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Langemann, Ludwig: Das Frauenstimmrecht und seine Bekämpfung. Berlin, [1913] (= Schriften des Deutschen Bundes zur Bekämpfung der Frauenemanzipation, Bd. 4).

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stiftenden Suffragetten ein plötzliches Ende bereitet. Sie nötigen
durch den Hungerstreik den Staat, ihre Schandtaten ungestraft
zu lassen und zwingen ihn, der sie so lange zum besten hatte, zur
wohlverdienten und, wie ich glaube, unabwendbaren Kapitulation.
Ein höchst widerwärtiger Abschluß eines unwürdigen Spiels,
dessen Wiederholung in etwas rascherem Verlauf auch in den
nordischen Staaten in ähnlicher Weise zu beobachten ist. Zum
Schluß pflegt man dann aus der Not eine Tugend zu machen.
Wie man hört, ist man in den nordischen Ländern schon soweit
gediehen, daß manche konservativen Redner im Parlament keine
wichtigere Aufgabe kennen, als sich von dem "schrecklichen" Ver-
dachte zu reinigen, daß sie früher Gegner des Frauenstimmrechts
gewesen seien.

Und nun die Moral dieser Geschichte! - Wir in Deutsch-
land erleben - darüber wollen wir uns doch nicht hinwegtäuschen
- einen ganz ähnlichen Entwicklungsgang wie die Engländer
und die Nordstaaten. - Selbst bei der internationalen Sozial-
demokratie hat es recht lange gedauert, bis der männliche
Jnstinkt und die gesunde Vernunft der Parteidoktrin von
der allgemeinen Gleichheit, der Parteileidenschaft und dem
Hunger nach politischer Macht erlagen. Jn einer ganzen Reihe
von Ländern, in Belgien, Holland, England, Norwegen, Oester-
reich-Ungarn haben die Sozialisten früher gegen die Ausdehnung
des allgemeinen Wahlrechts auf das weibliche Geschlecht ge-
stimmt. Von der Sozialdemokratie griff die feministische Er-
krankung über auf die bürgerlichen Parteien, die genau wie in
England auf die weibliche Hilfe bei den Wahlen eifersüchtig
wurden. Damals bildete sich zuerst bei der demokratischen Ver-
einigung und später bei der fortschrittlichen Volkspartei die neue
sozialdemokratische Abart des Liberalismus aus, die ein Eugen
Richter noch nicht kannte, die sich aber jetzt auf dem Mann-
heimer Parteitage von 1912 als der rechte Bruder der radikalen
Frauenbewegung erkannt hat und das arme bis dahin ver-
stoßene Schwesterchen Frauenbewegung nun in das Vaterhaus
aufnimmt. Man spricht einfach einem jeden Liberalen von
seiten der Frauenbewegung den Liberalismus so lange ab, bis er
sich zum Frauenstimmrecht bekannt hat. - Diese Methode, die
einmal von einer Frauenrechtlerin sehr passend die "Häkel-
methode" genannt wurde, hat sich bei Sozialdemokraten und
Fortschrittsleuten ausgezeichnet bewährt und wird augenblicklich
bei den Nationalliberalen ausprobiert. - Als atavistische Reste
dieser Entwicklung der Parteileitung der Fortschrittspartei stehen
einige veraltete zurückgebliebene Demokraten wie Conrad Haus-

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stiftenden Suffragetten ein plötzliches Ende bereitet. Sie nötigen
durch den Hungerstreik den Staat, ihre Schandtaten ungestraft
zu lassen und zwingen ihn, der sie so lange zum besten hatte, zur
wohlverdienten und, wie ich glaube, unabwendbaren Kapitulation.
Ein höchst widerwärtiger Abschluß eines unwürdigen Spiels,
dessen Wiederholung in etwas rascherem Verlauf auch in den
nordischen Staaten in ähnlicher Weise zu beobachten ist. Zum
Schluß pflegt man dann aus der Not eine Tugend zu machen.
Wie man hört, ist man in den nordischen Ländern schon soweit
gediehen, daß manche konservativen Redner im Parlament keine
wichtigere Aufgabe kennen, als sich von dem „schrecklichen“ Ver-
dachte zu reinigen, daß sie früher Gegner des Frauenstimmrechts
gewesen seien.

Und nun die Moral dieser Geschichte! – Wir in Deutsch-
land erleben – darüber wollen wir uns doch nicht hinwegtäuschen
– einen ganz ähnlichen Entwicklungsgang wie die Engländer
und die Nordstaaten. – Selbst bei der internationalen Sozial-
demokratie hat es recht lange gedauert, bis der männliche
Jnstinkt und die gesunde Vernunft der Parteidoktrin von
der allgemeinen Gleichheit, der Parteileidenschaft und dem
Hunger nach politischer Macht erlagen. Jn einer ganzen Reihe
von Ländern, in Belgien, Holland, England, Norwegen, Oester-
reich-Ungarn haben die Sozialisten früher gegen die Ausdehnung
des allgemeinen Wahlrechts auf das weibliche Geschlecht ge-
stimmt. Von der Sozialdemokratie griff die feministische Er-
krankung über auf die bürgerlichen Parteien, die genau wie in
England auf die weibliche Hilfe bei den Wahlen eifersüchtig
wurden. Damals bildete sich zuerst bei der demokratischen Ver-
einigung und später bei der fortschrittlichen Volkspartei die neue
sozialdemokratische Abart des Liberalismus aus, die ein Eugen
Richter noch nicht kannte, die sich aber jetzt auf dem Mann-
heimer Parteitage von 1912 als der rechte Bruder der radikalen
Frauenbewegung erkannt hat und das arme bis dahin ver-
stoßene Schwesterchen Frauenbewegung nun in das Vaterhaus
aufnimmt. Man spricht einfach einem jeden Liberalen von
seiten der Frauenbewegung den Liberalismus so lange ab, bis er
sich zum Frauenstimmrecht bekannt hat. – Diese Methode, die
einmal von einer Frauenrechtlerin sehr passend die „Häkel-
methode“ genannt wurde, hat sich bei Sozialdemokraten und
Fortschrittsleuten ausgezeichnet bewährt und wird augenblicklich
bei den Nationalliberalen ausprobiert. – Als atavistische Reste
dieser Entwicklung der Parteileitung der Fortschrittspartei stehen
einige veraltete zurückgebliebene Demokraten wie Conrad Haus-

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Zitationshilfe: Langemann, Ludwig: Das Frauenstimmrecht und seine Bekämpfung. Berlin, [1913] (= Schriften des Deutschen Bundes zur Bekämpfung der Frauenemanzipation, Bd. 4), S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/langemann_frauenstimmrecht_1913/5>, abgerufen am 21.11.2024.