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Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729.

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Cap. 3. v. 16. 17. Erklärung des Briefes Jacobi.
[Spaltenumbruch] sich für den Zustand der ersten Christen in ihren
Gemeinen gar nicht schicket. Denn wenn auch
gleich die Zerrüttung noch so groß war, als zu
Corinthus, so ist es doch zu keinem eigentlichen
Aufruhr gekommen: der gewiß, wo er ein eini-
ges mal geschehen wäre, die Christen würde
recht stinckend gemachet haben. Sind gleich sol-
che hie und da wider die Christen entstanden,
also daß man davon auch den Ort 2 Cor. 6, 5.
verstehen kan; so können sie doch von den Chri-
sten selbst nicht gesaget werden, nemlich von den
ersten Christen, davon die Rede ist.

V. 17.

Die Weisheit aber von oben her ist
aufs erste keusch, darnach friedsam, gelin-
de, läßt ihr sagen, voll Barmhertzigkeit und
guter Früchte, unpartheyisch, ohne Heu-
cheley.

Anmerckungen.

1. Es beschreibet der Apostel alhier die
wahre Weisheit nach sieben Eigenschaften, nach
welcher er sie, als die von oben her ist, von der
irdischen, bloß natürlichen und menschlichen un-
terscheidet. Die erste Eigenschaft ist die Keusch-
heit,
oder Reinigkeit, nach welcher sie allein
den wahrhaftig Gläubigen und Widergebor-
nen, als reinen und keuschen Jungfrauen, oder
als der Braut des Lammes zukommt 2 Cor. 11,
2. Offenb. 19, 7. 8. c. 21, 2. Siehe auch B.
Weish. 8. Jm Gegensatze gegen die falsche
Weisheit, welche Salomo in seinen Sprüchen
c. 7, 5. u. f. unter dem Bilde einer unverschäm-
ten Hure vorstellet. Und daß unter demselben
in der Offenbarung Johannis die abtrünnige
Kirche repraesentiret wird, sehe man c. 17, 1.

2. Gleichwie nun die Unkeuschheit der
falschen Weisheit
zuvorderst in der Unlauter-
keit des Hertzens und des Glaubens bestehet, und
sich durch einen unheiligen Wandel äussert: al-
so wird die wahre Weisheit keusch genennet
von der Reinigkeit des Hertzens, von der Lau-
terkeit des Glaubens und von der Unschuld ei-
nes unsträflichen Wandels. Wie man zu sol-
cher Keuschheit gelange, zeuget Petrus an, wenn
er Ep. 1. c. 1. v. 21. spricht: Machet keusch eu-
re Seelen im Gehorsam der Wahrheit zu
ungefärbter Bruder-Liebe, und habt euch
untereinander brünstig lieb aus reinem Her-
tzen.
Siehe auch das agnizein, keusch machen, o-
der reinigen 1 Joh. 3, 5.

3. Die andere Eigenschaft der wahren
Weisheit ist, daß sie ist friedsam. Denn ihr
Grund ist der Friede der Seele mit GOTT.
Wer diesen hat, der hält auch gerne Friede mit
den Menschen, rathet euch und hilfet dazu; wozu
einem die wahre Weisheit solche Mittel und We-
ge anweiset, welche ein anderer weder erkennet,
noch ergreifet. Und also ist einer denn auch eire-
nopoios, ein Friedenmacher, den unser Heyland
selig preiset Matth. 5, 9. Es zeiget sich diese
friedfertige Art auch sonderlich darinnen, daß
man allen eitlen Wort-Streit, welcher der fal-
[Spaltenumbruch] schen Weisheit recht eigen ist, vermeidet, und die-
jenigen, welche darein verfallen sind, mit einan-
der zu conciliiren suchet; sintemal es sich oft be-
findet, daß ihrer zweene, die mit einander streiten,
sonderlich in Religions-Sachen, einander nicht
recht verstehen, und auf gewisse Art beyde recht,
wo nicht unrecht, haben; welches ein weiser allein
recht einsiehet. Das Wort epeit[fremdsprachliches Material]. darnach,
womit der Apostel die Eigenschaften der wahren
Weisheit mit einander verbindet, gehet alhier
nicht auf die nachfolgende Zeit, als wenn die wah-
re Weisheit bey ihrer Keuschheit nicht auch zu-
gleich friedsam wäre, sondern es heißt alhier so-
viel, als dazu, überdas.

