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Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729.

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Cap. 2. v. 3. 4. des ersten Briefes Johannis.
[Spaltenumbruch] Welchen Zustand man zu vergleichen pfleget
mit einem im vollen Wachsthum stehenden
Kinde, das da zwar alle Theile eines Men-
schen an sich hat, und in Ansehung derselben
ein vollkommner Mensch ist, aber doch das
männliche Alter mit der rechten Grösse noch
nicht erreichet hat. Von dieser Vollkom-
mrnheit der noch Unvollkommenen sehe man
sonderlich Matth. 5, 48. 1 Cor. 2, 6. c. 14, 20.
Eph. 4, 13. Phil. 3, 15. Col. 1, 28. c. 2, 12. c.
3, 14. Hebr. 5, 14. Jac. 1, 4. c. 3, 2.

2. Dieses Halten der Gebote GOttes
ist nun ein unfehlbares Kennzeichen der wahren
Erkenntniß GOttes, ob sie bey einem rechter
Art sey, oder nicht. Dabey insonderheit folgendes
zu erwegen ist:

a. Der, welcher da soll erkannt werden, ist Chri-
stus
nach seiner Person, seinem Amte und
zwiefachen Stande, und also mit ihm der
Dreyeinige GOTT, auch der gantze Rath
GOttes von dem Grunde und von der Ord-
nung des Heyls: sintemal alle diese Wahrhei-
ten aufs genaueste mit einander verbunden
sind.
b. Die Erkenntniß selbst ist in der Ordnung
wahrer Bekehrung von dem heiligen Geiste
in der Seele gewircket; und also nimmt sie ih-
ren Ursprung mit dem geistlichen Leben;
sintemal so wenig ein geistliches Gesicht und
Erkennen ohne das geistliche Leben seyn kan, so
wenig sich das leibliche, oder natürliche Se-
hen bey einem leiblicher Weise todten befin-
det. Und also kömmt es bey der mit dem geist-
lichen Leben entstehenden wahren Erkenntniß
eigentlich auf den Glauben an; als welcher
seiner wesentlichen Eigenschaft nach in der
Seele beydes ist, ein geistliches Leben und
ein geistliches Licht.
c. Das Kennzeichen einer solchen gläubigen
Erkenntniß ist nun das Halten der Gebote
GOttes.
Denn da die wahre Erkenntniß
Glaubens-voll, ja der Glaube selbst ist; der
Glaube aber durch die Liebe sich thätig erwei-
set Eph. 5, 6. und in der Liebe alle Gebote der
ersten und andern Tafel zusammenfliessen: so
siehet man die Verbindung wohl, in welcher
die Erkenntniß mit dem halten der Gebote
GOttes stehet. Es machet demnach der Apo-
stel einen Schluß ab effectu ad Caussam,
a proprio ad rei formam,
das ist von
dem, was von einer Sache unzertrennlich ist
und wodurch sie sich nach ihrem lebhaften,
Wesen wircksam erweiset, auf die Sache selbst.
Und ist es eine solche argumentation, als sag-
te man, daran erkennet man ein wahres Feuer,
wenn es brennet und leuchtet; einen guten
Baum, wenn er gute Früchte träget; ein ge-
sundes Leben, wenn es sich in der Bewegung
und im Wandel also erweiset; ein Wasser,
wenn es befeuchtet u. s. w

3. Dieses Kennzeichens, welches die wahre
Erkenntniß im halten der Gebote GOttes habe,
Gewißheit bezeuget der Apostel damit, wenn er
von dem Gegentheile spricht: Wer da saget,
ich kenne ihn, und hält seine Gebote nicht,
[Spaltenumbruch] der ist ein Lügner, und in solchem ist kei-
ne Wahrheit.
Dabey zu mercken ist:

a. Daß es schon zu Johannis Zeiten leider gar
nicht gefehlet habe an solchen Leuten unter den
Christen, welche eine wahre Erleuchtung und
Erkenntniß vorgegeben, aber in der That nichts
weniger gehabt und erwiesen haben.
b. Daß daher ein solches Vorgeben recht lügen-
haft gewesen sey: sintemal sie ihr bloß buch-
stäbliches Wissen für eine wahre Erkenntniß
GOttes ausgegeben haben.
c. Daß es solchen Leuten nicht allein an der Gott-
seligkeit, sondern auch an der Wahrheit selbst
der Erkenntniß nach gefehlet habe. Darum
unser Heyland saget, daß die Welt den Geist
der Wahrheit nicht empfahen könne Joh. 14,
17. Denn in denen ist nur allein die Wahr-
heit, welche daraus wiedergeboren sind und
darinnen, nach dem Johanneischen stilo,
wandelen, und also in einem rechtschaffnen
Wesen stehen. Eph. 4, 21.

