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Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729.

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Cap. 3. v. 16-18. des ersten Briefes Johannis.
[Spaltenumbruch] Christi, in welchem er bey der vollkommenen
Erfüllung des Gesetzes, dadurch er den schul-
digen Abtrag für uns gethan, sich auch endlich
gar in den Tod am Creutze dahin gegeben hat.
Phil. 2, 6. u. f.
b. Das Wörtlein für heißt soviel als an statt.
Denn gleichwie bey dem Levitischen Gottes-
dienste die Opfer gebracht wurden an statt der
Menschen selbst, und Christus dadurch ist vor-
gebildet worden: also hat sich auch Christus
zum Opfer an unsere Stelle dargestellet und
eine ewige Erlösung gefunden. Hebr. 9, 12.
Welche Bedeutung des Wörtleins für Pau-
lus am deutlichsten ausdrücket, wenn er 2 Cor.
5, 15. spricht: Wir halten dafür, daß so
einer für alle gestorben ist, so sind sie al-
le gestorben: und er ist darum für sie alle
gestorben.
u. f.
c. Jn welcher Weite das Wort uns stehe, das
haben wir wie aus der Sache selbst, also auch
aus dem Orte c. 2, 2. zu erkennen, nemlich,
daß dadurch alle Menschen ohne alle Aus-
nahme verstanden werden. Denn gleich wie
diesen Verstand die Sache selbst erfodert;
sintemal alle Menschen gleich elend sind,
Christus aber theils vermögend, theils willig
genug gewesen ist, sie alle zu erlösen: also
wird eben dieses klar bezeuget, wenn es c. 2, 2.
heißt: Er ist die Versöhnung für unsere
Sünde, nicht allein aber für die unsere,
sondern auch für der gantzen Welt.
d. Diese Lassung des Lebens heißt sonst auch
die Erlösung, die Versöhnung, die Genug-
thuung
u. s. w. und sie ist der Grund von der
Rechtfertigung: sintemal, was durch die
Genugthuung erworben ist, durch die Recht-
fertigung den Gläubigen zugerechnet wird,
nach Röm. 3, 24. u. f. 2 Cor. 5, 19. u. f.

4. Bey der Application des Exempels
Christi auf die Gläubigen ist folgendes zu mer-
cken:

a. Es ist ein sehr grosser Unterscheid zwischen der
Lebens-Lassung Christi und seiner Glieder.
Denn da Christi Leiden und Tod seinen Glie-
dern nicht allein zu gute kömmt, sondern
auch verdienstlicher Weise an ihrer statt zur
Versöhnung geschehen ist: so kömmt der Tod
der Glieder Christi für ihre Brüder ihnen nur
auf gewisse Art blos zu gut, und geschiehet in
der treuen Liebe nur blos zu ihrem Dienste,
ohne an ihrer statt für GOtt ein Löse-Geld zu
bringen.
b. Die Brüder, welchen zu gute man sein Leben
zu lassen bereit seyn soll, sind zuvorderst die
gläubigen Glieder Christi; und dabey aber
auch alle übrige Menschen. Denn gleichwie
Christus sein Leben verdienstlicher Weise für
alle ohne Unterscheid gelassen hat: also sollen
seine Glieder auch bereit seyn, allen, welche
ihnen die gütige Hand GOttes vorkommen
lässet, zu Dienste ihr Leben zu lassen.
c. Hier aber entstehet nun die wichtige Frage,
wie das geschehen kan? Unter andern sonder-
lich auf folgende Art:
a. Wenn iemand zur Zeit der grossen Ver-
[Spaltenumbruch] folgung, unter der Verheissung und Hoff-
nung sein Leben zu retten, solte seine Mit-
Christen, welche die Hand GOttes an ei-
nem gewissen Orte vor dem Ungewitter in
Sicherheit hält, verrathen, aber lieber stir-
bet, als dieses thut; zumal da er hat besor-
gen müssen, es möchten manche schwache
darunter seyn, welche sich an seiner Weich-
lichkeit dergestalt stossen würden, daß sie
mit ihrer äussersten Seelen-Gefahr Chri-
stum verleugneten.
b. Wenn einer, da es bey Lebens-Strafe ver-
boten ist, seinen nach dem Worte GOttes
hungrigen und dürstigen Brüdern das Ev-
angelium zu verkündigen, es bey gegebener
Gelegenheit darauf waget, und keine Le-
bens-Gefahr scheuet. Da denn, wenn es
auch nicht wircklich dazu käme, sein gläubi-
ger Entschluß vor GOtt, als die That selbst,
angesehen wird.
g. Wenn iemand den Ungläubigen, und Ab-
göttischen auch Abergläubischen das Evan-
gelium prediget, zwar ohne Verbot, aber
doch gewärtig seyn muß, daß er darüber
um sein Leben kömmt. Wie solches den
Aposteln und Apostolischen Männern viel-
mal begegnet ist. Und wer weiß nicht, in
welcher Gefahr des Lebens der sel. Luthe-
rus
und andere Zeugen der Wahrheit oft
gestanden sind?
d. Wenn ein Christlicher Lehrer bey einer
volckreichen Gemeine und sehr häufigen Ge-
legenheit durch so viele Umstände genöthiget
wird, seinen Leib, sonderlich den schwächli-
chen, mit der Arbeit vor der Zeit zu entkräf-
ten, und sich, da er andern leuchtet, gleich-
sam wie ein Licht selbst zu verzehren.
e. Einen schönen Ort haben wir von dieser Le-
bens-Lassung, doch ohne Bezeichnung der
gewissen Art und Weise, Röm. 16, 3. 4. Da
Paulus vom Aquila und der Priscilla, sei-
nen Gehülfen, saget: Welche haben für
mein Leben ihre Hälse dargegeben, wel-
chen nicht allein ich dancke, sondern auf
alle Gemeinen unter den Heyden.
Sie-
he auch den Ausspruch Pauli von den Ga-
latern c. 4, 15. Jch bin euer Zeuge, daß,
wenn es möglich gewesen wäre, ihr hät-
tet eure Augen ausgerissen und mir ge-
geben.
Es fähret nun hierauf der Apostel
also fort, daß er das Gegentheil an den lieb-
losen Menschen vorstellet.
V. 17. 18.

