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Lange, Helene: Die höhere Mädchenschule und ihre Bestimmung. Berlin, 1887.

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Familie eine wirkliche Stütze werden. Dazu bedarf es
allerdings eines vollständigen Systemwechsels. An die
An die Stelle des bis-
herigen Princips des Ab-
schließens und Fertig-
machens muß das der
Kraftbildung treten.
Stelle des Princips des Abschließens und Fertig-
machens
hat das Princip der Kraftbildung zu
treten. Anstatt die Mädchen zu lehren, was man
glaubt
und sie sprechen zu lehren über das, was
man weiß
, soll die Schule die großen menschlichen An-
lagen
und Kräfte entwickeln, die Kraft des Glaubens
und der Menschenliebe ebensowohl wie die intellektuellen
Fähigkeiten; sie soll endlich einmal Ernst machen mit der
Erfüllung der Forderungen Pestalozzis, dessen Namen man
in Deutschland zwar mit derselben Ehrfurcht ausspricht,
wie den Klopstocks, dessen Werke aber eben so wenig ge-
lesen und dessen Forderungen nicht erfüllt werden, am
wenigsten die der Kraftentwicklung
,während der
Schematismus der Jungherbartianier zu einer Macht heran-
zuwachsen droht, die sich einmal lähmend auf unser Schul-
wesen legen kann.

Es giebt nun zwar keine Kraftentwicklung als an
positivem Stoff, das wissen wir sehr wohl; es ist aber ein
Unterschied, ob dieser in Masse zur Memorierübung oder
in weiser Beschränkung1) zur Schulung des Verstandes,
zur sittlichen Bildung und zur Ausgestaltung des geistigen
Horizonts verwandt wird. Die Schule ist nicht imstande
den Mädchen alle die positiven Kenntnisse mit ins Leben
zu geben, die als Grundlage ihrer späteren Bildung nötig
sind; sie ist nicht imstande, ihnen das Geistesleben der

1) Wir sagen, weise Beschränkung; eine Beschränkung, wie sie der
Berliner Normallehrplan will, der den Unterricht in der Geschichte erst
im 12ten Lebensjahre beginnen läßt, erscheint uns durchaus unweise; sie
zeigt zugleich, wie sehr man erwartet, und leider auch erwarten muß, daß
die Stoffe nur als Memorierstoffe behandelt werden und danach über
ihre Einführung entscheidet. Als Memorierstoff mag die Einführung der
Geschichte mit dem 9. oder 10. Jahre verfrüht erscheinen, als Stoff, an
dem man mit geringen Ansprüchen an das Gedächtnis Kraft und Inter-
esse bildet, gewiß nicht.

Familie eine wirkliche Stütze werden. Dazu bedarf es
allerdings eines vollständigen Systemwechsels. An die
An die Stelle des bis-
herigen Princips des Ab-
schließens und Fertig-
machens muß das der
Kraftbildung treten.
Stelle des Princips des Abschließens und Fertig-
machens
hat das Princip der Kraftbildung zu
treten. Anstatt die Mädchen zu lehren, was man
glaubt
und sie sprechen zu lehren über das, was
man weiß
, soll die Schule die großen menschlichen An-
lagen
und Kräfte entwickeln, die Kraft des Glaubens
und der Menschenliebe ebensowohl wie die intellektuellen
Fähigkeiten; sie soll endlich einmal Ernst machen mit der
Erfüllung der Forderungen Pestalozzis, dessen Namen man
in Deutschland zwar mit derselben Ehrfurcht ausspricht,
wie den Klopstocks, dessen Werke aber eben so wenig ge-
lesen und dessen Forderungen nicht erfüllt werden, am
wenigsten die der Kraftentwicklung
,während der
Schematismus der Jungherbartianier zu einer Macht heran-
zuwachsen droht, die sich einmal lähmend auf unser Schul-
wesen legen kann.