4. Diesen Ort haben wir folgender gestalt
noch ferner zu appliciren; und zwarerstlich zur
Lehre:

a. Daß man GOttes Gebote halten könne und
müsse; nemlich also, wie es nach dem wahren
Johanneischen Sinne zuvor erkläret ist: und
daß man die Frage: ob man GOttes Ge-
bote halten könne,
allerdinge mit Johanne,
und nach Anweisung fast unzehlbarer Oerter
der heiligen Schrift, rund heraus mit ja beant-
worten müsse. Da es, dem wahren evan-
gelischen Verstande nach, nur ankömmt
auf die wahre Beschaffenheit dessen, dem das
halten der Gebote zugeeignet wird, nemlich ei-
nes widergebornen und gerechtfertigten
Christen.
Denn ist er ein solcher, so hat sein
halten diese dreyfache Eigenschaft:
a. Es geschiehet nicht aus Natur-Kräften, son-
dern aus Gnaden-Kräften, wozu er in der
Ordnung der Wiedergeburt gelanget ist.
b. Es geschiehet zwar vermöge solcher Kräfte
aufrichtig und rechtschaffen, aber doch noch
gar unvollkommen; sintemal Wiederge-
borne und Gerechtfertigte noch täglich nö-
thig haben zu beten: vergib uns unsere
Schuld!
g. Es geschiehet aus blosser Schuldigkeit
in danckbarer Aufopferung an GOtt, und
also ohne alles Verdienst; weil das hal-
ten unvollkommen ist, und dazu nicht aus eig-
nen, sondern aus göttlichen Kräften gelei-
stet wird, auch der, der es leistet, nichts ver-
dienen darf, da ihm, als einem aus lauter
Gnade um Christi Willen gerecht gemach-
ten, alles ohne Verdienst geschencket ist und
wird. Und solchergestalt ist die Frage: Ob
ein Wiedergeborner Christ GOttes
Gebote halten könne?
keine quaestio
vexata,
welche vielen Schwierigkeiten und
Zweifeln unterworfen wäre; sondern gleich-
sam eine rechte Kinder Frage, welche zu den
ersten catechetischen Gründen der Christ-
lichen Lehre gehöret.
b. Daß die wahre Erkenntniß GOttes allein den
Gläu-
O o o o 2
Cap. 2. v. 3. 4. des erſten Briefes Johannis.
[Spaltenumbruch] Welchen Zuſtand man zu vergleichen pfleget
mit einem im vollen Wachsthum ſtehenden
Kinde, das da zwar alle Theile eines Men-
ſchen an ſich hat, und in Anſehung derſelben
ein vollkommner Menſch iſt, aber doch das
maͤnnliche Alter mit der rechten Groͤſſe noch
nicht erreichet hat. Von dieſer Vollkom-
mrnheit der noch Unvollkommenen ſehe man
ſonderlich Matth. 5, 48. 1 Cor. 2, 6. c. 14, 20.
Eph. 4, 13. Phil. 3, 15. Col. 1, 28. c. 2, 12. c.
3, 14. Hebr. 5, 14. Jac. 1, 4. c. 3, 2.

2. Dieſes Halten der Gebote GOttes
iſt nun ein unfehlbares Kennzeichen der wahren
Erkenntniß GOttes, ob ſie bey einem rechter
Art ſey, oder nicht. Dabey inſonderheit folgendes
zu erwegen iſt:

