[Spaltenumbruch]
Gleichstellung, allen allerley werden müsse, um viele zu gewinnen.
8. Nun ist auch zu erwegen, was denn so- phronismos, welches Wort Lutherus durch Zucht übersetzet hat, sey, und warum es zu den Worten, Kraft und Liebe gesetzet worden. Sophron heißt eigentlich so viel als Gesund am Gemüthe, und also klug, verständig und weise, das alle Dinge recht geistlich und richtig beurthei- len und nach ihrer Beschaffenheit richtig verfahren und allewege die rechte Ordnung halten, und die gehörige Masse treffen kan. Sophronizo heißt ich mache klug und weise oder führe zu einem solchen Zustande des Gemüths. Und also ist sophroni- smos, eine solche Gemüths-Beschaffenheit, wel- che sich in teutscher Sprache mit einem Worte nicht wohl ausdrucken läßt, am wenigsten mit dem Worte, Zucht. Nemlich es ist eine solche geistliche Gemüths-Gesundheit und Klugheit, vermöge welcher man alle Dinge insonderheit in moralischen Pflichten der Liebe nach ihrer Be- schaffenheit bey allen ihren Umständen recht ein- siehet und also beurtheilet, daß man alle seine Rathschläge und Handlungen darnach vorsich- tig und recht füglich, wie es der vorgesetzte gute Zweck mit sich bringet, einrichtet. Und solcher gestalt sühret sophronismos, die Direction bey dem Gebrauch der Kraft und der Liebe, und gehö- ret eigentlich zu dem erleuchteten Verstande, gleichwie die Kraft und die Liebe eigentlich zu dem geheiligten Willen gehören.
9. Wir können von der nöthigen Verbin- dung dieser drey Stücke, der Kraft, der Liebe, und der Mäßigung ein feines Bild nehmen an unserm Leibe. Die Gesundheit desselben re- praesentiret die Kraft: die geschäftigen Hände und Füsse in der Wirckung und im Wandel die Liebe: die Augen aber sophronismon, die weiseDirection und Mäßigung. Da wir denn sehen wie keines von diesen drey Stücken fehlen kan, und wie nöthig eines dem andern sey. Denn was würde die Gesundheit nutzen ohne Gebrauch der Hände und Füsse? und wie wür- de diese statt haben, ohne die Direction der Augen, und wozu würde das Auge sonderlich dienen ohne die Gesundheit und derselben geschäf- tige Anwendung, mit den Gliedern des Lei- bes.
10. Diese dreyfache Gabe nun, die Kraft, die Liebe, und die weiseModeration ist eine Frucht des Geistes, von dem es in Ansehung der ordentlichen und ausserordentlichen Gnaden-Ga- ben 1 Cor. 12, 4. heißt: Es sind mancherley Gaben, aber es ist ein Geist.
11. Nun heißt es von GOtt: dedoke, er hat gegeben, nemlich den Geist selbst, und durch ihn die Gnaden-Gaben der Kraft, der Liebe, und der weisen Direction. Denn das bringet die Oeco- nomie der heiligen Drey-Einigkeit im göttlichen Wesen also mit sich, daß, weil der Vater mit dem Sohn und dem Heiligen Geiste eines We- sens ist, der Vater nicht besonders handelt ohne den Sohn und den Heiligen Geist, sondern durch den Heiligen Geist und in dem Sohne zur Ver- klärung des Sohnes in seinem Mittler-Amte: [Spaltenumbruch]
Daher denn die Heilige Schrift von dem Ge- ben und von dem Außgiessen des heiligen Geistes redet.
12. Hat es aber GOtt gegeben, so ist es ein Gnaden-Geschenck, welches wir ohne alles unser Verdienst haben. Und er hatte es damal dergestalt gegeben, daß er nicht aufhörte diese theure Beylage, damit sie nimmermehr von ihnen wieder genommen werden möchte, gnädiglich zu bewahren.
13. Und da der Apostel in dem Wörtlein uns, GOtt hat uns gegeben, nebst sich und Ti- motheo zugleich auch auf alle gläubige Christen damaliger Zeiten gesehen, als welche mit ihnen, ob sie gleich manches besonders gehabt, diese bis- her beschriebene Gnaden-Gaben gemein gehabt haben, so haben wir auch dergleichen von GOtt zu erbitten, zu erlangen, zu erwarten und wohl anzulegen