4. Die dritte Eigenschaft der Weisheit, ist
die epieikeia, welche ist eine solche Tugend, da
man nicht nach der Strenge des Rechts, sondern
nach der Billigkeit handelt, und von seinem Rech-
te, darauf man bestehen könte, willig weichet;
und zwar wie nach dem Grunde der Liebe, also
auch nach solchen Umständen, welche man nach
der Christlichen Klugheit recht einsiehet und recht
beurtheilet. Dieses befiehlet uns Paulus an ge-
gen alle Menschen, wenn er Phil. 4 5. schreibet:
Eure Lindigkeit lasset kund seyn allen Men-
schen.
Von den Lehrern siehe 1 Tim. 3, 3. Das
Wort Gelindigkeit schicket sich dazu gar gut im
Gegensatz von der Strenge und Schärfe. Und
also siehet man auch den Unterscheid der Gelin-
digkeit
von der Sanftmuth. Denn gleich-
wie die Sanftmuth sich sonderlich in gelinden
Worten und Geberden, im Gegensatze des
Zorns und der daher entstehenden harten und
heftigen Worten, äussert; so thut sich die Ge-
lindigkeit
in solchen Handlungen hervor, darinn
man gegen den Nächsten nicht alles so scharf und
genaue nimmt, und ist also eine Haupt-Eigen-
schaft der Liebe.

5. Die vierte Eigenschaft der wahren
Weisheit ist diese, daß sie ist eupeithes, oder ihr
sagen lässet.
Welches der Halsstarrigkeit und
dem Eigensinn entgegen stehet, da man nicht un-
recht geurtheilet, geredet und gehandelt haben
will, sondern immer haberechtet, das der falschen
aufblehenden Weisheit Art ist. Und gleichwie
ein solcher Sinn den Stoltz zum Grunde hat und
sich in lauter Thorheit äussert: also stehet bey der
eupeitheia, die Demuth zum Grunde, nach welchem
es einem Menschen lieber ist, wenn er von einem
Jrrthum und Vorurtheil, auch von einem andern
Fehler kan überzeuget werden, und sich darum
gerne weisen lässet, ja so gar nicht darüber zür-
net, daß man es einem andern vielmehr Danck
weiß.

6. Die fünfte Eigenschaft der wahren
Weisheit ist, daß sie ist voll Barmhertzigkeit
und guter Früchte.
Gleichwie die wahre
Weisheit gleichsam zum Baume gemachet wird,
der voller gute Früchte, oder Wercke ist: so ist
das Haupt-Werck dabey die Barmhertzigkeit,
welcher der Apostel deßwegen besonders geden-
cket, weil er in dem vorhergehenden Contexte mit
den Reichen und Stoltzen, welche die Armen ver-

achte-
N n n 3

Cap. 3. v. 16. 17. Erklaͤrung des Briefes Jacobi.
[Spaltenumbruch] ſich fuͤr den Zuſtand der erſten Chriſten in ihren
Gemeinen gar nicht ſchicket. Denn wenn auch
gleich die Zerruͤttung noch ſo groß war, als zu
Corinthus, ſo iſt es doch zu keinem eigentlichen
Aufruhr gekommen: der gewiß, wo er ein eini-
ges mal geſchehen waͤre, die Chriſten wuͤrde
recht ſtinckend gemachet haben. Sind gleich ſol-
che hie und da wider die Chriſten entſtanden,
alſo daß man davon auch den Ort 2 Cor. 6, 5.
verſtehen kan; ſo koͤnnen ſie doch von den Chri-
ſten ſelbſt nicht geſaget werden, nemlich von den
erſten Chriſten, davon die Rede iſt.

V. 17.

Die Weisheit aber von oben her iſt
aufs erſte keuſch, darnach friedſam, gelin-
de, laͤßt ihr ſagen, voll Barmhertzigkeit und
guter Fruͤchte, unpartheyiſch, ohne Heu-
cheley.

Anmerckungen.

1. Es beſchreibet der Apoſtel alhier die
wahre Weisheit nach ſieben Eigenſchaften, nach
welcher er ſie, als die von oben her iſt, von der
irdiſchen, bloß natuͤrlichen und menſchlichen un-
terſcheidet. Die erſte Eigenſchaft iſt die Keuſch-
heit,
oder Reinigkeit, nach welcher ſie allein
den wahrhaftig Glaͤubigen und Widergebor-
nen, als reinen und keuſchen Jungfrauen, oder
als der Braut des Lammes zukommt 2 Cor. 11,
2. Offenb. 19, 7. 8. c. 21, 2. Siehe auch B.
Weish. 8. Jm Gegenſatze gegen die falſche
Weisheit, welche Salomo in ſeinen Spruͤchen
c. 7, 5. u. f. unter dem Bilde einer unverſchaͤm-
ten Hure vorſtellet. Und daß unter demſelben
in der Offenbarung Johannis die abtruͤnnige
Kirche repræſentiret wird, ſehe man c. 17, 1.

