[Spaltenumbruch]Seele nicht mögen tödten; Fürchtet euch aber vor dem, der Leib und See- le verderben mag in die Hölle.
4. Wenn man nun erweget, woher es denn kommen, daß gleichwol 1 Thess. 1, 13. und Luc. 1, 46. 47. Seele und Geist unterschieden werden; so ist wol die eigentliche Ursache diese, daß die Seele, oder der unsterbliche Geist des Menschen, auf zweyerley Art kan betrachtet werden: erstlich an sich selbst, bloß nach seinem geistlichen Wesen, nach welchem er es mit bloß geistlichen Dingen zu thun hat, und auch ausser dem Leibe bestehen kan, und also auch ohne sein Geschäfte, so er mit dem Leibe hat, betrachtet wird: und denn nach der Oeconomie, nach welcher dieser unsterbliche Geist den Leib, als sein Haus bewohnet, belebet, reget, beweget und regieret. Jn der ersten Absicht wird er in angeführten Schrift-Stellen der Geist, in der andern die Seele genannt; wie denn auch daher von dieser andern Bedeutung, weil die Seele dem Leibe das Leben giebet, das natürliche Le- ben selbst oft mit dem Wort psukhe bezeichnet wird, dahin die Redens-Arten gehören Matth. 2, 20. Sie sind gestorben, die dem Kind- lein nach dem Leben stunden, (psukhen, See- le suchten,) c. 10, 39. wer sein Leben (psukhen, Seele) findet, der wird es verlieren, u. s. w.
5. Da nun die Unwidergebornen und Gott- losen ihre Seelen nicht betrachten als einen un- sterblichen Geist, also daß sie sich damit GOtt aufopferten, ihn liessen gleichsam neue geboren und zur Handlung mit geistlichen Dingen ge- schickt werden, sondern nur auf ihr irdisches Leben sehen, und ihren unsterblichen Geist allein mit den Dingen dieses Lebens beschäftiget seyn lassen, so heissen sie daher psukhikoi, 1 Cor. 2, 14. welches Lutherus übersetzet hat natürliche, psukhikos an thropos, der natürliche Mensch, der dem pneumatiko, dem geistlichen, dem aus dem Geiste Wiedergebornen, der seine Seele als einen un- sterblichen Geist auf GOtt und göttliche Dinge gerichtet seyn lässet, entgegen gesetzet wird, und daher Jud. v. 19. heissen psukhikoi pneuma me ekhontes, fleischliche, die keinen Geist haben. Siehe auch 1 Cor. 15, 44. u. f. alwo soma psu- khikon ein natürlicher Leib soviel ist, als ein sterblicher Leib, der von der Seele in die- sem natürlichen Leben bewohnet und regieret worden.
6. Es lassen sich die bisherigen Anmerckun- gen gar wohl erläutern mit einem feinen Ort aus dem seligen Luthero, als der bey Erklärung des Lob-Gesanges Mariä, insonderheit der Worte: Meine Seele erhebet den HERRN, und mein Geist freuet sich GOttes meines Hey- landesTom. I. Jen. pag. 479. und Tom. I. Altenb. p. 758. also spricht: Die Schrift theilet an etlichen Orten den Menschen in drey Theile, da St. Paulus 1 Thess. 5, 21. sagt: GOtt, der ein GOtt des Friedens ist, der mache euch heilig durch und durch, also daß euer gantzer Geist, Seel und Leib unsträflich erhalten werde auf die Zukunft unsers HErrn JEsu Christi. - - [Spaltenumbruch]
Das erste Stück, der Geist, ist das höch- ste, edelste, tiefste Theil des Menschen, damit er geschickt ist, unbegreifliche, un- sichtliche, ewige Dinge zu fassen, und ist kürtzlich das Haus, da der Glaube und GOttes Wort inne wohnet. - - Das an- dere, die Seele ist eben derselbe Geist nach der Natur, aber doch in einem andern Wercke, nemlich in dem, daß er den Leib lebendig machet und durch ihn wircket, und wird oft in der Schrift für das Le- ben genommen. Denn der Geist mag wol ohne den Leib leben, aber der Leib lebet nicht ohne