlich damit characterisiret hat, daß sie den beharrlich Gottlosen, welche die Heil. Schrift, und dar- innen sonderlich unser Heyland selbst, mehrmal Narren und Blinde nennet Matth. 23. die wah- re Weisheit und die wahre geistliche Erkenntniß GOttes und göttlicher Dinge beygeleget hat. Welche doch gewiß recht mit Nachdruck pseu- donumos ist.
4. Da Paulus saget, man habe bey vor- gegebener wahrer Erkenntniß des Glaubens ge- fehlet, als der damit nicht bestehen könne: so ist es leider dahin gekommen, daß Männer auf- gestanden, welche vorgegeben, als könne eine wahre geistliche, übernatürliche und lebendige Erkenntniß GOttes seyn, auch ohne den Glau- ben des Hertzens. Welches also noch ärger ist, als bey seiner vermeinten Erkenntniß den Glau- ben verlieren.
5. Daß die im andern Seculo bey den Kirchen-Scribenten erst recht bekannt geworde- nen, also genannten Gnostici, welche sich fälsch- lich einer besondern Erkenntniß göttlicher Ge- heimniße gerühmet, schon im ersten Seculo her- vorgekommen, siehet man aus diesem Orte und andern mehr.
6. Die Worte: die Gnade sey mit dir hat Paulus ohne Zweifel mit seiner eigenen Hand, als eine Unterschrift, hinzu gesetzet: wie aus 2 Thess. 3, 17. 18. und Col. 4, 18. 1 Cor. 16, 21. zu sehen ist. Ein ieglicher Leser spreche, mit Application auf sich selbst, zu diesem Segens- Wunsche ein glaubiges Amen. Die hinzu ge- setzten Worte: geschrieben. u. s. w. sind nicht Pauli, sondern eines Abschreibers, und ist es damit nicht getroffen; wie aus der Einleitung zu sehen ist.
Erklä-
S 3
Cap. 6. v. 20. 21. an den Timotheum.
[Spaltenumbruch]
Anmerckungen.
1. Thimotheus ſoll ſein Depoſitum, ſeine Beylage bewahren. Da denn der groſſe Un- terſcheid der Bewahrung bey den leiblichen und geiſtlichenDepoſitis wohl zu mercken iſt. Was man einem von leiblichen Dingen aufzu- heben giebt, wird nicht beſſer verwahret, als ohne Gebrauch; als durch welchen es abgenutzet und endlich gar verzehret, oder zernichtet wird. Hingegen wird ein geiſtliches Depoſitum ver- lohren, wenn es nicht gebrauchet wird, ie mehr aber und ie beſſer man es anleget, ie vortrefli- cher wird es, und ie reichlicher vermehret es ſich: als welches dazu gegeben wird, daß wir geiſtlicher weiſe damit wuchern ſollen: darum unſer Heyland ſpricht: Wer da hat, dem wird gegeben, daß er die Fuͤlle habe. Wer a- ber nicht hat, von dem wird auch genom- men das er hat. Matth. 13, 12. c. 25, 29. Da wir ſehen, daß haben ſo viel ſey als recht gebrau- chen; nicht haben aber ſo viel, als es nicht ge- treulich gebrauchen: ſintemal durch Unterlaſ- ſung des Gebrauchs das haben zum nicht ha- ben wird: durch die getreue Anwendung aber hat man es alſo, daß man der Habe recht froh wird.
2. Wer demnach mit Timotheo, ob gleich in einem viel geringern Maße, eine geiſtliche Beylage empfangen hat, dergleichen ein iegli- cher von der angenommenen Gnade der Bekeh- rung ſeyn kan, der gedencke, als wuͤrde er al- hier auch gleichſam mit Namen angeredet und zur getreuen Bewahrung ermuntert; ſonderlich wer ein Lehrer iſt. Auch haben alle auf Chriſtum getaufte in der Jugend bey Zeiten dahin zu ſe- hen, daß ſie in ihrem Tauf-Bunde bleiben, und alſo den Stand der Gnade ohne Ruͤckfall bey ſich bewahren.