a. Der, welcher da ſoll erkannt werden, iſt Chri-
ſtus
nach ſeiner Perſon, ſeinem Amte und
zwiefachen Stande, und alſo mit ihm der
Dreyeinige GOTT, auch der gantze Rath
GOttes von dem Grunde und von der Ord-
nung des Heyls: ſintemal alle dieſe Wahrhei-
ten aufs genaueſte mit einander verbunden
ſind.
b. Die Erkenntniß ſelbſt iſt in der Ordnung
wahrer Bekehrung von dem heiligen Geiſte
in der Seele gewircket; und alſo nimmt ſie ih-
ren Urſprung mit dem geiſtlichen Leben;
ſintemal ſo wenig ein geiſtliches Geſicht und
Erkennen ohne das geiſtliche Leben ſeyn kan, ſo
wenig ſich das leibliche, oder natuͤrliche Se-
hen bey einem leiblicher Weiſe todten befin-
det. Und alſo koͤmmt es bey der mit dem geiſt-
lichen Leben entſtehenden wahren Erkenntniß
eigentlich auf den Glauben an; als welcher
ſeiner weſentlichen Eigenſchaft nach in der
Seele beydes iſt, ein geiſtliches Leben und
ein geiſtliches Licht.
c. Das Kennzeichen einer ſolchen glaͤubigen
Erkenntniß iſt nun das Halten der Gebote
GOttes.
Denn da die wahre Erkenntniß
Glaubens-voll, ja der Glaube ſelbſt iſt; der
Glaube aber durch die Liebe ſich thaͤtig erwei-
ſet Eph. 5, 6. und in der Liebe alle Gebote der
erſten und andern Tafel zuſammenflieſſen: ſo
ſiehet man die Verbindung wohl, in welcher
die Erkenntniß mit dem halten der Gebote
GOttes ſtehet. Es machet demnach der Apo-
ſtel einen Schluß ab effectu ad Cauſſam,
a proprio ad rei formam,
das iſt von
dem, was von einer Sache unzertrennlich iſt
und wodurch ſie ſich nach ihrem lebhaften,
Weſen wirckſam erweiſet, auf die Sache ſelbſt.
Und iſt es eine ſolche argumentation, als ſag-
te man, daran erkennet man ein wahres Feuer,
wenn es brennet und leuchtet; einen guten
Baum, wenn er gute Fruͤchte traͤget; ein ge-
ſundes Leben, wenn es ſich in der Bewegung
und im Wandel alſo erweiſet; ein Waſſer,
wenn es befeuchtet u. ſ. w

3. Dieſes Kennzeichens, welches die wahre
Erkenntniß im halten der Gebote GOttes habe,
Gewißheit bezeuget der Apoſtel damit, wenn er
von dem Gegentheile ſpricht: Wer da ſaget,
ich kenne ihn, und haͤlt ſeine Gebote nicht,
[Spaltenumbruch] der iſt ein Luͤgner, und in ſolchem iſt kei-
ne Wahrheit.
Dabey zu mercken iſt:

a. Daß es ſchon zu Johannis Zeiten leider gar
nicht gefehlet habe an ſolchen Leuten unter den
Chriſten, welche eine wahre Erleuchtung und
Erkenntniß vorgegeben, aber in der That nichts
weniger gehabt und erwieſen haben.
b. Daß daher ein ſolches Vorgeben recht luͤgen-
haft geweſen ſey: ſintemal ſie ihr bloß buch-
ſtaͤbliches Wiſſen fuͤr eine wahre Erkenntniß
GOttes ausgegeben haben.
c. Daß es ſolchen Leuten nicht allein an der Gott-
ſeligkeit, ſondern auch an der Wahrheit ſelbſt
der Erkenntniß nach gefehlet habe. Darum
unſer Heyland ſaget, daß die Welt den Geiſt
der Wahrheit nicht empfahen koͤnne Joh. 14,
17. Denn in denen iſt nur allein die Wahr-
heit, welche daraus wiedergeboren ſind und
darinnen, nach dem Johanneiſchen ſtilo,
wandelen, und alſo in einem rechtſchaffnen
Weſen ſtehen. Eph. 4, 21.