den Geist. Dis Stück sehen wir, wie es auch im Schlaf und ohn un- terlaß lebet und wircket, und ist seine Art, nicht die unbegreiflichen Dinge zu fassen, sondern was die Vernunft erkennen uud ermessen kan. Und ist nemlich die Ver- nunft hie das Licht in diesem Hause. Und wo der Geist nicht mit dem Glauben, als mit einem höhern Licht, erleuchtet dieses Licht der Vernunft regieret, so mag sie nimmer ohn Jrrthum seyn. - - Das dritte ist der Leib mit seinen Gliedern, welches Werck sind nur Ubungen und Brauch, nachdem die Seele erkant und der Geist glaubet. Und daß wir davon ein Gleichniß anzeigen aus der Schrift: Mo- ses machte ein Tabernackel mit dreyen un- terschiedlichen Gebäuen. Das erste hieß sanctum sanctorum,da wohnete GOtt in- nen und war kein Licht drinnen. Das anderesanctum,darinnen stund ein Leuchter mit sieben Röhren und Lampen. Das dritte hießatrium,der Hof, der war un- ter dem Himmel öffentlich vor der Son- nen Licht. Jn derselbenFigurist ein Christen-Mensch abgemahlet. Sein Geist istsanctum sanctorum,GOttes Wohnung im finstern Glauben ohne Licht (nemlich deutlicher Erkentniß, da sonst der Glaube an sich ein Licht ist) denn er glaubet, was er nicht stehet, nicht fühlet, noch begreifet. Seine Seele istsanctum,da sind sieben Licht, d. i. aller Verstand, Unterscheid, wis- sen der leiblichen sichtlichen Dinge. Sein Cörper istatrium,der ist iederman offen- bar, daß man sehen kan, was er thut und was er lebet.
7. Dieses sind feine Gedancken; ob wol die eigentliche Abbildung der Stifts-Hütte und des Tempels nach seinen drey Theilen sonst auf das Reich Christi zu richten ist, also daß der Vorhof die äusserliche Kirche, das Heilige die Gemeine der wahrhaftig Gläubigen hie auf Erden, und das Allerheiligste den Zustand der auserwehlten im Reiche der Herrlichkeit vorstellt. Und ob es gleich das Ansehen haben möchte, als habe Lutherus selbst drey wesentliche Theile des Menschen sta- tuiret: so ist doch dieses seine Meynung gar nicht, wenn man seine Wort recht erweget. Denn er spricht ausdrücklich: Die Seele ist eben der- selbe Geist, aber doch in einem andern Werck, nemlich in dem, daß er den Leib
leben-
F 3
Cap. 5. v. 23. an die Theſſalonicher.
[Spaltenumbruch]Seele nicht moͤgen toͤdten; Fuͤrchtet euch aber vor dem, der Leib und See- le verderben mag in die Hoͤlle.
4. Wenn man nun erweget, woher es denn kommen, daß gleichwol 1 Theſſ. 1, 13. und Luc. 1, 46. 47. Seele und Geiſt unterſchieden werden; ſo iſt wol die eigentliche Urſache dieſe, daß die Seele, oder der unſterbliche Geiſt des Menſchen, auf zweyerley Art kan betrachtet werden: erſtlich an ſich ſelbſt, bloß nach ſeinem geiſtlichen Weſen, nach welchem er es mit bloß geiſtlichen Dingen zu thun hat, und auch auſſer dem Leibe beſtehen kan, und alſo auch ohne ſein Geſchaͤfte, ſo er mit dem Leibe hat, betrachtet wird: und denn nach der Oeconomie, nach welcher dieſer unſterbliche Geiſt den Leib, als ſein Haus bewohnet, belebet, reget, beweget und regieret. Jn der erſten Abſicht wird er in angefuͤhrten Schrift-Stellen der Geiſt, in der andern die Seele genannt; wie denn auch daher von dieſer andern Bedeutung, weil die Seele dem Leibe das Leben giebet, das natuͤrliche Le- ben ſelbſt oft mit dem Wort ψυχὴ bezeichnet wird, dahin die Redens-Arten gehoͤren Matth. 2, 20. Sie ſind geſtorben, die dem Kind- lein nach dem Leben ſtunden, (ψυχὴν, See- le ſuchten,) c. 10, 39. wer ſein Leben (ψυχὴν, Seele) findet, der wird es verlieren, u. ſ. w.