2. Gleichwie nun die Unkeuſchheit der
falſchen Weisheit
zuvorderſt in der Unlauter-
keit des Hertzens und des Glaubens beſtehet, und
ſich durch einen unheiligen Wandel aͤuſſert: al-
ſo wird die wahre Weisheit keuſch genennet
von der Reinigkeit des Hertzens, von der Lau-
terkeit des Glaubens und von der Unſchuld ei-
nes unſtraͤflichen Wandels. Wie man zu ſol-
cher Keuſchheit gelange, zeuget Petrus an, wenn
er Ep. 1. c. 1. v. 21. ſpricht: Machet keuſch eu-
re Seelen im Gehorſam der Wahrheit zu
ungefaͤrbter Bruder-Liebe, und habt euch
untereinander bruͤnſtig lieb aus reinem Heꝛ-
tzen.
Siehe auch das ἁγνίζειν, keuſch machen, o-
der reinigen 1 Joh. 3, 5.

3. Die andere Eigenſchaft der wahren
Weisheit iſt, daß ſie iſt friedſam. Denn ihr
Grund iſt der Friede der Seele mit GOTT.
Wer dieſen hat, der haͤlt auch gerne Friede mit
den Menſchen, rathet euch und hilfet dazu; wozu
einem die wahre Weisheit ſolche Mittel und We-
ge anweiſet, welche ein anderer weder erkennet,
noch ergreifet. Und alſo iſt einer denn auch ἐιρη-
νοποιὸς, ein Friedenmacher, den unſer Heyland
ſelig preiſet Matth. 5, 9. Es zeiget ſich dieſe
friedfertige Art auch ſonderlich darinnen, daß
man allen eitlen Wort-Streit, welcher der fal-
[Spaltenumbruch] ſchen Weisheit recht eigen iſt, vermeidet, und die-
jenigen, welche darein verfallen ſind, mit einan-
der zu conciliiren ſuchet; ſintemal es ſich oft be-
findet, daß ihrer zweene, die mit einander ſtreiten,
ſonderlich in Religions-Sachen, einander nicht
recht verſtehen, und auf gewiſſe Art beyde recht,
wo nicht unrecht, haben; welches ein weiſer allein
recht einſiehet. Das Wort ἔπειτ[fremdsprachliches Material]. darnach,
womit der Apoſtel die Eigenſchaften der wahren
Weisheit mit einander verbindet, gehet alhier
nicht auf die nachfolgende Zeit, als wenn die wah-
re Weisheit bey ihrer Keuſchheit nicht auch zu-
gleich friedſam waͤre, ſondern es heißt alhier ſo-
viel, als dazu, uͤberdas.

4. Die dritte Eigenſchaft der Weisheit, iſt
die ἐπιείκεια, welche iſt eine ſolche Tugend, da
man nicht nach der Strenge des Rechts, ſondern
nach der Billigkeit handelt, und von ſeinem Rech-
te, darauf man beſtehen koͤnte, willig weichet;
und zwar wie nach dem Grunde der Liebe, alſo
auch nach ſolchen Umſtaͤnden, welche man nach
der Chriſtlichen Klugheit recht einſiehet und recht
beurtheilet. Dieſes befiehlet uns Paulus an ge-
gen alle Menſchen, wenn er Phil. 4 5. ſchreibet:
Eure Lindigkeit laſſet kund ſeyn allen Men-
ſchen.
Von den Lehrern ſiehe 1 Tim. 3, 3. Das
Wort Gelindigkeit ſchicket ſich dazu gar gut im
Gegenſatz von der Strenge und Schaͤrfe. Und
alſo ſiehet man auch den Unterſcheid der Gelin-
digkeit
von der Sanftmuth. Denn gleich-
wie die Sanftmuth ſich ſonderlich in gelinden
Worten und Geberden, im Gegenſatze des
Zorns und der daher entſtehenden harten und
heftigen Worten, aͤuſſert; ſo thut ſich die Ge-
lindigkeit
in ſolchen Handlungen hervor, darinn
man gegen den Naͤchſten nicht alles ſo ſcharf und
genaue nimmt, und iſt alſo eine Haupt-Eigen-
ſchaft der Liebe.