V. 8.
Darum (weil du mit mir und so vielen an- dern Gläubigen eine so theure Beylage der Kraft, der Liebe und der weisen Direction empfangen hast, und dieselbe zum getreuen Gebrauch zu er- wecken ist) so schäme dich nicht des Zeug- nisses unsers HErrn (des Evangelii) Chri- sti, (welches von Christi Person, Amt, Stän- den und Reiche also kräftig durch die Zeugen der Wahrheit zeuget, daß es eine Kraft GOttes zur Seligkeit allen Gläubigen Röm. 1, 16. desselben schäme dich so gar nicht, daß du es dir vielmehr für eine Ehre schätzest, seiner theilhaftig geworden zu seyn, und um seines Namens Willen zu leiden; wie von den Aposteln stehet Apost. Gesch. 5, 41.) noch meiner, der ich sein (um seinet willen und ein ihm angehöriger) gebundener bin (alhier zu Rom nun zum andern mal, daß du nem- lich Bedencken tragen woltest, deswegen zu mir zu kommen; wie ich auch nicht vermuthe, es doch aber zu deiner desto mehrern Ermunterung erin- nere;) sondern leide dich (ferner, wie bisher) mit dem Evangelio (welches die Gelegenheit unserer Leiden also ist, daß es auch selbst mitleidet, und aufs ärgste verlästert wird) nach der Kraft GOttes (die dir von dem Geiste der Kraft mit- getheilet ist v. 7.)
Anmerckungen.
1. Hast du den Geist der Kraft empfangen, lieber Timothee, v. 7. so leide auch nach solcher Kraft, und schäme dich des Evangelii nicht. Al- so verbindet Paulus diesen Vers mit dem vorher- gehenden und zeiget an, wie man die empfangene Gnade sonderlich zum leiden anwenden soll.
2. Wo Furchtsamkeit ist, da ist auch Schamhaftigkeit: und also wer noch sehr Furcht- sam ist, oder in einer knechtischen Furcht vor GOtt wandelt, der schämet sich des Evangelii gar leicht. Da nun Timotheus nicht den Geist der gesetzli- chen Furchtsamkeit, sondern der Evangelischen Freudigkeit und der Kraft empfangen hatte, so konte er diese so herrliche Gnaden-Gabe der unge- gründeten Furchtsamkeit entgegen setzen.
3. Unserer verderbten Natur gehet nichts so schwer ein, als das Leiden um Christi willen.
Wenn
T 3
Cap. 1. v. 7. 8. an den Timotheum.
[Spaltenumbruch]
Gleichſtellung, allen allerley werden muͤſſe, um viele zu gewinnen.
8. Nun iſt auch zu erwegen, was denn σω- φρονισμὸς, welches Wort Lutherus durch Zucht uͤberſetzet hat, ſey, und warum es zu den Worten, Kraft und Liebe geſetzet worden. Σώϕρων heißt eigentlich ſo viel als Geſund am Gemuͤthe, und alſo klug, verſtaͤndig und weiſe, das alle Dinge recht geiſtlich und richtig beurthei- len und nach ihrer Beſchaffenheit richtig verfahren und allewege die rechte Ordnung halten, und die gehoͤrige Maſſe treffen kan. Σωϕρονίζω heißt ich mache klug und weiſe oder fuͤhre zu einem ſolchen Zuſtande des Gemuͤths. Und alſo iſt σωϕρονι- σμὸς, eine ſolche Gemuͤths-Beſchaffenheit, wel- che ſich in teutſcher Sprache mit einem Worte nicht wohl ausdrucken laͤßt, am wenigſten mit dem Worte, Zucht. Nemlich es iſt eine ſolche geiſtliche Gemuͤths-Geſundheit und Klugheit, vermoͤge welcher man alle Dinge inſonderheit in moraliſchen Pflichten der Liebe nach ihrer Be- ſchaffenheit bey allen ihren Umſtaͤnden recht ein- ſiehet und alſo beurtheilet, daß man alle ſeine Rathſchlaͤge und Handlungen darnach vorſich- tig und recht fuͤglich, wie es der vorgeſetzte gute Zweck mit ſich bringet, einrichtet. Und ſolcher geſtalt ſuͤhret σωϕρονισμὸς, die Direction bey dem Gebrauch der Kraft und der Liebe, und gehoͤ- ret eigentlich zu dem erleuchteten Verſtande, gleichwie die Kraft und die Liebe eigentlich zu dem geheiligten Willen gehoͤren.