5. Da nun die Unwidergebornen und Gott- loſen ihre Seelen nicht betrachten als einen un- ſterblichen Geiſt, alſo daß ſie ſich damit GOtt aufopferten, ihn lieſſen gleichſam neue geboren und zur Handlung mit geiſtlichen Dingen ge- ſchickt werden, ſondern nur auf ihr irdiſches Leben ſehen, und ihren unſterblichen Geiſt allein mit den Dingen dieſes Lebens beſchaͤftiget ſeyn laſſen, ſo heiſſen ſie daher ψυχικοί, 1 Cor. 2, 14. welches Lutherus uͤberſetzet hat natuͤrliche, ψυχικὸς ἄν ϑρωπος, der natuͤrliche Menſch, der dem ϖνευματικῷ, dem geiſtlichen, dem aus dem Geiſte Wiedergebornen, der ſeine Seele als einen un- ſterblichen Geiſt auf GOtt und goͤttliche Dinge gerichtet ſeyn laͤſſet, entgegen geſetzet wird, und daher Jud. v. 19. heiſſen ψυχικοὶ πνεῦμα μὴ ἔχοντες, fleiſchliche, die keinen Geiſt haben. Siehe auch 1 Cor. 15, 44. u. f. alwo σῶμα ψυ- χικὸν ein natuͤrlicher Leib ſoviel iſt, als ein ſterblicher Leib, der von der Seele in die- ſem natuͤrlichen Leben bewohnet und regieret worden.
6. Es laſſen ſich die bisherigen Anmerckun- gen gar wohl erlaͤutern mit einem feinen Ort aus dem ſeligen Luthero, als der bey Erklaͤrung des Lob-Geſanges Mariaͤ, inſonderheit der Worte: Meine Seele erhebet den HERRN, und mein Geiſt freuet ſich GOttes meines Hey- landesTom. I. Jen. pag. 479. und Tom. I. Altenb. p. 758. alſo ſpricht: Die Schrift theilet an etlichen Orten den Menſchen in drey Theile, da St. Paulus 1 Theſſ. 5, 21. ſagt: GOtt, der ein GOtt des Friedens iſt, der mache euch heilig durch und durch, alſo daß euer gantzer Geiſt, Seel und Leib unſtraͤflich erhalten werde auf die Zukunft unſers HErrn JEſu Chriſti. ‒ ‒ [Spaltenumbruch]
Das erſte Stuͤck, der Geiſt, iſt das hoͤch- ſte, edelſte, tiefſte Theil des Menſchen, damit er geſchickt iſt, unbegreifliche, un- ſichtliche, ewige Dinge zu faſſen, und iſt kuͤrtzlich das Haus, da der Glaube und GOttes Wort inne wohnet. ‒ ‒ Das an- dere, die Seele iſt eben derſelbe Geiſt nach der Natur, aber doch in einem andern Wercke, nemlich in dem, daß er den Leib lebendig machet und durch ihn wircket, und wird oft in der Schrift fuͤr das Le- ben genommen. Denn der Geiſt mag wol ohne den Leib leben, aber der Leib lebet nicht ohne den Geiſt. Dis Stuͤck ſehen wir, wie es auch im Schlaf und ohn un- terlaß lebet und wircket, und iſt ſeine Art, nicht die unbegreiflichen Dinge zu faſſen, ſondern was die Vernunft erkennen uud ermeſſen kan. Und iſt nemlich die Ver- nunft hie das Licht in dieſem Hauſe. Und wo der Geiſt nicht mit dem Glauben, als mit einem hoͤhern Licht, erleuchtet dieſes Licht der Vernunft regieret, ſo mag ſie nimmer ohn Jrrthum ſeyn. ‒ ‒ Das dritte iſt der Leib mit ſeinen Gliedern, welches Werck ſind nur Ubungen und Brauch, nachdem die Seele erkant und der Geiſt glaubet. Und daß wir davon ein Gleichniß anzeigen aus der Schrift: Mo- ſes machte ein Tabernackel mit dreyen un- terſchiedlichen Gebaͤuen. Das erſte hieß ſanctum ſanctorum,da wohnete GOtt in- nen und war kein Licht drinnen. Das andereſanctum,darinnen ſtund ein Leuchter mit ſieben Roͤhren und Lampen. Das dritte hießatrium,der Hof, der war un- ter dem Himmel oͤffentlich vor der Son- nen Licht. Jn derſelbenFiguriſt ein Chriſten-Menſch abgemahlet. Sein Geiſt iſtſanctum ſanctorum,GOttes Wohnung im finſtern Glauben ohne Licht (nemlich deutlicher Erkentniß, da ſonſt der Glaube an ſich ein Licht iſt) denn er glaubet, was er nicht ſtehet, nicht fuͤhlet, noch begreifet. Seine Seele iſtſanctum,da ſind ſieben Licht, d. i. aller Verſtand, Unterſcheid, wiſ- ſen der leiblichen ſichtlichen Dinge. Sein Coͤrper iſtatrium,der iſt iederman offen- bar, daß man ſehen kan, was er thut und was er lebet.