Wenn aber iemand dieser Welt Gü-
ter hat
(reichlicher, als die Nothdurft erfor-
dert) und siehet seinen Bruder (von dem er
auch nicht angesprochen ist) darben, und
schleußt
(durch Unbarmhertzigkeit) sein Hertz
vor ihm zu
(daß es sich in keinem Wercke der
Liebe thätig erweiset) wie bleibet die Liebe
GOttes bey ihm
(wird er sie dadurch nicht ver-
lieren, wenn er sie gehabt hat? allerdinge.)
Meine Kindlein lasset uns nicht lieben mit
Worten, noch mit der Zungen, sondern mit

der
Cap. 3. v. 16-18. des erſten Briefes Johannis.
[Spaltenumbruch] Chriſti, in welchem er bey der vollkommenen
Erfuͤllung des Geſetzes, dadurch er den ſchul-
digen Abtrag fuͤr uns gethan, ſich auch endlich
gar in den Tod am Creutze dahin gegeben hat.
Phil. 2, 6. u. f.
b. Das Woͤrtlein fuͤr heißt ſoviel als an ſtatt.
Denn gleichwie bey dem Levitiſchen Gottes-
dienſte die Opfer gebracht wurden an ſtatt der
Menſchen ſelbſt, und Chriſtus dadurch iſt vor-
gebildet worden: alſo hat ſich auch Chriſtus
zum Opfer an unſere Stelle dargeſtellet und
eine ewige Erloͤſung gefunden. Hebr. 9, 12.
Welche Bedeutung des Woͤrtleins fuͤr Pau-
lus am deutlichſten ausdruͤcket, wenn er 2 Cor.
5, 15. ſpricht: Wir halten dafuͤr, daß ſo
einer fuͤr alle geſtorben iſt, ſo ſind ſie al-
le geſtorben: und er iſt darum fuͤr ſie alle
geſtorben.
u. f.
c. Jn welcher Weite das Wort uns ſtehe, das
haben wir wie aus der Sache ſelbſt, alſo auch
aus dem Orte c. 2, 2. zu erkennen, nemlich,
daß dadurch alle Menſchen ohne alle Aus-
nahme verſtanden werden. Denn gleich wie
dieſen Verſtand die Sache ſelbſt erfodert;
ſintemal alle Menſchen gleich elend ſind,
Chriſtus aber theils vermoͤgend, theils willig
genug geweſen iſt, ſie alle zu erloͤſen: alſo
wird eben dieſes klar bezeuget, wenn es c. 2, 2.
heißt: Er iſt die Verſoͤhnung fuͤr unſere
Suͤnde, nicht allein aber fuͤr die unſere,
ſondern auch fuͤr der gantzen Welt.
d. Dieſe Laſſung des Lebens heißt ſonſt auch
die Erloͤſung, die Verſoͤhnung, die Genug-
thuung
u. ſ. w. und ſie iſt der Grund von der
Rechtfertigung: ſintemal, was durch die
Genugthuung erworben iſt, durch die Recht-
fertigung den Glaͤubigen zugerechnet wird,
nach Roͤm. 3, 24. u. f. 2 Cor. 5, 19. u. f.