4. Dieſen Ort haben wir folgender geſtalt
noch ferner zu appliciren; und zwarerſtlich zur
Lehre:

a. Daß man GOttes Gebote halten koͤnne und
muͤſſe; nemlich alſo, wie es nach dem wahren
Johanneiſchen Sinne zuvor erklaͤret iſt: und
daß man die Frage: ob man GOttes Ge-
bote halten koͤnne,
allerdinge mit Johanne,
und nach Anweiſung faſt unzehlbarer Oerter
der heiligen Schrift, rund heraus mit ja beant-
worten muͤſſe. Da es, dem wahren evan-
geliſchen Verſtande nach, nur ankoͤmmt
auf die wahre Beſchaffenheit deſſen, dem das
halten der Gebote zugeeignet wird, nemlich ei-
nes widergebornen und gerechtfertigten
Chriſten.
Denn iſt er ein ſolcher, ſo hat ſein
halten dieſe dreyfache Eigenſchaft:
α. Es geſchiehet nicht aus Natur-Kraͤften, ſon-
dern aus Gnaden-Kraͤften, wozu er in der
Ordnung der Wiedergeburt gelanget iſt.
β. Es geſchiehet zwar vermoͤge ſolcher Kraͤfte
aufrichtig und rechtſchaffen, aber doch noch
gar unvollkommen; ſintemal Wiederge-
borne und Gerechtfertigte noch taͤglich noͤ-
thig haben zu beten: vergib uns unſere
Schuld!
γ. Es geſchiehet aus bloſſer Schuldigkeit
in danckbarer Aufopferung an GOtt, und
alſo ohne alles Verdienſt; weil das hal-
ten unvollkommen iſt, und dazu nicht aus eig-
nen, ſondern aus goͤttlichen Kraͤften gelei-
ſtet wird, auch der, der es leiſtet, nichts ver-
dienen darf, da ihm, als einem aus lauter
Gnade um Chriſti Willen gerecht gemach-
ten, alles ohne Verdienſt geſchencket iſt und
wird. Und ſolchergeſtalt iſt die Frage: Ob
ein Wiedergeborner Chriſt GOttes
Gebote halten koͤnne?
keine quæſtio
vexata,
welche vielen Schwierigkeiten und
Zweifeln unterworfen waͤre; ſondern gleich-
ſam eine rechte Kinder Frage, welche zu den
erſten catechetiſchen Gruͤnden der Chriſt-
lichen Lehre gehoͤret.
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[659/0661] Cap. 2. v. 3. 4. des erſten Briefes Johannis. Welchen Zuſtand man zu vergleichen pfleget mit einem im vollen Wachsthum ſtehenden Kinde, das da zwar alle Theile eines Men- ſchen an ſich hat, und in Anſehung derſelben ein vollkommner Menſch iſt, aber doch das maͤnnliche Alter mit der rechten Groͤſſe noch nicht erreichet hat. Von dieſer Vollkom- mrnheit der noch Unvollkommenen ſehe man ſonderlich Matth. 5, 48. 1 Cor. 2, 6. c. 14, 20. Eph. 4, 13. Phil. 3, 15. Col. 1, 28. c. 2, 12. c. 3, 14. Hebr. 5, 14. Jac. 1, 4. c. 3, 2. 2. Dieſes Halten der Gebote GOttes iſt nun ein unfehlbares Kennzeichen der wahren Erkenntniß GOttes, ob ſie bey einem rechter Art ſey, oder nicht. Dabey inſonderheit folgendes zu erwegen iſt: a. Der, welcher da ſoll erkannt werden, iſt Chri- ſtus nach ſeiner Perſon, ſeinem Amte und zwiefachen Stande, und alſo mit ihm der Dreyeinige GOTT, auch der gantze Rath GOttes von dem Grunde und von der Ord- nung des Heyls: ſintemal alle dieſe Wahrhei- ten aufs genaueſte mit einander verbunden ſind. b. Die Erkenntniß ſelbſt iſt in der Ordnung wahrer Bekehrung von dem heiligen Geiſte in der Seele gewircket; und alſo nimmt ſie ih- ren Urſprung mit dem geiſtlichen Leben; ſintemal ſo wenig ein geiſtliches Geſicht und Erkennen ohne das geiſtliche Leben ſeyn kan, ſo wenig ſich das leibliche, oder natuͤrliche Se- hen bey einem leiblicher Weiſe todten befin- det. Und alſo koͤmmt es bey der mit dem geiſt- lichen Leben entſtehenden wahren Erkenntniß eigentlich auf den Glauben an; als welcher ſeiner weſentlichen Eigenſchaft nach in der Seele beydes iſt, ein geiſtliches Leben und ein geiſtliches Licht. c. Das Kennzeichen einer ſolchen glaͤubigen Erkenntniß iſt nun das Halten der Gebote GOttes. Denn da die wahre Erkenntniß Glaubens-voll, ja der Glaube ſelbſt iſt; der Glaube aber durch die Liebe ſich thaͤtig erwei- ſet Eph. 5, 6. und in der Liebe alle Gebote der erſten und andern Tafel zuſammenflieſſen: ſo ſiehet man die