7. Dieſes ſind feine Gedancken; ob wol die eigentliche Abbildung der Stifts-Huͤtte und des Tempels nach ſeinen drey Theilen ſonſt auf das Reich Chriſti zu richten iſt, alſo daß der Vorhof die aͤuſſerliche Kirche, das Heilige die Gemeine der wahrhaftig Glaͤubigen hie auf Erden, und das Allerheiligſte den Zuſtand der auserwehlten im Reiche der Herrlichkeit vorſtellt. Und ob es gleich das Anſehen haben moͤchte, als habe Lutherus ſelbſt drey weſentliche Theile des Menſchen ſta- tuiret: ſo iſt doch dieſes ſeine Meynung gar nicht, wenn man ſeine Wort recht erweget. Denn er ſpricht ausdruͤcklich: Die Seele iſt eben der- ſelbe Geiſt, aber doch in einem andern Werck, nemlich in dem, daß er den Leib
leben-
F 3
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><list><item><pbfacs="#f0047"n="45"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Cap. 5. v. 23. an die Theſſalonicher.</hi></fw><lb/><cb/><hirendition="#fr">Seele nicht moͤgen toͤdten; Fuͤrchtet<lb/>
euch aber vor dem, der Leib und See-<lb/>
le verderben mag in die Hoͤlle.</hi></item></list><lb/><p>4. Wenn man nun erweget, woher es<lb/>
denn kommen, daß gleichwol 1 Theſſ. 1, 13. und<lb/>
Luc. 1, 46. 47. <hirendition="#fr">Seele</hi> und <hirendition="#fr">Geiſt</hi> unterſchieden<lb/>
werden; ſo iſt wol die eigentliche Urſache dieſe,<lb/>
daß die Seele, oder der unſterbliche Geiſt des<lb/>
Menſchen, auf zweyerley Art kan betrachtet<lb/>
werden: erſtlich an ſich ſelbſt, bloß nach ſeinem<lb/>
geiſtlichen Weſen, nach welchem er es mit bloß<lb/>
geiſtlichen Dingen zu thun hat, und auch auſſer<lb/>
dem Leibe beſtehen kan, und alſo auch ohne ſein<lb/>
Geſchaͤfte, ſo er mit dem Leibe hat, betrachtet<lb/>
wird: und denn nach der <hirendition="#aq">Oeconomie,</hi> nach<lb/>
welcher dieſer unſterbliche Geiſt den Leib, als<lb/>ſein Haus bewohnet, belebet, reget, beweget<lb/>
und regieret. Jn der erſten Abſicht wird er in<lb/>
angefuͤhrten Schrift-Stellen der <hirendition="#fr">Geiſt,</hi> in der<lb/>
andern die <hirendition="#fr">Seele</hi> genannt; wie denn auch daher<lb/>
von dieſer andern Bedeutung, weil die Seele<lb/>
dem Leibe das Leben giebet, das natuͤrliche Le-<lb/>
ben ſelbſt oft mit dem Wort ψυχὴ bezeichnet<lb/>
wird, dahin die Redens-Arten gehoͤren Matth.<lb/>
2, 20. <hirendition="#fr">Sie ſind geſtorben, die dem Kind-<lb/>
lein nach dem Leben ſtunden,</hi> (ψυχὴν, See-<lb/>
le ſuchten,) c. 10, 39. <hirendition="#fr">wer ſein Leben</hi> (ψυχὴν,<lb/>
Seele) <hirendition="#fr">findet, der wird es verlieren,</hi> u. ſ. w.</p><lb/><p>5. Da nun die Unwidergebornen und Gott-<lb/>
loſen ihre Seelen nicht betrachten als einen un-<lb/>ſterblichen Geiſt, alſo daß ſie ſich damit GOtt<lb/>
aufopferten, ihn lieſſen gleichſam neue geboren<lb/>
und zur Handlung mit geiſtlichen Dingen ge-<lb/>ſchickt werden, ſondern nur auf ihr irdiſches Leben<lb/>ſehen, und ihren unſterblichen Geiſt allein mit den<lb/>