4. Bey der Application des Exempels
Chriſti auf die Glaͤubigen iſt folgendes zu mer-
cken:

a. Es iſt ein ſehr groſſer Unterſcheid zwiſchen der
Lebens-Laſſung Chriſti und ſeiner Glieder.
Denn da Chriſti Leiden und Tod ſeinen Glie-
dern nicht allein zu gute koͤmmt, ſondern
auch verdienſtlicher Weiſe an ihrer ſtatt zur
Verſoͤhnung geſchehen iſt: ſo koͤmmt der Tod
der Glieder Chriſti fuͤr ihre Bruͤder ihnen nur
auf gewiſſe Art blos zu gut, und geſchiehet in
der treuen Liebe nur blos zu ihrem Dienſte,
ohne an ihrer ſtatt fuͤr GOtt ein Loͤſe-Geld zu
bringen.
b. Die Bruͤder, welchen zu gute man ſein Leben
zu laſſen bereit ſeyn ſoll, ſind zuvorderſt die
glaͤubigen Glieder Chriſti; und dabey aber
auch alle uͤbrige Menſchen. Denn gleichwie
Chriſtus ſein Leben verdienſtlicher Weiſe fuͤr
alle ohne Unterſcheid gelaſſen hat: alſo ſollen
ſeine Glieder auch bereit ſeyn, allen, welche
ihnen die guͤtige Hand GOttes vorkommen
laͤſſet, zu Dienſte ihr Leben zu laſſen.
c. Hier aber entſtehet nun die wichtige Frage,
wie das geſchehen kan? Unter andern ſonder-
lich auf folgende Art:
α. Wenn iemand zur Zeit der groſſen Ver-
[Spaltenumbruch] folgung, unter der Verheiſſung und Hoff-
nung ſein Leben zu retten, ſolte ſeine Mit-
Chriſten, welche die Hand GOttes an ei-
nem gewiſſen Orte vor dem Ungewitter in
Sicherheit haͤlt, verrathen, aber lieber ſtir-
bet, als dieſes thut; zumal da er hat beſor-
gen muͤſſen, es moͤchten manche ſchwache
darunter ſeyn, welche ſich an ſeiner Weich-
lichkeit dergeſtalt ſtoſſen wuͤrden, daß ſie
mit ihrer aͤuſſerſten Seelen-Gefahr Chri-
ſtum verleugneten.
β. Wenn einer, da es bey Lebens-Strafe ver-
boten iſt, ſeinen nach dem Worte GOttes
hungrigen und duͤrſtigen Bruͤdern das Ev-
angelium zu verkuͤndigen, es bey gegebener
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bens-Gefahr ſcheuet. Da denn, wenn es
auch nicht wircklich dazu kaͤme, ſein glaͤubi-
ger Entſchluß vor GOtt, als die That ſelbſt,
angeſehen wird.
γ. Wenn iemand den Unglaͤubigen, und Ab-
goͤttiſchen auch Aberglaͤubiſchen das Evan-
gelium prediget, zwar ohne Verbot, aber
doch gewaͤrtig ſeyn muß, daß er daruͤber
um ſein Leben koͤmmt. Wie ſolches den
Apoſteln und Apoſtoliſchen Maͤnnern viel-
mal begegnet iſt. Und wer weiß nicht, in
welcher Gefahr des Lebens der ſel. Luthe-
rus
und andere Zeugen der Wahrheit oft
geſtanden ſind?
δ. Wenn ein Chriſtlicher Lehrer bey einer
volckreichen Gemeine und ſehr haͤufigen Ge-
legenheit durch ſo viele Umſtaͤnde genoͤthiget
wird, ſeinen Leib, ſonderlich den ſchwaͤchli-
chen, mit der Arbeit vor der Zeit zu entkraͤf-
ten, und ſich, da er andern leuchtet, gleich-
ſam wie ein Licht ſelbſt zu verzehren.
ε. Einen ſchoͤnen Ort haben wir von dieſer Le-
bens-Laſſung, doch ohne Bezeichnung der
gewiſſen Art und Weiſe, Roͤm. 16, 3. 4. Da
Paulus vom Aquila und der Priſcilla, ſei-
nen Gehuͤlfen, ſaget: Welche haben fuͤr
mein Leben ihre Haͤlſe dargegeben, wel-
chen nicht allein ich dancke, ſondern auf
alle Gemeinen unter den Heyden.
Sie-
he auch den Ausſpruch Pauli von den Ga-
latern c. 4, 15. Jch bin euer Zeuge, daß,
wenn es moͤglich geweſen waͤre, ihr haͤt-
tet eure Augen ausgeriſſen und mir ge-
geben.
Es faͤhret nun hierauf der Apoſtel
alſo fort, daß er das Gegentheil an den lieb-
loſen Menſchen vorſtellet.
V. 17. 18.