9. Wir koͤnnen von der noͤthigen Verbin- dung dieſer drey Stuͤcke, der Kraft, der Liebe, und der Maͤßigung ein feines Bild nehmen an unſerm Leibe. Die Geſundheit deſſelben re- præſentiret die Kraft: die geſchaͤftigen Haͤnde und Fuͤſſe in der Wirckung und im Wandel die Liebe: die Augen aber σωϕρονισμὸν, die weiſeDirection und Maͤßigung. Da wir denn ſehen wie keines von dieſen drey Stuͤcken fehlen kan, und wie noͤthig eines dem andern ſey. Denn was wuͤrde die Geſundheit nutzen ohne Gebrauch der Haͤnde und Fuͤſſe? und wie wuͤr- de dieſe ſtatt haben, ohne die Direction der Augen, und wozu wuͤrde das Auge ſonderlich dienen ohne die Geſundheit und derſelben geſchaͤf- tige Anwendung, mit den Gliedern des Lei- bes.
10. Dieſe dreyfache Gabe nun, die Kraft, die Liebe, und die weiſeModeration iſt eine Frucht des Geiſtes, von dem es in Anſehung der ordentlichen und auſſerordentlichen Gnaden-Ga- ben 1 Cor. 12, 4. heißt: Es ſind mancherley Gaben, aber es iſt ein Geiſt.
11. Nun heißt es von GOtt: δέδωκε, er hat gegeben, nemlich den Geiſt ſelbſt, und durch ihn die Gnaden-Gaben der Kraft, der Liebe, und der weiſen Direction. Denn das bringet die Oeco- nomie der heiligen Drey-Einigkeit im goͤttlichen Weſen alſo mit ſich, daß, weil der Vater mit dem Sohn und dem Heiligen Geiſte eines We- ſens iſt, der Vater nicht beſonders handelt ohne den Sohn und den Heiligen Geiſt, ſondern durch den Heiligen Geiſt und in dem Sohne zur Ver- klaͤrung des Sohnes in ſeinem Mittler-Amte: [Spaltenumbruch]
Daher denn die Heilige Schrift von dem Ge- ben und von dem Außgieſſen des heiligen Geiſtes redet.
12. Hat es aber GOtt gegeben, ſo iſt es ein Gnaden-Geſchenck, welches wir ohne alles unſer Verdienſt haben. Und er hatte es damal dergeſtalt gegeben, daß er nicht aufhoͤrte dieſe theure Beylage, damit ſie nimmermehr von ihnen wieder genommen werden moͤchte, gnaͤdiglich zu bewahren.
13. Und da der Apoſtel in dem Woͤrtlein uns, GOtt hat uns gegeben, nebſt ſich und Ti- motheo zugleich auch auf alle glaͤubige Chriſten damaliger Zeiten geſehen, als welche mit ihnen, ob ſie gleich manches beſonders gehabt, dieſe bis- her beſchriebene Gnaden-Gaben gemein gehabt haben, ſo haben wir auch dergleichen von GOtt zu erbitten, zu erlangen, zu erwarten und wohl anzulegen
V. 8.
Darum (weil du mit mir und ſo vielen an- dern Glaͤubigen eine ſo theure Beylage der Kraft, der Liebe und der weiſen Direction empfangen haſt, und dieſelbe zum getreuen Gebrauch zu er- wecken iſt) ſo ſchaͤme dich nicht des Zeug- niſſes unſers HErrn (des Evangelii) Chri- ſti, (welches von Chriſti Perſon, Amt, Staͤn- den und Reiche alſo kraͤftig durch die Zeugen der Wahrheit zeuget, daß es eine Kraft GOttes zur Seligkeit allen Glaͤubigen Roͤm. 1, 16. deſſelben ſchaͤme dich ſo gar nicht, daß du es dir vielmehr fuͤr eine Ehre ſchaͤtzeſt, ſeiner theilhaftig geworden zu ſeyn, und um ſeines Namens Willen zu leiden; wie von den Apoſteln ſtehet Apoſt. Geſch. 5, 41.) noch meiner, der ich ſein (um ſeinet willen und ein ihm angehoͤriger) gebundener bin (alhier zu Rom nun zum andern mal, daß du nem- lich Bedencken tragen wolteſt, deswegen zu mir zu kommen; wie ich auch nicht vermuthe, es doch aber zu deiner deſto mehrern Ermunterung erin- nere;) ſondern leide dich (ferner, wie bisher) mit dem Evangelio (welches die Gelegenheit unſerer Leiden alſo iſt, daß es auch ſelbſt mitleidet, und aufs aͤrgſte verlaͤſtert wird) nach der Kraft GOttes (die dir von dem Geiſte der Kraft mit- getheilet iſt v. 7.)
Anmerckungen.