Dingen dieſes Lebens beſchaͤftiget ſeyn laſſen, ſo<lb/>
heiſſen ſie daher ψυχικοί, 1 Cor. 2, 14. welches<lb/><hirendition="#aq">Lutherus</hi> uͤberſetzet hat <hirendition="#fr">natuͤrliche,</hi>ψυχικὸς<lb/>ἄνϑρωπος, <hirendition="#fr">der natuͤrliche Menſch,</hi> der dem<lb/>ϖνευματικῷ, dem geiſtlichen, dem aus dem Geiſte<lb/>
Wiedergebornen, der ſeine Seele als einen un-<lb/>ſterblichen Geiſt auf GOtt und goͤttliche Dinge<lb/>
gerichtet ſeyn laͤſſet, entgegen geſetzet wird, und<lb/>
daher Jud. v. 19. heiſſen ψυχικοὶπνεῦμαμὴ<lb/>ἔχοντες, <hirendition="#fr">fleiſchliche, die keinen Geiſt haben.</hi><lb/>
Siehe auch 1 Cor. 15, 44. u. f. alwo σῶμαψυ-<lb/>χικὸν ein <hirendition="#fr">natuͤrlicher</hi> Leib ſoviel iſt, als ein<lb/><hirendition="#fr">ſterblicher Leib,</hi> der von der Seele in die-<lb/>ſem natuͤrlichen Leben bewohnet und regieret<lb/>
worden.</p><lb/><p>6. Es laſſen ſich die bisherigen Anmerckun-<lb/>
gen gar wohl erlaͤutern mit einem feinen Ort aus<lb/>
dem ſeligen Luthero, als der bey Erklaͤrung des<lb/>
Lob-Geſanges Mariaͤ, inſonderheit der Worte:<lb/><hirendition="#fr">Meine Seele erhebet den HERRN, und<lb/>
mein Geiſt freuet ſich GOttes meines Hey-<lb/>
landes</hi><hirendition="#aq">Tom. I. Jen. pag.</hi> 479. und <hirendition="#aq">Tom.<lb/>
I. Altenb. p.</hi> 758. alſo ſpricht: <hirendition="#fr">Die Schrift<lb/>
theilet an etlichen Orten den Menſchen in<lb/>
drey Theile, da St. Paulus 1 Theſſ. 5, 21.<lb/>ſagt: GOtt, der ein GOtt des Friedens<lb/>
iſt, der mache euch heilig durch und durch,<lb/>
alſo daß euer gantzer Geiſt, Seel und<lb/>
Leib unſtraͤflich erhalten werde auf die<lb/>
Zukunft unſers HErrn JEſu Chriſti. ‒‒<lb/><cb/>
Das erſte Stuͤck, der Geiſt, iſt das hoͤch-<lb/>ſte, edelſte, tiefſte Theil des Menſchen,<lb/>
damit er geſchickt iſt, unbegreifliche, un-<lb/>ſichtliche, ewige Dinge zu faſſen, und iſt<lb/>
kuͤrtzlich das Haus, da der Glaube und<lb/>
GOttes Wort inne wohnet. ‒‒ Das an-<lb/>
dere, die Seele iſt eben derſelbe Geiſt nach<lb/>
der Natur, aber doch in einem andern<lb/>
Wercke, nemlich in dem, daß er den Leib<lb/>
lebendig machet und durch ihn wircket,<lb/>
und wird oft in der Schrift fuͤr das Le-<lb/>
ben genommen. Denn der Geiſt mag wol<lb/>
ohne den Leib leben, aber der Leib lebet<lb/>
nicht ohne den Geiſt. Dis Stuͤck ſehen<lb/>
wir, wie es auch im Schlaf und ohn un-<lb/>
terlaß lebet und wircket, und iſt ſeine Art,<lb/>
nicht die unbegreiflichen Dinge zu faſſen,<lb/>ſondern was die Vernunft erkennen uud<lb/>
ermeſſen kan. Und iſt nemlich die Ver-<lb/>
nunft hie das Licht in dieſem Hauſe. Und<lb/>
wo der Geiſt nicht mit dem Glauben, als<lb/>
mit einem hoͤhern Licht, erleuchtet dieſes<lb/>
Licht der Vernunft regieret, ſo mag ſie<lb/>
