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Lange, Helene: Die höhere Mädchenschule und ihre Bestimmung. Berlin, 1887.

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Solches Wissen kann eine Lehrerin sich heute nur bei be-
sonderer Begabung und auf unzähligen Umwegen erwerben;
Anleitung dazu, wie sie dem studierenden Mann geboten
wird, und wie sie gerade ihr bei ihrer Ungeübtheit dringend
nötig wäre, findet sie nirgends. Darum, und nur
darum, nicht aus Mangel ursprünglicher Anlage, nicht
aus einer von der Natur gegebenen Beschränktheit, sind
die meisten unserer heutigen Lehrerinnen einer tiefgreifenden
erziehlichen Einwirkung auf der Oberstufe unfähig. Wo
sie hier überhaupt beschäftigt sind, lehren sie wohl, so
gut sie es verstehen, zu gestalten aber, erziehend zu
bilden
vermag ihr Unterricht nicht. Hier liegt der schwere
Schaden unserer Mädchenschulen. Der Mann, weil er
eben Mann ist, kann ihm beim besten Willen nicht ab-
helfen, und den Lehrerinnen fehlt die tüchtige Durchbildung.
Schafft uns bessere Lehrerinnen, und wir werden bessere
Mütter und durch diese bessere Menschen haben.

Man sieht, wir schonen uns nicht und beschönigen
nichts. So wie die Sachen liegen, haben die Männer
ganz recht, wenn sie die Mädchenschulen nicht aus der
Hand geben wollen, denn so wie wir sind, dürfen wir sie
gewissenhafter Weise nicht übernehmen. Nicht das also
machen wir ihnen zum Vorwurf, wohl aber, daß sie aus
Egoismus und Brotneid, oder aus Überhebung nicht sehen
oder nicht sehen wollen, daß sie ohne uns gar nicht
fertig werden können, daß sie ohne weiblichen Einfluß
nie Frauen erziehen werden, daß sie daher alles daran
setzen müssen, Frauen zur Mädchenerziehung und zum
Mädchenunterricht fähig zu machen.

Denn nicht an uns liegt die Schuld. Wir haben esDieser Mangel an ver-
tiefter Bildung ist nicht
Schuld der Frauen, son-
dern der Männer, die
ihnen die Mittel dazu verweigern.

längst eingesehen, daß die heutige Art der Vorbildung
nicht genügt. Aber in der Hand der Männer liegt die
Gewalt; sie allein können den halben Zuständen ab-
helfen, die überall auf dem Gebiet der Mädchen- und
der Lehrerinnenbildung herrschen, über die sie spotten, oft
unbarmherzig und höhnisch spotten, und die sie doch

Solches Wissen kann eine Lehrerin sich heute nur bei be-
sonderer Begabung und auf unzähligen Umwegen erwerben;
Anleitung dazu, wie sie dem studierenden Mann geboten
wird, und wie sie gerade ihr bei ihrer Ungeübtheit dringend
nötig wäre, findet sie nirgends. Darum, und nur
darum, nicht aus Mangel ursprünglicher Anlage, nicht
aus einer von der Natur gegebenen Beschränktheit, sind
die meisten unserer heutigen Lehrerinnen einer tiefgreifenden
erziehlichen Einwirkung auf der Oberstufe unfähig. Wo
sie hier überhaupt beschäftigt sind, lehren sie wohl, so
gut sie es verstehen, zu gestalten aber, erziehend zu
bilden
vermag ihr Unterricht nicht. Hier liegt der schwere
Schaden unserer Mädchenschulen. Der Mann, weil er
eben Mann ist, kann ihm beim besten Willen nicht ab-
helfen, und den Lehrerinnen fehlt die tüchtige Durchbildung.
Schafft uns bessere Lehrerinnen, und wir werden bessere
Mütter und durch diese bessere Menschen haben.