5. Die vierte Eigenſchaft der wahren
Weisheit iſt dieſe, daß ſie iſt ἐυπειϑὴς, oder ihr
ſagen laͤſſet.
Welches der Halsſtarrigkeit und
dem Eigenſinn entgegen ſtehet, da man nicht un-
recht geurtheilet, geredet und gehandelt haben
will, ſondern immer haberechtet, das der falſchen
aufblehenden Weisheit Art iſt. Und gleichwie
ein ſolcher Sinn den Stoltz zum Grunde hat und
ſich in lauter Thorheit aͤuſſert: alſo ſtehet bey der
ἐυπείϑεια, die Demuth zum Grunde, nach welchem
es einem Menſchen lieber iſt, wenn er von einem
Jrrthum und Vorurtheil, auch von einem andern
Fehler kan uͤberzeuget werden, und ſich darum
gerne weiſen laͤſſet, ja ſo gar nicht daruͤber zuͤr-
net, daß man es einem andern vielmehr Danck
weiß.

6. Die fuͤnfte Eigenſchaft der wahren
Weisheit iſt, daß ſie iſt voll Barmhertzigkeit
und guter Fruͤchte.
Gleichwie die wahre
Weisheit gleichſam zum Baume gemachet wird,
der voller gute Fruͤchte, oder Wercke iſt: ſo iſt
das Haupt-Werck dabey die Barmhertzigkeit,
welcher der Apoſtel deßwegen beſonders geden-
cket, weil er in dem vorhergehenden Contexte mit
den Reichen und Stoltzen, welche die Armen ver-

