Langemann, Ludwig; Hummel, Helene: Frauenstimmrecht und Frauenemanzipation. Berlin, 1916.Mit dieser Forderung berufen sich die Rechtlerinnen 8*
Mit dieser Forderung berufen sich die Rechtlerinnen 8*
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0121" n="119"/> <p>Mit dieser Forderung berufen sich die Rechtlerinnen<lb/> wieder auf Amerika, wo die Gemeinschaftserziehung zwar<lb/> eingeführt ist, wo sie aber als immer stärker drückende<lb/> Last empfunden und allmählich von Osten nach Westen<lb/> hin – den Weg, den dort alle Kultur geht – wieder<lb/> abgeschafft wird. Amerikaner, die nach Deutschland<lb/> kommen, pflegen erstaunt zu sein, daß man bei uns er-<lb/> strebt, was sich drüben schlecht bewährt hat. Die eigen-<lb/> artigen Verhältnisse, unter denen das amerikanische Volk<lb/> groß geworden ist, bedingten von Anfang an eine andere<lb/> Arbeitsteilung der Geschlechter als bei uns; der Mann<lb/> hatte anfangs über seinem schweres Existenzringen keine<lb/> Zeit zu geistiger Beschäftigung. Geschäft ging ihm über<lb/> Wissen und Bildung. Auch heute noch beenden meist<lb/> die Knaben ihre Schulzeit eher als die Mädchen, was<lb/> naturgemäß eine größere allgemeine Bildung der Frau<lb/> zur Folge haben muß, und zu dem starken Feminismus<lb/> der Vereinigten Staaten geführt hat, unter dem Staat<lb/> und Volk anfangen schwer zu leiden. Diese Gemeinschafts-<lb/> erziehung nun, die ein anderes Volk als ungeeignet abtun<lb/> möchte, fordern die Frauenrechtlerinnen bei uns als not-<lb/> wendige Neuerung. Als Begründung dieser Forderung<lb/> wird der große Nutzen angegeben, der, bei einer Annäherung<lb/> der beiden Geschlechter von frühester Jugend an, der<lb/> kommenden Generation erstehen soll. Die Mädchen<lb/> würden durch den steten Umgang mit Knaben weniger<lb/> zimperlich, die Knaben weniger grob und roh sein. Aber<lb/> schwere pädagogische und sittliche Bedenken sprechen da-<lb/> gegen. Wer jemals Kinder beiderlei Geschlechts hat<lb/> nebeneinander aufwachsen sehen, der weiß, wie bereits in<lb/> <fw place="bottom" type="sig">8*</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [119/0121]
Mit dieser Forderung berufen sich die Rechtlerinnen
wieder auf Amerika, wo die Gemeinschaftserziehung zwar
eingeführt ist, wo sie aber als immer stärker drückende
Last empfunden und allmählich von Osten nach Westen
hin – den Weg, den dort alle Kultur geht – wieder
abgeschafft wird. Amerikaner, die nach Deutschland
kommen, pflegen erstaunt zu sein, daß man bei uns er-
strebt, was sich drüben schlecht bewährt hat. Die eigen-
artigen Verhältnisse, unter denen das amerikanische Volk
groß geworden ist, bedingten von Anfang an eine andere
Arbeitsteilung der Geschlechter als bei uns; der Mann
hatte anfangs über seinem schweres Existenzringen keine
Zeit zu geistiger Beschäftigung. Geschäft ging ihm über
Wissen und Bildung. Auch heute noch beenden meist
die Knaben ihre Schulzeit eher als die Mädchen, was
naturgemäß eine größere allgemeine Bildung der Frau
zur Folge haben muß, und zu dem starken Feminismus
der Vereinigten Staaten geführt hat, unter dem Staat
und Volk anfangen schwer zu leiden. Diese Gemeinschafts-
erziehung nun, die ein anderes Volk als ungeeignet abtun
möchte, fordern die Frauenrechtlerinnen bei uns als not-
wendige Neuerung. Als Begründung dieser Forderung
wird der große Nutzen angegeben, der, bei einer Annäherung
der beiden Geschlechter von frühester Jugend an, der
kommenden Generation erstehen soll. Die Mädchen
würden durch den steten Umgang mit Knaben weniger
zimperlich, die Knaben weniger grob und roh sein. Aber
schwere pädagogische und sittliche Bedenken sprechen da-
gegen. Wer jemals Kinder beiderlei Geschlechts hat
nebeneinander aufwachsen sehen, der weiß, wie bereits in
8*
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(2017-04-13T13:51:38Z)
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