Man sieht, wir schonen uns nicht und beschönigen
nichts. So wie die Sachen liegen, haben die Männer
ganz recht, wenn sie die Mädchenschulen nicht aus der
Hand geben wollen, denn so wie wir sind, dürfen wir sie
gewissenhafter Weise nicht übernehmen. Nicht das also
machen wir ihnen zum Vorwurf, wohl aber, daß sie aus
Egoismus und Brotneid, oder aus Überhebung nicht sehen
oder nicht sehen wollen, daß sie ohne uns gar nicht
fertig werden können, daß sie ohne weiblichen Einfluß
nie Frauen erziehen werden, daß sie daher alles daran
setzen müssen, Frauen zur Mädchenerziehung und zum
Mädchenunterricht fähig zu machen.

Denn nicht an uns liegt die Schuld. Wir haben esDieser Mangel an ver-
tiefter Bildung ist nicht
Schuld der Frauen, son-
dern der Männer, die
ihnen die Mittel dazu verweigern.

längst eingesehen, daß die heutige Art der Vorbildung
nicht genügt. Aber in der Hand der Männer liegt die
Gewalt; sie allein können den halben Zuständen ab-
helfen, die überall auf dem Gebiet der Mädchen- und
der Lehrerinnenbildung herrschen, über die sie spotten, oft
unbarmherzig und höhnisch spotten, und die sie doch

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[43/0044] Solches Wissen kann eine Lehrerin sich heute nur bei be- sonderer Begabung und auf unzähligen Umwegen erwerben; Anleitung dazu, wie sie dem studierenden Mann geboten wird, und wie sie gerade ihr bei ihrer Ungeübtheit dringend nötig wäre, findet sie nirgends. Darum, und nur darum, nicht aus Mangel ursprünglicher Anlage, nicht aus einer von der Natur gegebenen Beschränktheit, sind die meisten unserer heutigen Lehrerinnen einer tiefgreifenden erziehlichen Einwirkung auf der Oberstufe unfähig. Wo sie hier überhaupt beschäftigt sind, lehren sie wohl, so gut sie es verstehen, zu gestalten aber, erziehend zu bilden vermag ihr Unterricht nicht. Hier liegt der schwere Schaden unserer Mädchenschulen. Der Mann, weil er eben Mann ist, kann ihm beim besten Willen nicht ab- helfen, und den Lehrerinnen fehlt die tüchtige Durchbildung. Schafft uns bessere Lehrerinnen, und wir werden bessere Mütter und durch diese bessere Menschen haben. Man sieht, wir schonen uns nicht und beschönigen nichts. So wie die Sachen liegen, haben die Männer ganz recht, wenn sie die Mädchenschulen nicht aus der Hand geben wollen, denn so wie wir sind, dürfen wir sie gewissenhafter Weise nicht übernehmen. Nicht das also machen wir ihnen zum Vorwurf, wohl aber, daß sie aus Egoismus und Brotneid, oder aus Überhebung nicht sehen oder nicht sehen wollen, daß sie ohne uns gar nicht fertig werden können, daß sie ohne weiblichen Einfluß nie Frauen erziehen werden, daß sie daher alles daran setzen müssen, Frauen zur Mädchenerziehung und zum Mädchenunterricht fähig zu machen. Denn nicht an uns liegt die Schuld. Wir haben es längst eingesehen, daß die heutige Art der Vorbildung nicht genügt. Aber in der Hand der Männer liegt die Gewalt; sie allein können den halben Zuständen ab- helfen, die überall auf dem Gebiet der Mädchen- und der Lehrerinnenbildung herrschen, über die sie spotten, oft unbarmherzig und höhnisch spotten, und die sie doch Dieser Mangel an ver- tiefter Bildung ist nicht Schuld der Frauen, son- dern der Männer, die ihnen die Mittel dazu verweigern.

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Zitationshilfe: Lange, Helene: Die höhere Mädchenschule und ihre Bestimmung. Berlin, 1887, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_maedchenschule_1887/44>, abgerufen am 30.04.2024.