nimmer ohn Jrrthum ſeyn. ‒‒ Das<lb/>
dritte iſt der Leib mit ſeinen Gliedern,<lb/>
welches Werck ſind nur Ubungen und<lb/>
Brauch, nachdem die Seele erkant und<lb/>
der Geiſt glaubet. Und daß wir davon ein<lb/>
Gleichniß anzeigen aus der Schrift: Mo-<lb/>ſes machte ein Tabernackel mit dreyen un-<lb/>
terſchiedlichen Gebaͤuen. Das erſte hieß</hi><lb/><hirendition="#aq"><hirendition="#i">ſanctum ſanctorum,</hi></hi><hirendition="#fr">da wohnete GOtt in-<lb/>
nen und war kein Licht drinnen. Das<lb/>
andere</hi><hirendition="#aq"><hirendition="#i">ſanctum,</hi></hi><hirendition="#fr">darinnen ſtund ein Leuchter<lb/>
mit ſieben Roͤhren und Lampen. Das<lb/>
dritte hieß</hi><hirendition="#aq"><hirendition="#i">atrium,</hi></hi><hirendition="#fr">der Hof, der war un-<lb/>
ter dem Himmel oͤffentlich vor der Son-<lb/>
nen Licht. Jn derſelben</hi><hirendition="#aq"><hirendition="#i">Figur</hi></hi><hirendition="#fr">iſt ein<lb/>
Chriſten-Menſch abgemahlet. Sein Geiſt<lb/>
iſt</hi><hirendition="#aq"><hirendition="#i">ſanctum ſanctorum,</hi></hi><hirendition="#fr">GOttes Wohnung<lb/>
im finſtern Glauben ohne Licht</hi> (nemlich<lb/>
deutlicher Erkentniß, da ſonſt der Glaube an<lb/>ſich ein Licht iſt) <hirendition="#fr">denn er glaubet, was er<lb/>
nicht ſtehet, nicht fuͤhlet, noch begreifet.<lb/>
Seine Seele iſt</hi><hirendition="#aq"><hirendition="#i">ſanctum,</hi></hi><hirendition="#fr">da ſind ſieben<lb/>
Licht, d. i. aller Verſtand, Unterſcheid, wiſ-<lb/>ſen der leiblichen ſichtlichen Dinge. Sein<lb/>
Coͤrper iſt</hi><hirendition="#aq"><hirendition="#i">atrium,</hi></hi><hirendition="#fr">der iſt iederman offen-<lb/>
bar, daß man ſehen kan, was er thut und<lb/>
was er lebet.</hi></p><lb/><p>7. Dieſes ſind feine Gedancken; ob wol die<lb/>
eigentliche Abbildung der Stifts-Huͤtte und des<lb/>
Tempels nach ſeinen drey Theilen ſonſt auf das<lb/>
Reich Chriſti zu richten iſt, alſo daß der <hirendition="#fr">Vorhof</hi><lb/>
die aͤuſſerliche Kirche, das <hirendition="#fr">Heilige</hi> die Gemeine<lb/>
der wahrhaftig Glaͤubigen hie auf Erden, und das<lb/><hirendition="#fr">Allerheiligſte</hi> den Zuſtand der auserwehlten im<lb/>
Reiche der Herrlichkeit vorſtellt. Und ob es gleich<lb/>
das Anſehen haben moͤchte, als habe <hirendition="#aq">Lutherus</hi><lb/>ſelbſt drey weſentliche Theile des Menſchen <hirendition="#aq">ſta-<lb/>
tuir</hi>et: ſo iſt doch dieſes ſeine Meynung gar nicht,<lb/>
wenn man ſeine Wort recht erweget. Denn er<lb/>ſpricht ausdruͤcklich: <hirendition="#fr">Die Seele iſt eben der-<lb/>ſelbe Geiſt, aber doch in einem andern<lb/>
Werck, nemlich in dem, daß er den Leib</hi><lb/><fwplace="bottom"type="sig">F 3</fw><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#fr">leben-</hi></fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[45/0047]
Cap. 5. v. 23. an die Theſſalonicher.