Verbindung wohl, in welcher die Erkenntniß mit dem halten der Gebote GOttes ſtehet. Es machet demnach der Apo- ſtel einen Schluß ab effectu ad Cauſſam, a proprio ad rei formam, das iſt von dem, was von einer Sache unzertrennlich iſt und wodurch ſie ſich nach ihrem lebhaften, Weſen wirckſam erweiſet, auf die Sache ſelbſt. Und iſt es eine ſolche argumentation, als ſag- te man, daran erkennet man ein wahres Feuer, wenn es brennet und leuchtet; einen guten Baum, wenn er gute Fruͤchte traͤget; ein ge- ſundes Leben, wenn es ſich in der Bewegung und im Wandel alſo erweiſet; ein Waſſer, wenn es befeuchtet u. ſ. w 3. Dieſes Kennzeichens, welches die wahre Erkenntniß im halten der Gebote GOttes habe, Gewißheit bezeuget der Apoſtel damit, wenn er von dem Gegentheile ſpricht: Wer da ſaget, ich kenne ihn, und haͤlt ſeine Gebote nicht, der iſt ein Luͤgner, und in ſolchem iſt kei- ne Wahrheit. Dabey zu mercken iſt: a. Daß es ſchon zu Johannis Zeiten leider gar nicht gefehlet habe an ſolchen Leuten unter den Chriſten, welche eine wahre Erleuchtung und Erkenntniß vorgegeben, aber in der That nichts weniger gehabt und erwieſen haben. b. Daß daher ein ſolches Vorgeben recht luͤgen- haft geweſen ſey: ſintemal ſie ihr bloß buch- ſtaͤbliches Wiſſen fuͤr eine wahre Erkenntniß GOttes ausgegeben haben. c. Daß es ſolchen Leuten nicht allein an der Gott- ſeligkeit, ſondern auch an der Wahrheit ſelbſt der Erkenntniß nach gefehlet habe. Darum unſer Heyland ſaget, daß die Welt den Geiſt der Wahrheit nicht empfahen koͤnne Joh. 14, 17. Denn in denen iſt nur allein die Wahr- heit, welche daraus wiedergeboren ſind und darinnen, nach dem Johanneiſchen ſtilo, wandelen, und alſo in einem rechtſchaffnen Weſen ſtehen. Eph. 4, 21. 4. Dieſen Ort haben wir folgender geſtalt noch ferner zu appliciren; und zwarerſtlich zur Lehre: a. Daß man GOttes Gebote halten koͤnne und muͤſſe; nemlich alſo, wie es nach dem wahren Johanneiſchen Sinne zuvor erklaͤret iſt: und daß man die Frage: ob man GOttes Ge- bote halten koͤnne, allerdinge mit Johanne, und nach Anweiſung faſt unzehlbarer Oerter der heiligen Schrift, rund heraus mit ja beant- worten muͤſſe. Da es, dem wahren evan- geliſchen Verſtande nach, nur ankoͤmmt auf die wahre Beſchaffenheit deſſen, dem das halten der Gebote zugeeignet wird, nemlich ei- nes widergebornen und gerechtfertigten Chriſten. Denn iſt er ein ſolcher, ſo hat ſein halten dieſe dreyfache Eigenſchaft: α. Es geſchiehet nicht aus Natur-Kraͤften, ſon- dern aus Gnaden-Kraͤften, wozu er in der Ordnung der Wiedergeburt gelanget iſt. β. Es geſchiehet zwar vermoͤge ſolcher Kraͤfte aufrichtig und rechtſchaffen, aber doch noch gar unvollkommen; ſintemal Wiederge- borne und Gerechtfertigte noch taͤglich noͤ- thig haben zu beten: vergib uns unſere Schuld! γ. Es geſchiehet aus bloſſer Schuldigkeit in danckbarer Aufopferung an GOtt, und alſo ohne alles Verdienſt; weil das hal- ten unvollkommen iſt, und dazu nicht aus eig- nen, ſondern aus goͤttlichen Kraͤften gelei- ſtet wird, auch der, der es leiſtet, nichts ver- dienen darf, da ihm, als einem aus lauter Gnade um Chriſti Willen gerecht gemach- ten, alles ohne Verdienſt geſchencket iſt und wird. Und ſolchergeſtalt iſt die Frage: Ob ein Wiedergeborner Chriſt GOttes Gebote halten koͤnne? keine quæſtio vexata, welche vielen Schwierigkeiten und Zweifeln unterworfen waͤre; ſondern gleich- ſam eine rechte Kinder Frage, welche zu den erſten catechetiſchen Gruͤnden der Chriſt- lichen Lehre gehoͤret. b. Daß die wahre Erkenntniß GOttes allein den Glaͤu- O o o o 2

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Zitationshilfe: Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729, S. 659. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht02_1729/661>, abgerufen am 24.11.2024.