1. Haſt du den Geiſt der Kraft empfangen, lieber Timothee, v. 7. ſo leide auch nach ſolcher Kraft, und ſchaͤme dich des Evangelii nicht. Al- ſo verbindet Paulus dieſen Vers mit dem vorher- gehenden und zeiget an, wie man die empfangene Gnade ſonderlich zum leiden anwenden ſoll.
2. Wo Furchtſamkeit iſt, da iſt auch Schamhaftigkeit: und alſo wer noch ſehr Furcht- ſam iſt, oder in einer knechtiſchen Furcht vor GOtt wandelt, der ſchaͤmet ſich des Evangelii gar leicht. Da nun Timotheus nicht den Geiſt der geſetzli- chen Furchtſamkeit, ſondern der Evangeliſchen Freudigkeit und der Kraft empfangen hatte, ſo konte er dieſe ſo herrliche Gnaden-Gabe der unge- gruͤndeten Furchtſamkeit entgegen ſetzen.
3. Unſerer verderbten Natur gehet nichts ſo ſchwer ein, als das Leiden um Chriſti willen.
Wenn
T 3
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[149/0151]
Cap. 1. v. 7. 8. an den Timotheum.
Gleichſtellung, allen allerley werden muͤſſe, um
viele zu gewinnen.
8. Nun iſt auch zu erwegen, was denn σω-
φρονισμὸς, welches Wort Lutherus durch
Zucht uͤberſetzet hat, ſey, und warum es zu den
Worten, Kraft und Liebe geſetzet worden.
Σώϕρων heißt eigentlich ſo viel als Geſund am
Gemuͤthe, und alſo klug, verſtaͤndig und weiſe,
das alle Dinge recht geiſtlich und richtig beurthei-
len und nach ihrer Beſchaffenheit richtig verfahren
und allewege die rechte Ordnung halten, und die
gehoͤrige Maſſe treffen kan. Σωϕρονίζω heißt ich
mache klug und weiſe oder fuͤhre zu einem ſolchen
Zuſtande des Gemuͤths. Und alſo iſt σωϕρονι-
σμὸς, eine ſolche Gemuͤths-Beſchaffenheit, wel-
che ſich in teutſcher Sprache mit einem Worte
nicht wohl ausdrucken laͤßt, am wenigſten mit
dem Worte, Zucht. Nemlich es iſt eine ſolche
geiſtliche Gemuͤths-Geſundheit und Klugheit,
vermoͤge welcher man alle Dinge inſonderheit in
moraliſchen Pflichten der Liebe nach ihrer Be-
ſchaffenheit bey allen ihren Umſtaͤnden recht ein-
ſiehet und alſo beurtheilet, daß man alle ſeine
Rathſchlaͤge und Handlungen darnach vorſich-
tig und recht fuͤglich, wie es der vorgeſetzte gute
Zweck mit ſich bringet, einrichtet. Und ſolcher
geſtalt ſuͤhret σωϕρονισμὸς, die Direction bey
dem Gebrauch der Kraft und der Liebe, und gehoͤ-
ret eigentlich zu dem erleuchteten Verſtande,
gleichwie die Kraft und die Liebe eigentlich zu dem
geheiligten Willen gehoͤren.
9. Wir koͤnnen von der noͤthigen Verbin-
dung dieſer drey Stuͤcke, der Kraft, der Liebe,
und der Maͤßigung ein feines Bild nehmen an
unſerm Leibe. Die Geſundheit deſſelben re-
præſentiret die Kraft: die geſchaͤftigen Haͤnde
und Fuͤſſe in der Wirckung und im Wandel die
Liebe: die Augen aber σωϕρονισμὸν, die
weiſe Direction und Maͤßigung. Da wir
denn ſehen wie keines von dieſen drey Stuͤcken
fehlen kan, und wie noͤthig eines dem andern ſey.
Denn was wuͤrde die Geſundheit nutzen ohne
Gebrauch der Haͤnde und Fuͤſſe? und wie wuͤr-
de dieſe ſtatt haben, ohne die Direction der
Augen, und wozu wuͤrde das Auge ſonderlich
dienen ohne die Geſundheit und derſelben geſchaͤf-
tige Anwendung, mit den Gliedern des Lei-
bes.
10. Dieſe dreyfache Gabe nun, die Kraft,
die Liebe, und die weiſe Moderation iſt eine
Frucht des Geiſtes, von dem es in Anſehung der
ordentlichen und auſſerordentlichen Gnaden-Ga-
ben 1 Cor. 12, 4. heißt: Es ſind mancherley
Gaben, aber es iſt ein Geiſt.