Wenn aber iemand dieſer Welt Guͤ-
ter hat
(reichlicher, als die Nothdurft erfor-
dert) und ſiehet ſeinen Bruder (von dem er
auch nicht angeſprochen iſt) darben, und
ſchleußt
(durch Unbarmhertzigkeit) ſein Hertz
vor ihm zu
(daß es ſich in keinem Wercke der
Liebe thaͤtig erweiſet) wie bleibet die Liebe
GOttes bey ihm
(wird er ſie dadurch nicht ver-
lieren, wenn er ſie gehabt hat? allerdinge.)
Meine Kindlein laſſet uns nicht lieben mit
Worten, noch mit der Zungen, ſondern mit

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[695/0697] Cap. 3. v. 16-18. des erſten Briefes Johannis. Chriſti, in welchem er bey der vollkommenen Erfuͤllung des Geſetzes, dadurch er den ſchul- digen Abtrag fuͤr uns gethan, ſich auch endlich gar in den Tod am Creutze dahin gegeben hat. Phil. 2, 6. u. f. b. Das Woͤrtlein fuͤr heißt ſoviel als an ſtatt. Denn gleichwie bey dem Levitiſchen Gottes- dienſte die Opfer gebracht wurden an ſtatt der Menſchen ſelbſt, und Chriſtus dadurch iſt vor- gebildet worden: alſo hat ſich auch Chriſtus zum Opfer an unſere Stelle dargeſtellet und eine ewige Erloͤſung gefunden. Hebr. 9, 12. Welche Bedeutung des Woͤrtleins fuͤr Pau- lus am deutlichſten ausdruͤcket, wenn er 2 Cor. 5, 15. ſpricht: Wir halten dafuͤr, daß ſo einer fuͤr alle geſtorben iſt, ſo ſind ſie al- le geſtorben: und er iſt darum fuͤr ſie alle geſtorben. u. f. c. Jn welcher Weite das Wort uns ſtehe, das haben wir wie aus der Sache ſelbſt, alſo auch aus dem Orte c. 2, 2. zu erkennen, nemlich, daß dadurch alle Menſchen ohne alle Aus- nahme verſtanden werden. Denn gleich wie dieſen Verſtand die Sache ſelbſt erfodert; ſintemal alle Menſchen gleich elend ſind, Chriſtus aber theils vermoͤgend, theils willig genug geweſen iſt, ſie alle zu erloͤſen: alſo wird eben dieſes klar bezeuget, wenn es c. 2, 2. heißt: Er iſt die Verſoͤhnung fuͤr unſere Suͤnde, nicht allein aber fuͤr die unſere, ſondern auch fuͤr der gantzen Welt. d. Dieſe Laſſung des Lebens heißt ſonſt auch die Erloͤſung, die Verſoͤhnung, die Genug- thuung u. ſ. w. und ſie iſt der Grund von der Rechtfertigung: ſintemal, was durch die Genugthuung erworben iſt, durch die Recht- fertigung den Glaͤubigen zugerechnet wird, nach Roͤm. 3, 24. u. f. 2 Cor. 5, 19. u. f. 4. Bey der Application des Exempels Chriſti auf die Glaͤubigen iſt folgendes zu mer- cken: a. Es iſt ein ſehr groſſer Unterſcheid zwiſchen der Lebens-Laſſung Chriſti und ſeiner Glieder. Denn da Chriſti Leiden und Tod ſeinen Glie- dern nicht allein zu gute koͤmmt, ſondern auch verdienſtlicher Weiſe an ihrer ſtatt zur Verſoͤhnung geſchehen iſt: ſo koͤmmt der Tod der Glieder Chriſti fuͤr ihre Bruͤder ihnen nur auf gewiſſe Art blos zu gut, und geſchiehet in der treuen Liebe nur blos zu ihrem Dienſte, ohne an ihrer ſtatt fuͤr GOtt ein Loͤſe-Geld zu bringen. b. Die Bruͤder, welchen zu gute man ſein Leben zu laſſen bereit ſeyn ſoll, ſind zuvorderſt die glaͤubigen Glieder Chriſti; und dabey aber auch alle uͤbrige Menſchen. Denn gleichwie Chriſtus ſein Leben verdienſtlicher Weiſe fuͤr alle ohne Unterſcheid gelaſſen hat: alſo ſollen ſeine Glieder auch bereit