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[469/0471] Cap. 3. v. 16. 17. Erklaͤrung des Briefes Jacobi. ſich fuͤr den Zuſtand der erſten Chriſten in ihren Gemeinen gar nicht ſchicket. Denn wenn auch gleich die Zerruͤttung noch ſo groß war, als zu Corinthus, ſo iſt es doch zu keinem eigentlichen Aufruhr gekommen: der gewiß, wo er ein eini- ges mal geſchehen waͤre, die Chriſten wuͤrde recht ſtinckend gemachet haben. Sind gleich ſol- che hie und da wider die Chriſten entſtanden, alſo daß man davon auch den Ort 2 Cor. 6, 5. verſtehen kan; ſo koͤnnen ſie doch von den Chri- ſten ſelbſt nicht geſaget werden, nemlich von den erſten Chriſten, davon die Rede iſt. V. 17. Die Weisheit aber von oben her iſt aufs erſte keuſch, darnach friedſam, gelin- de, laͤßt ihr ſagen, voll Barmhertzigkeit und guter Fruͤchte, unpartheyiſch, ohne Heu- cheley. Anmerckungen. 1. Es beſchreibet der Apoſtel alhier die wahre Weisheit nach ſieben Eigenſchaften, nach welcher er ſie, als die von oben her iſt, von der irdiſchen, bloß natuͤrlichen und menſchlichen un- terſcheidet. Die erſte Eigenſchaft iſt die Keuſch- heit, oder Reinigkeit, nach welcher ſie allein den wahrhaftig Glaͤubigen und Widergebor- nen, als reinen und keuſchen Jungfrauen, oder als der Braut des Lammes zukommt 2 Cor. 11, 2. Offenb. 19, 7. 8. c. 21, 2. Siehe auch B. Weish. 8. Jm Gegenſatze gegen die falſche Weisheit, welche Salomo in ſeinen Spruͤchen c. 7, 5. u. f. unter dem Bilde einer unverſchaͤm- ten Hure vorſtellet. Und daß unter demſelben in der Offenbarung Johannis die abtruͤnnige Kirche repræſentiret wird, ſehe man c. 17, 1. 2. Gleichwie nun die Unkeuſchheit der falſchen Weisheit zuvorderſt in der Unlauter- keit des Hertzens und des Glaubens beſtehet, und ſich durch einen unheiligen Wandel aͤuſſert: al- ſo wird die wahre Weisheit keuſch genennet von der Reinigkeit des Hertzens, von der Lau- terkeit des Glaubens und von der Unſchuld ei- nes unſtraͤflichen Wandels. Wie man zu ſol- cher Keuſchheit gelange, zeuget Petrus an, wenn er Ep. 1. c. 1. v. 21. ſpricht: Machet keuſch eu- re Seelen im Gehorſam der Wahrheit zu ungefaͤrbter Bruder-Liebe, und habt euch untereinander bruͤnſtig lieb aus reinem Heꝛ- tzen. Siehe auch das ἁγνίζειν, keuſch machen, o- der reinigen 1 Joh. 3, 5. 3. Die andere Eigenſchaft der wahren Weisheit iſt, daß ſie iſt friedſam. Denn ihr Grund iſt der Friede der Seele mit GOTT. Wer dieſen hat, der haͤlt auch gerne Friede mit den Menſchen, rathet euch und hilfet dazu; wozu einem die wahre Weisheit ſolche Mittel und We- ge anweiſet, welche ein anderer weder erkennet, noch ergreifet. Und alſo iſt einer denn auch ἐιρη- νοποιὸς, ein Friedenmacher, den unſer Heyland ſelig preiſet Matth. 5, 9. Es zeiget ſich dieſe friedfertige Art auch ſonderlich darinnen, daß man allen eitlen Wort-Streit, welcher der fal- ſchen Weisheit recht eigen iſt, vermeidet, und die- jenigen, welche darein verfallen ſind, mit einan- der zu conciliiren ſuchet; ſintemal es ſich oft be- findet, daß ihrer zweene, die mit einander ſtreiten, ſonderlich in Religions-Sachen, einander nicht recht verſtehen, und auf gewiſſe Art beyde recht, wo nicht unrecht, haben; welches ein weiſer allein recht einſiehet. Das Wort ἔπειτ_ . darnach, womit der Apoſtel die Eigenſchaften der wahren Weisheit mit einander verbindet, gehet alhier nicht auf die nachfolgende Zeit, als wenn die wah- re Weisheit bey ihrer Keuſchheit nicht auch zu- gleich friedſam waͤre, ſondern es heißt alhier ſo- viel, als dazu, uͤberdas. 4. Die dritte Eigenſchaft der Weisheit, iſt die ἐπιείκεια, welche iſt eine ſolche Tugend, da man nicht nach der Strenge des Rechts, ſondern nach der Billigkeit handelt, und von ſeinem Rech- te, darauf man beſtehen koͤnte, willig weichet; und zwar wie nach dem Grunde der Liebe, alſo auch nach ſolchen Umſtaͤnden, welche man nach der Chriſtlichen Klugheit recht einſiehet und recht beurtheilet. Dieſes befiehlet uns Paulus an ge- gen alle Menſchen, wenn er Phil. 4 5. ſchreibet: Eure Lindigkeit laſſet kund ſeyn allen Men- ſchen. Von den Lehrern ſiehe 1 Tim. 3, 3. Das Wort Gelindigkeit ſchicket ſich dazu gar gut im Gegenſatz von der Strenge und Schaͤrfe. Und alſo ſiehet man auch den Unterſcheid der Gelin- digkeit von der Sanftmuth. Denn gleich- wie die Sanftmuth ſich ſonderlich in gelinden Worten und Geberden, im Gegenſatze des Zorns und der daher entſtehenden harten und heftigen Worten, aͤuſſert; ſo thut ſich die Ge- lindigkeit in ſolchen Handlungen hervor, darinn man gegen den Naͤchſten nicht alles ſo ſcharf und genaue nimmt, und iſt alſo eine Haupt-Eigen- ſchaft der Liebe. 5. Die vierte Eigenſchaft der wahren Weisheit iſt dieſe, daß ſie iſt ἐυπειϑὴς, oder ihr ſagen laͤſſet. Welches der Halsſtarrigkeit und dem Eigenſinn entgegen ſtehet, da man nicht un- recht geurtheilet, geredet und gehandelt haben will, ſondern immer haberechtet, das der falſchen aufblehenden Weisheit Art iſt. Und gleichwie ein ſolcher Sinn den Stoltz zum Grunde hat und ſich in lauter Thorheit aͤuſſert: alſo ſtehet bey der ἐυπείϑεια, die Demuth zum Grunde, nach welchem es einem Menſchen lieber iſt, wenn er von einem Jrrthum und Vorurtheil, auch von einem andern Fehler kan uͤberzeuget werden, und ſich darum gerne weiſen laͤſſet, ja ſo gar nicht daruͤber zuͤr- net, daß man es einem andern vielmehr Danck weiß. 6. Die fuͤnfte Eigenſchaft der wahren Weisheit iſt, daß ſie iſt voll Barmhertzigkeit und guter Fruͤchte. Gleichwie die wahre Weisheit gleichſam zum Baume gemachet wird, der voller gute Fruͤchte, oder Wercke iſt: ſo iſt das Haupt-Werck dabey die Barmhertzigkeit, welcher der Apoſtel deßwegen beſonders geden- cket, weil er in dem vorhergehenden Contexte mit den Reichen und Stoltzen, welche die Armen ver- achte- N n n 3

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Zitationshilfe: Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729, S. 469. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht02_1729/471>, abgerufen am 22.11.2024.