Seele nicht moͤgen toͤdten; Fuͤrchtet
euch aber vor dem, der Leib und See-
le verderben mag in die Hoͤlle.
4. Wenn man nun erweget, woher es
denn kommen, daß gleichwol 1 Theſſ. 1, 13. und
Luc. 1, 46. 47. Seele und Geiſt unterſchieden
werden; ſo iſt wol die eigentliche Urſache dieſe,
daß die Seele, oder der unſterbliche Geiſt des
Menſchen, auf zweyerley Art kan betrachtet
werden: erſtlich an ſich ſelbſt, bloß nach ſeinem
geiſtlichen Weſen, nach welchem er es mit bloß
geiſtlichen Dingen zu thun hat, und auch auſſer
dem Leibe beſtehen kan, und alſo auch ohne ſein
Geſchaͤfte, ſo er mit dem Leibe hat, betrachtet
wird: und denn nach der Oeconomie, nach
welcher dieſer unſterbliche Geiſt den Leib, als
ſein Haus bewohnet, belebet, reget, beweget
und regieret. Jn der erſten Abſicht wird er in
angefuͤhrten Schrift-Stellen der Geiſt, in der
andern die Seele genannt; wie denn auch daher
von dieſer andern Bedeutung, weil die Seele
dem Leibe das Leben giebet, das natuͤrliche Le-
ben ſelbſt oft mit dem Wort ψυχὴ bezeichnet
wird, dahin die Redens-Arten gehoͤren Matth.
2, 20. Sie ſind geſtorben, die dem Kind-
lein nach dem Leben ſtunden, (ψυχὴν, See-
le ſuchten,) c. 10, 39. wer ſein Leben (ψυχὴν,
Seele) findet, der wird es verlieren, u. ſ. w.
5. Da nun die Unwidergebornen und Gott-
loſen ihre Seelen nicht betrachten als einen un-
ſterblichen Geiſt, alſo daß ſie ſich damit GOtt
aufopferten, ihn lieſſen gleichſam neue geboren
und zur Handlung mit geiſtlichen Dingen ge-
ſchickt werden, ſondern nur auf ihr irdiſches Leben
ſehen, und ihren unſterblichen Geiſt allein mit den
Dingen dieſes Lebens beſchaͤftiget ſeyn laſſen, ſo
heiſſen ſie daher ψυχικοί, 1 Cor. 2, 14. welches
Lutherus uͤberſetzet hat natuͤrliche, ψυχικὸς
ἄν ϑρωπος, der natuͤrliche Menſch, der dem
ϖνευματικῷ, dem geiſtlichen, dem aus dem Geiſte
Wiedergebornen, der ſeine Seele als einen un-
ſterblichen Geiſt auf GOtt und goͤttliche Dinge
gerichtet ſeyn laͤſſet, entgegen geſetzet wird, und
daher Jud. v. 19. heiſſen ψυχικοὶ πνεῦμα μὴ
ἔχοντες, fleiſchliche, die keinen Geiſt haben.
Siehe auch 1 Cor. 15, 44. u. f. alwo σῶμα ψυ-
χικὸν ein natuͤrlicher Leib ſoviel iſt, als ein
ſterblicher Leib, der von der Seele in die-
ſem natuͤrlichen Leben bewohnet und regieret
worden.
6. Es laſſen ſich die bisherigen Anmerckun-
gen gar wohl erlaͤutern mit einem feinen Ort aus
dem ſeligen Luthero, als der bey Erklaͤrung des
Lob-Geſanges Mariaͤ, inſonderheit der Worte:
Meine Seele erhebet den HERRN, und
mein Geiſt freuet ſich GOttes meines Hey-
landes Tom. I. Jen. pag. 479. und Tom.
