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Langemann, Ludwig; Hummel, Helene: Frauenstimmrecht und Frauenemanzipation. Berlin, 1916.

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Kultur bewähren sie sich in dem Maße mehr, in dem der
Gegenstand ihrer Arbeit schon den Geist dieser Kultur,
d. h. den männlichen, in sich aufgenommen hat und
versagen in dem Maße, in dem Urproduktion verlangt
wird."*) Zu diesen pädagogischen kommen schwere sittliche
Bedenken.

So schreibt Dr. Charles Henning aus Denver in
der "Deutschen Schule" auf Grund eines 15 jährigen
Studiums: "Es ist eine jedem Beobachter amerikanischer
Schulzustände bekannte Tatsache, daß schon in der
Public school jedes "girl" ihren "boy" und jeder "boy"
sein "girl" hat. Kinder von 10 oder 11 Jahren machen
kein Hehl aus ihren "sweet hearts", und diese jugend-
lichen Verliebten geben durch Austausch von Geschenken,
Zuckerzeug und dergleichen ihrer gegenseitigen Zuneigung
beredten Ausdruck. Der "boy" betrachtet es als gent-
lemanlike
, seiner jungen Angebeteten dadurch seine Auf-
merksamkeit zu bezeugen, daß er sie in die in jeder Stadt
massenhaft vorhandenen Wandelbildertheater mitnimmt,
mit ihr tanzt, sie zu Hause besucht u. a. m. Jn den
Highschools finden dann diese Aufmerksamkeiten und
Liebesbezeugungen ihre potenzierte Fortsetzung, und das
in der Public school noch verhältnismäßig harmlose
Tändeln wächst allmählich in Leidenschaft aus. Es
genügt, Gesprächen von jungen Highschool-"boys" und
"girls" in einem Straßenbahnwagen, bei öffentlichen
Gelegenheiten oder auch während der Schulpausen zu-
zuhören, um sich zu überzeugen, daß es sich dabei um
ganz andere Dinge, als um Algebra, Cäsar oder Livius
handelt. Anzüglichkeiten unzweifelhafter Natur, um nicht

*) Georg Simmel.

Kultur bewähren sie sich in dem Maße mehr, in dem der
Gegenstand ihrer Arbeit schon den Geist dieser Kultur,
d. h. den männlichen, in sich aufgenommen hat und
versagen in dem Maße, in dem Urproduktion verlangt
wird.“*) Zu diesen pädagogischen kommen schwere sittliche
Bedenken.

So schreibt Dr. Charles Henning aus Denver in
der „Deutschen Schule“ auf Grund eines 15 jährigen
Studiums: „Es ist eine jedem Beobachter amerikanischer
Schulzustände bekannte Tatsache, daß schon in der
Public school jedes „girl“ ihren „boy“ und jeder „boy
sein „girl“ hat. Kinder von 10 oder 11 Jahren machen
kein Hehl aus ihren „sweet hearts“, und diese jugend-
lichen Verliebten geben durch Austausch von Geschenken,
Zuckerzeug und dergleichen ihrer gegenseitigen Zuneigung
beredten Ausdruck. Der „boy“ betrachtet es als gent-
lemanlike
, seiner jungen Angebeteten dadurch seine Auf-
merksamkeit zu bezeugen, daß er sie in die in jeder Stadt
massenhaft vorhandenen Wandelbildertheater mitnimmt,
mit ihr tanzt, sie zu Hause besucht u. a. m. Jn den
Highschools finden dann diese Aufmerksamkeiten und
Liebesbezeugungen ihre potenzierte Fortsetzung, und das
in der Public school noch verhältnismäßig harmlose
Tändeln wächst allmählich in Leidenschaft aus. Es
genügt, Gesprächen von jungen Highschool-„boys“ und
girls“ in einem Straßenbahnwagen, bei öffentlichen
Gelegenheiten oder auch während der Schulpausen zu-
zuhören, um sich zu überzeugen, daß es sich dabei um
ganz andere Dinge, als um Algebra, Cäsar oder Livius
handelt. Anzüglichkeiten unzweifelhafter Natur, um nicht

*) Georg Simmel.
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[121/0123] Kultur bewähren sie sich in dem Maße mehr, in dem der Gegenstand ihrer Arbeit schon den Geist dieser Kultur, d. h. den männlichen, in sich aufgenommen hat und versagen in dem Maße, in dem Urproduktion verlangt wird.“ *) Zu diesen pädagogischen kommen schwere sittliche Bedenken. So schreibt Dr. Charles Henning aus Denver in der „Deutschen Schule“ auf Grund eines 15 jährigen Studiums: „Es ist eine jedem Beobachter amerikanischer Schulzustände bekannte Tatsache, daß schon in der Public school jedes „girl“ ihren „boy“ und jeder „boy“ sein „girl“ hat. Kinder von 10 oder 11 Jahren machen kein Hehl aus ihren „sweet hearts“, und diese jugend- lichen Verliebten geben durch Austausch von Geschenken, Zuckerzeug und dergleichen ihrer gegenseitigen Zuneigung beredten Ausdruck. Der „boy“ betrachtet es als gent- lemanlike, seiner jungen Angebeteten dadurch seine Auf- merksamkeit zu bezeugen, daß er sie in die in jeder Stadt massenhaft vorhandenen Wandelbildertheater mitnimmt, mit ihr tanzt, sie zu Hause besucht u. a. m. Jn den Highschools finden dann diese Aufmerksamkeiten und Liebesbezeugungen ihre potenzierte Fortsetzung, und das in der Public school noch verhältnismäßig harmlose Tändeln wächst allmählich in Leidenschaft aus. Es genügt, Gesprächen von jungen Highschool-„boys“ und „girls“ in einem Straßenbahnwagen, bei öffentlichen Gelegenheiten oder auch während der Schulpausen zu- zuhören, um sich zu überzeugen, daß es sich dabei um ganz andere Dinge, als um Algebra, Cäsar oder Livius handelt. Anzüglichkeiten unzweifelhafter Natur, um nicht *) Georg Simmel.

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Zitationshilfe: Langemann, Ludwig; Hummel, Helene: Frauenstimmrecht und Frauenemanzipation. Berlin, 1916, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/langemann_frauenstimmrecht_1916/123>, abgerufen am 23.11.2024.