3. Es ſtreitet aber nichts mehr mit dem Schatz der geiſtlichen Beylage, als ein ungeiſt- liches Religions-Gezaͤnck; als wodurch das gu- te Gewiſſen verletzet, und alſo auch das Geheim- niß des Glaubens mit der Gnade GOttes ver- dunckelt, verunreiniget, verderbet und gar ver- lohren wird. Und ob nicht die alſo genannte Theologia polemica, oder antithetica, in ſo fern ſie, unter der falſchen Meynung der zu rettenden Orthodoxie, der Evangeliſchen Wahrheit und der Lehre von der wahren Gott- ſeligkeit entgegen geſetzet wird, ein loſes Ge- ſchwaͤtz, und ein Gezaͤncke der falſch beruͤhm- ten Kunſt ſey, koͤnnen verſtaͤndige beurtheilen. [Spaltenumbruch]
Paulus, Timotheus und andere Knechte GOttes hatten richtige Theſes: die verfuͤhriſchen und fleiſchlich-geſinnten Lehrer aber wolten alles beſ- ſer wiſſen, und beſchuldigten Paulum und andere Zeugen der Wahrheit durch ihre anti- theſes, oder Gegenſaͤtze, der Unrichtigkeit in der Lehre; die doch aber bey ihnen ſelbſt ſo ſehr ver- derbet war. Also iſt es auch nachher bis auf un- ſere Zeiten ergangen: daß man alſo mit Paulo und Timotheo oft genoͤthiget worden, die reine Evangeliſche Wahrheit wider den irrigen Ge- genſpruch derer zu retten, welche ſich in derſel- ben Beurtheilung eine ſonderbare γνῶσιν, oder Erkenntniß zugeſchrieben haben: Die aber er- funden worden, als ψευδώνυμος, eine faͤlſchlich alſo genannte, welche ſich denn auch in ihren antitheſibus unter andern ſonderlich damit characteriſiret hat, daß ſie den beharrlich Gottloſen, welche die Heil. Schrift, und dar- innen ſonderlich unſer Heyland ſelbſt, mehrmal Narren und Blinde nennet Matth. 23. die wah- re Weisheit und die wahre geiſtliche Erkenntniß GOttes und goͤttlicher Dinge beygeleget hat. Welche doch gewiß recht mit Nachdruck ψευ- δώνυμος iſt.
4. Da Paulus ſaget, man habe bey vor- gegebener wahrer Erkenntniß des Glaubens ge- fehlet, als der damit nicht beſtehen koͤnne: ſo iſt es leider dahin gekommen, daß Maͤnner auf- geſtanden, welche vorgegeben, als koͤnne eine wahre geiſtliche, uͤbernatuͤrliche und lebendige Erkenntniß GOttes ſeyn, auch ohne den Glau- ben des Hertzens. Welches alſo noch aͤrger iſt, als bey ſeiner vermeinten Erkenntniß den Glau- ben verlieren.
5. Daß die im andern Seculo bey den Kirchen-Scribenten erſt recht bekannt geworde- nen, alſo genannten Gnoſtici, welche ſich faͤlſch- lich einer beſondern Erkenntniß goͤttlicher Ge- heimniße geruͤhmet, ſchon im erſten Seculo her- vorgekommen, ſiehet man aus dieſem Orte und andern mehr.
6. Die Worte: die Gnade ſey mit dir hat Paulus ohne Zweifel mit ſeiner eigenen Hand, als eine Unterſchrift, hinzu geſetzet: wie aus 2 Theſſ. 3, 17. 18. und Col. 4, 18. 1 Cor. 16, 21. zu ſehen iſt. Ein ieglicher Leſer ſpreche, mit Application auf ſich ſelbſt, zu dieſem Segens- Wunſche ein glaubiges Amen. Die hinzu ge- ſetzten Worte: geſchrieben. u. ſ. w. ſind nicht Pauli, ſondern eines Abſchreibers, und iſt es damit nicht getroffen; wie aus der Einleitung zu ſehen iſt.
Erklaͤ-
S 3
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[141/0143]
Cap. 6. v. 20. 21. an den Timotheum.
Anmerckungen.
1. Thimotheus ſoll ſein Depoſitum, ſeine
Beylage bewahren. Da denn der groſſe Un-
terſcheid der Bewahrung bey den leiblichen
und geiſtlichen Depoſitis wohl zu mercken iſt.
Was man einem von leiblichen Dingen aufzu-
heben giebt, wird nicht beſſer verwahret, als
ohne Gebrauch; als durch welchen es abgenutzet
und endlich gar verzehret, oder zernichtet wird.
Hingegen wird ein geiſtliches Depoſitum ver-
lohren, wenn es nicht gebrauchet wird, ie mehr
aber und ie beſſer man es anleget, ie vortrefli-
cher wird es, und ie reichlicher vermehret es
ſich: als welches dazu gegeben wird, daß wir
geiſtlicher weiſe damit wuchern ſollen: darum
unſer Heyland ſpricht: Wer da hat, dem wird
gegeben, daß er die Fuͤlle habe. Wer a-
ber nicht hat, von dem wird auch genom-
men das er hat. Matth. 13, 12. c. 25, 29. Da
wir ſehen, daß haben ſo viel ſey als recht gebrau-
chen; nicht haben aber ſo viel, als es nicht ge-
treulich gebrauchen: ſintemal durch Unterlaſ-
ſung des Gebrauchs das haben zum nicht ha-
ben wird: durch die getreue Anwendung aber
hat man es alſo, daß man der Habe recht froh
wird.