ſeyn, allen, welche ihnen die guͤtige Hand GOttes vorkommen laͤſſet, zu Dienſte ihr Leben zu laſſen. c. Hier aber entſtehet nun die wichtige Frage, wie das geſchehen kan? Unter andern ſonder- lich auf folgende Art: α. Wenn iemand zur Zeit der groſſen Ver- folgung, unter der Verheiſſung und Hoff- nung ſein Leben zu retten, ſolte ſeine Mit- Chriſten, welche die Hand GOttes an ei- nem gewiſſen Orte vor dem Ungewitter in Sicherheit haͤlt, verrathen, aber lieber ſtir- bet, als dieſes thut; zumal da er hat beſor- gen muͤſſen, es moͤchten manche ſchwache darunter ſeyn, welche ſich an ſeiner Weich- lichkeit dergeſtalt ſtoſſen wuͤrden, daß ſie mit ihrer aͤuſſerſten Seelen-Gefahr Chri- ſtum verleugneten. β. Wenn einer, da es bey Lebens-Strafe ver- boten iſt, ſeinen nach dem Worte GOttes hungrigen und duͤrſtigen Bruͤdern das Ev- angelium zu verkuͤndigen, es bey gegebener Gelegenheit darauf waget, und keine Le- bens-Gefahr ſcheuet. Da denn, wenn es auch nicht wircklich dazu kaͤme, ſein glaͤubi- ger Entſchluß vor GOtt, als die That ſelbſt, angeſehen wird. γ. Wenn iemand den Unglaͤubigen, und Ab- goͤttiſchen auch Aberglaͤubiſchen das Evan- gelium prediget, zwar ohne Verbot, aber doch gewaͤrtig ſeyn muß, daß er daruͤber um ſein Leben koͤmmt. Wie ſolches den Apoſteln und Apoſtoliſchen Maͤnnern viel- mal begegnet iſt. Und wer weiß nicht, in welcher Gefahr des Lebens der ſel. Luthe- rus und andere Zeugen der Wahrheit oft geſtanden ſind? δ. Wenn ein Chriſtlicher Lehrer bey einer volckreichen Gemeine und ſehr haͤufigen Ge- legenheit durch ſo viele Umſtaͤnde genoͤthiget wird, ſeinen Leib, ſonderlich den ſchwaͤchli- chen, mit der Arbeit vor der Zeit zu entkraͤf- ten, und ſich, da er andern leuchtet, gleich- ſam wie ein Licht ſelbſt zu verzehren. ε. Einen ſchoͤnen Ort haben wir von dieſer Le- bens-Laſſung, doch ohne Bezeichnung der gewiſſen Art und Weiſe, Roͤm. 16, 3. 4. Da Paulus vom Aquila und der Priſcilla, ſei- nen Gehuͤlfen, ſaget: Welche haben fuͤr mein Leben ihre Haͤlſe dargegeben, wel- chen nicht allein ich dancke, ſondern auf alle Gemeinen unter den Heyden. Sie- he auch den Ausſpruch Pauli von den Ga- latern c. 4, 15. Jch bin euer Zeuge, daß, wenn es moͤglich geweſen waͤre, ihr haͤt- tet eure Augen ausgeriſſen und mir ge- geben. Es faͤhret nun hierauf der Apoſtel alſo fort, daß er das Gegentheil an den lieb- loſen Menſchen vorſtellet. V. 17. 18. Wenn aber iemand dieſer Welt Guͤ- ter hat (reichlicher, als die Nothdurft erfor- dert) und ſiehet ſeinen Bruder (von dem er auch nicht angeſprochen iſt) darben, und ſchleußt (durch Unbarmhertzigkeit) ſein Hertz vor ihm zu (daß es ſich in keinem Wercke der Liebe thaͤtig erweiſet) wie bleibet die Liebe GOttes bey ihm (wird er ſie dadurch nicht ver- lieren, wenn er ſie gehabt hat? allerdinge.) Meine Kindlein laſſet uns nicht lieben mit Worten, noch mit der Zungen, ſondern mit der

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Zitationshilfe: Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729, S. 695. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht02_1729/697>, abgerufen am 24.11.2024.