11. Nun heißt es von GOtt: δέδωκε, er hat
gegeben, nemlich den Geiſt ſelbſt, und durch ihn
die Gnaden-Gaben der Kraft, der Liebe, und der
weiſen Direction. Denn das bringet die Oeco-
nomie der heiligen Drey-Einigkeit im goͤttlichen
Weſen alſo mit ſich, daß, weil der Vater mit
dem Sohn und dem Heiligen Geiſte eines We-
ſens iſt, der Vater nicht beſonders handelt ohne
den Sohn und den Heiligen Geiſt, ſondern durch
den Heiligen Geiſt und in dem Sohne zur Ver-
klaͤrung des Sohnes in ſeinem Mittler-Amte:
Daher denn die Heilige Schrift von dem Ge-
ben und von dem Außgieſſen des heiligen Geiſtes
redet.
12. Hat es aber GOtt gegeben, ſo iſt es
ein Gnaden-Geſchenck, welches wir ohne alles
unſer Verdienſt haben. Und er hatte es damal
dergeſtalt gegeben, daß er nicht aufhoͤrte dieſe
theure Beylage, damit ſie nimmermehr von ihnen
wieder genommen werden moͤchte, gnaͤdiglich zu
bewahren.
13. Und da der Apoſtel in dem Woͤrtlein
uns, GOtt hat uns gegeben, nebſt ſich und Ti-
motheo zugleich auch auf alle glaͤubige Chriſten
damaliger Zeiten geſehen, als welche mit ihnen,
ob ſie gleich manches beſonders gehabt, dieſe bis-
her beſchriebene Gnaden-Gaben gemein gehabt
haben, ſo haben wir auch dergleichen von GOtt
zu erbitten, zu erlangen, zu erwarten und wohl
anzulegen
V. 8.
Darum (weil du mit mir und ſo vielen an-
dern Glaͤubigen eine ſo theure Beylage der Kraft,
der Liebe und der weiſen Direction empfangen
haſt, und dieſelbe zum getreuen Gebrauch zu er-
wecken iſt) ſo ſchaͤme dich nicht des Zeug-
niſſes unſers HErrn (des Evangelii) Chri-
ſti, (welches von Chriſti Perſon, Amt, Staͤn-
den und Reiche alſo kraͤftig durch die Zeugen der
Wahrheit zeuget, daß es eine Kraft GOttes zur
Seligkeit allen Glaͤubigen Roͤm. 1, 16. deſſelben
ſchaͤme dich ſo gar nicht, daß du es dir vielmehr
fuͤr eine Ehre ſchaͤtzeſt, ſeiner theilhaftig geworden
zu ſeyn, und um ſeines Namens Willen zu leiden;
wie von den Apoſteln ſtehet Apoſt. Geſch. 5, 41.)
noch meiner, der ich ſein (um ſeinet willen
und ein ihm angehoͤriger) gebundener bin (alhier
zu Rom nun zum andern mal, daß du nem-
lich Bedencken tragen wolteſt, deswegen zu mir
zu kommen; wie ich auch nicht vermuthe, es doch
aber zu deiner deſto mehrern Ermunterung erin-
nere;) ſondern leide dich (ferner, wie bisher)
mit dem Evangelio (welches die Gelegenheit
unſerer Leiden alſo iſt, daß es auch ſelbſt mitleidet,
und aufs aͤrgſte verlaͤſtert wird) nach der Kraft
GOttes (die dir von dem Geiſte der Kraft mit-
getheilet iſt v. 7.)
Anmerckungen.
1. Haſt du den Geiſt der Kraft empfangen,
lieber Timothee, v. 7. ſo leide auch nach ſolcher
Kraft, und ſchaͤme dich des Evangelii nicht. Al-
ſo verbindet Paulus dieſen Vers mit dem vorher-
gehenden und zeiget an, wie man die empfangene
Gnade ſonderlich zum leiden anwenden ſoll.
2. Wo Furchtſamkeit iſt, da iſt auch
Schamhaftigkeit: und alſo wer noch ſehr Furcht-
ſam iſt, oder in einer knechtiſchen Furcht vor GOtt
wandelt, der ſchaͤmet ſich des Evangelii gar leicht.
Da nun Timotheus nicht den Geiſt der geſetzli-
chen Furchtſamkeit, ſondern der Evangeliſchen
Freudigkeit und der Kraft empfangen hatte, ſo
konte er dieſe ſo herrliche Gnaden-Gabe der unge-
gruͤndeten Furchtſamkeit entgegen ſetzen.
3. Unſerer verderbten Natur gehet nichts
ſo ſchwer ein, als das Leiden um Chriſti willen.
Wenn
T 3
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Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht02_1729/151>, abgerufen am 16.02.2025.
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