2. Wer demnach mit Timotheo, ob gleich
in einem viel geringern Maße, eine geiſtliche
Beylage empfangen hat, dergleichen ein iegli-
cher von der angenommenen Gnade der Bekeh-
rung ſeyn kan, der gedencke, als wuͤrde er al-
hier auch gleichſam mit Namen angeredet und
zur getreuen Bewahrung ermuntert; ſonderlich
wer ein Lehrer iſt. Auch haben alle auf Chriſtum
getaufte in der Jugend bey Zeiten dahin zu ſe-
hen, daß ſie in ihrem Tauf-Bunde bleiben, und
alſo den Stand der Gnade ohne Ruͤckfall bey ſich
bewahren.
3. Es ſtreitet aber nichts mehr mit dem
Schatz der geiſtlichen Beylage, als ein ungeiſt-
liches Religions-Gezaͤnck; als wodurch das gu-
te Gewiſſen verletzet, und alſo auch das Geheim-
niß des Glaubens mit der Gnade GOttes ver-
dunckelt, verunreiniget, verderbet und gar ver-
lohren wird. Und ob nicht die alſo genannte
Theologia polemica, oder antithetica, in
ſo fern ſie, unter der falſchen Meynung der zu
rettenden Orthodoxie, der Evangeliſchen
Wahrheit und der Lehre von der wahren Gott-
ſeligkeit entgegen geſetzet wird, ein loſes Ge-
ſchwaͤtz, und ein Gezaͤncke der falſch beruͤhm-
ten Kunſt ſey, koͤnnen verſtaͤndige beurtheilen.
Paulus, Timotheus und andere Knechte GOttes
hatten richtige Theſes: die verfuͤhriſchen und
fleiſchlich-geſinnten Lehrer aber wolten alles beſ-
ſer wiſſen, und beſchuldigten Paulum und
andere Zeugen der Wahrheit durch ihre anti-
theſes, oder Gegenſaͤtze, der Unrichtigkeit in der
Lehre; die doch aber bey ihnen ſelbſt ſo ſehr ver-
derbet war. Also iſt es auch nachher bis auf un-
ſere Zeiten ergangen: daß man alſo mit Paulo
und Timotheo oft genoͤthiget worden, die reine
Evangeliſche Wahrheit wider den irrigen Ge-
genſpruch derer zu retten, welche ſich in derſel-
ben Beurtheilung eine ſonderbare γνῶσιν, oder
Erkenntniß zugeſchrieben haben: Die aber er-
funden worden, als ψευδώνυμος, eine faͤlſchlich
alſo genannte, welche ſich denn auch in ihren
antitheſibus unter andern ſonderlich damit
characteriſiret hat, daß ſie den beharrlich
Gottloſen, welche die Heil. Schrift, und dar-
innen ſonderlich unſer Heyland ſelbſt, mehrmal
Narren und Blinde nennet Matth. 23. die wah-
re Weisheit und die wahre geiſtliche Erkenntniß
GOttes und goͤttlicher Dinge beygeleget hat.
Welche doch gewiß recht mit Nachdruck ψευ-
δώνυμος iſt.
4. Da Paulus ſaget, man habe bey vor-
gegebener wahrer Erkenntniß des Glaubens ge-
fehlet, als der damit nicht beſtehen koͤnne: ſo
iſt es leider dahin gekommen, daß Maͤnner auf-
geſtanden, welche vorgegeben, als koͤnne eine
wahre geiſtliche, uͤbernatuͤrliche und lebendige
Erkenntniß GOttes ſeyn, auch ohne den Glau-
ben des Hertzens. Welches alſo noch aͤrger iſt,
als bey ſeiner vermeinten Erkenntniß den Glau-
ben verlieren.
5. Daß die im andern Seculo bey den
Kirchen-Scribenten erſt recht bekannt geworde-
nen, alſo genannten Gnoſtici, welche ſich faͤlſch-
lich einer beſondern Erkenntniß goͤttlicher Ge-
heimniße geruͤhmet, ſchon im erſten Seculo her-
vorgekommen, ſiehet man aus dieſem Orte und
andern mehr.
6. Die Worte: die Gnade ſey mit dir
hat Paulus ohne Zweifel mit ſeiner eigenen
Hand, als eine Unterſchrift, hinzu geſetzet: wie
aus 2 Theſſ. 3, 17. 18. und Col. 4, 18. 1 Cor. 16,
21. zu ſehen iſt. Ein ieglicher Leſer ſpreche, mit
Application auf ſich ſelbſt, zu dieſem Segens-
Wunſche ein glaubiges Amen. Die hinzu ge-
ſetzten Worte: geſchrieben. u. ſ. w. ſind nicht
Pauli, ſondern eines Abſchreibers, und iſt es
damit nicht getroffen; wie aus der Einleitung zu
ſehen iſt.
Erklaͤ-
S 3
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Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht02_1729/143>, abgerufen am 27.11.2024.
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