I. Altenb. p. 758. alſo ſpricht: Die Schrift
theilet an etlichen Orten den Menſchen in
drey Theile, da St. Paulus 1 Theſſ. 5, 21.
ſagt: GOtt, der ein GOtt des Friedens
iſt, der mache euch heilig durch und durch,
alſo daß euer gantzer Geiſt, Seel und
Leib unſtraͤflich erhalten werde auf die
Zukunft unſers HErrn JEſu Chriſti. ‒ ‒
Das erſte Stuͤck, der Geiſt, iſt das hoͤch-
ſte, edelſte, tiefſte Theil des Menſchen,
damit er geſchickt iſt, unbegreifliche, un-
ſichtliche, ewige Dinge zu faſſen, und iſt
kuͤrtzlich das Haus, da der Glaube und
GOttes Wort inne wohnet. ‒ ‒ Das an-
dere, die Seele iſt eben derſelbe Geiſt nach
der Natur, aber doch in einem andern
Wercke, nemlich in dem, daß er den Leib
lebendig machet und durch ihn wircket,
und wird oft in der Schrift fuͤr das Le-
ben genommen. Denn der Geiſt mag wol
ohne den Leib leben, aber der Leib lebet
nicht ohne den Geiſt. Dis Stuͤck ſehen
wir, wie es auch im Schlaf und ohn un-
terlaß lebet und wircket, und iſt ſeine Art,
nicht die unbegreiflichen Dinge zu faſſen,
ſondern was die Vernunft erkennen uud
ermeſſen kan. Und iſt nemlich die Ver-
nunft hie das Licht in dieſem Hauſe. Und
wo der Geiſt nicht mit dem Glauben, als
mit einem hoͤhern Licht, erleuchtet dieſes
Licht der Vernunft regieret, ſo mag ſie
nimmer ohn Jrrthum ſeyn. ‒ ‒ Das
dritte iſt der Leib mit ſeinen Gliedern,
welches Werck ſind nur Ubungen und
Brauch, nachdem die Seele erkant und
der Geiſt glaubet. Und daß wir davon ein
Gleichniß anzeigen aus der Schrift: Mo-
ſes machte ein Tabernackel mit dreyen un-
terſchiedlichen Gebaͤuen. Das erſte hieß
ſanctum ſanctorum, da wohnete GOtt in-
nen und war kein Licht drinnen. Das
andere ſanctum, darinnen ſtund ein Leuchter
mit ſieben Roͤhren und Lampen. Das
dritte hieß atrium, der Hof, der war un-
ter dem Himmel oͤffentlich vor der Son-
nen Licht. Jn derſelben Figur iſt ein
Chriſten-Menſch abgemahlet. Sein Geiſt
iſt ſanctum ſanctorum, GOttes Wohnung
im finſtern Glauben ohne Licht (nemlich
deutlicher Erkentniß, da ſonſt der Glaube an
ſich ein Licht iſt) denn er glaubet, was er
nicht ſtehet, nicht fuͤhlet, noch begreifet.
Seine Seele iſt ſanctum, da ſind ſieben
Licht, d. i. aller Verſtand, Unterſcheid, wiſ-
ſen der leiblichen ſichtlichen Dinge. Sein
Coͤrper iſt atrium, der iſt iederman offen-
bar, daß man ſehen kan, was er thut und
was er lebet.
7. Dieſes ſind feine Gedancken; ob wol die
eigentliche Abbildung der Stifts-Huͤtte und des
Tempels nach ſeinen drey Theilen ſonſt auf das
Reich Chriſti zu richten iſt, alſo daß der Vorhof
die aͤuſſerliche Kirche, das Heilige die Gemeine
der wahrhaftig Glaͤubigen hie auf Erden, und das
Allerheiligſte den Zuſtand der auserwehlten im
Reiche der Herrlichkeit vorſtellt. Und ob es gleich
das Anſehen haben moͤchte, als habe Lutherus
ſelbſt drey weſentliche Theile des Menſchen ſta-
tuiret: ſo iſt doch dieſes ſeine Meynung gar nicht,
wenn man ſeine Wort recht erweget. Denn er
ſpricht ausdruͤcklich: Die Seele iſt eben der-
ſelbe Geiſt, aber doch in einem andern
Werck, nemlich in dem, daß er den Leib
leben-
F 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht02_1729/47>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.