Es giebt nun zwar keine Kraftentwicklung als an
positivem Stoff, das wissen wir sehr wohl; es ist aber ein
Unterschied, ob dieser in Masse zur Memorierübung oder
in weiser Beschränkung1) zur Schulung des Verstandes,
zur sittlichen Bildung und zur Ausgestaltung des geistigen
Horizonts verwandt wird. Die Schule ist nicht imstande
den Mädchen alle die positiven Kenntnisse mit ins Leben
zu geben, die als Grundlage ihrer späteren Bildung nötig
sind; sie ist nicht imstande, ihnen das Geistesleben der

1) Wir sagen, weise Beschränkung; eine Beschränkung, wie sie der
Berliner Normallehrplan will, der den Unterricht in der Geschichte erst
im 12ten Lebensjahre beginnen läßt, erscheint uns durchaus unweise; sie
zeigt zugleich, wie sehr man erwartet, und leider auch erwarten muß, daß
die Stoffe nur als Memorierstoffe behandelt werden und danach über
ihre Einführung entscheidet. Als Memorierstoff mag die Einführung der
Geschichte mit dem 9. oder 10. Jahre verfrüht erscheinen, als Stoff, an
dem man mit geringen Ansprüchen an das Gedächtnis Kraft und Inter-
esse bildet, gewiß nicht.
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[22/0023] Familie eine wirkliche Stütze werden. Dazu bedarf es allerdings eines vollständigen Systemwechsels. An die Stelle des Princips des Abschließens und Fertig- machens hat das Princip der Kraftbildung zu treten. Anstatt die Mädchen zu lehren, was man glaubt und sie sprechen zu lehren über das, was man weiß, soll die Schule die großen menschlichen An- lagen und Kräfte entwickeln, die Kraft des Glaubens und der Menschenliebe ebensowohl wie die intellektuellen Fähigkeiten; sie soll endlich einmal Ernst machen mit der Erfüllung der Forderungen Pestalozzis, dessen Namen man in Deutschland zwar mit derselben Ehrfurcht ausspricht, wie den Klopstocks, dessen Werke aber eben so wenig ge- lesen und dessen Forderungen nicht erfüllt werden, am wenigsten die der Kraftentwicklung,während der Schematismus der Jungherbartianier zu einer Macht heran- zuwachsen droht, die sich einmal lähmend auf unser Schul- wesen legen kann. An die Stelle des bis- herigen Princips des Ab- schließens und Fertig- machens muß das der Kraftbildung treten. Es giebt nun zwar keine Kraftentwicklung als an positivem Stoff, das wissen wir sehr wohl; es ist aber ein Unterschied, ob dieser in Masse zur Memorierübung oder in weiser Beschränkung 1) zur Schulung des Verstandes, zur sittlichen Bildung und zur Ausgestaltung des geistigen Horizonts verwandt wird. Die Schule ist nicht imstande den Mädchen alle die positiven Kenntnisse mit ins Leben zu geben, die als Grundlage ihrer späteren Bildung nötig sind; sie ist nicht imstande, ihnen das Geistesleben der 1) Wir sagen, weise Beschränkung; eine Beschränkung, wie sie der Berliner Normallehrplan will, der den Unterricht in der Geschichte erst im 12ten Lebensjahre beginnen läßt, erscheint uns durchaus unweise; sie zeigt zugleich, wie sehr man erwartet, und leider auch erwarten muß, daß die Stoffe nur als Memorierstoffe behandelt werden und danach über ihre Einführung entscheidet. Als Memorierstoff mag die Einführung der Geschichte mit dem 9. oder 10. Jahre verfrüht erscheinen, als Stoff, an dem man mit geringen Ansprüchen an das Gedächtnis Kraft und Inter- esse bildet, gewiß nicht.

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Zitationshilfe: Lange, Helene: Die höhere Mädchenschule und ihre Bestimmung. Berlin, 1887, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_maedchenschule_1887/23>, abgerufen am 30.04.2024.