Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Langemann, Ludwig; Hummel, Helene: Frauenstimmrecht und Frauenemanzipation. Berlin, 1916.

Bild:
<< vorherige Seite

die Gleichstellung mit den Männern ankommt. So tun
sie Assistentendienste in Männerkrankenhäusern und drängen
sich jetzt - da der Ärztemangel im Vaterlande groß ist
- in die Lazarette, am liebsten, wenn es ginge, in
Uniform und mit Offiziersrang!

Jn den mittleren und niederen Volksklassen spielten
seit geraumer Zeit die häuslichen Berufe eine sehr unter-
geordnete Rolle, das mag z. T. in einem berechtigten
Selbstständigkeitsdrang der Mädchen liegen, die der Dienst
in einem Haushalt nicht befriedigt, meistens aber artet dieser
Selbstständigkeitsdrang in den Wunsch nach Freiheit und
Zügellosigkeit aus. Dazu kommt der merkwürdige Ehrgeiz
der Eltern, die es für "feiner" halten, wenn ihre Tochter
ins Geschäft, anstatt in einen Dienst geht. Die Dienst-
botenfrage bedarf sicher einer Reform, auch sie hängt mit
der Frage des Verfalles der Familie zusammen. Wenn
die Töchter einer Familie des Mittelstandes sofort nach
der Schule einen Beruf ergreifen, dann muß die Familie
darunter leiden. Die Hausfrau, die die Arbeit unmöglich
allein leisten kann, wird zuerst einmal die Geselligkeit aus
dem Hause ins Wirtshaus verlegen, man wird anfangen,
sonntags draußen zu essen, und dann sind wir nicht mehr
allzuweit von amerikanischen Zuständen entfernt. Es
werden im Verhalten gegenüber den Dienstmädchen viele
schwerwiegende Fehler von den ungeschulten Hausfrauen
gemacht, die selbst die Arbeiten nie getan haben und deshalb
den Zeit- und Kraftaufwand der Arbeit nicht beurteilen
können, so wird von einem Dienstmädchen mehr verlangt,
als es leisten kann. Dazu kommt das pädagogische Un-
geschick vieler Hausfrauen, das geringe Verantwortlichkeits-

die Gleichstellung mit den Männern ankommt. So tun
sie Assistentendienste in Männerkrankenhäusern und drängen
sich jetzt – da der Ärztemangel im Vaterlande groß ist
– in die Lazarette, am liebsten, wenn es ginge, in
Uniform und mit Offiziersrang!

Jn den mittleren und niederen Volksklassen spielten
seit geraumer Zeit die häuslichen Berufe eine sehr unter-
geordnete Rolle, das mag z. T. in einem berechtigten
Selbstständigkeitsdrang der Mädchen liegen, die der Dienst
in einem Haushalt nicht befriedigt, meistens aber artet dieser
Selbstständigkeitsdrang in den Wunsch nach Freiheit und
Zügellosigkeit aus. Dazu kommt der merkwürdige Ehrgeiz
der Eltern, die es für „feiner“ halten, wenn ihre Tochter
ins Geschäft, anstatt in einen Dienst geht. Die Dienst-
botenfrage bedarf sicher einer Reform, auch sie hängt mit
der Frage des Verfalles der Familie zusammen. Wenn
die Töchter einer Familie des Mittelstandes sofort nach
der Schule einen Beruf ergreifen, dann muß die Familie
darunter leiden. Die Hausfrau, die die Arbeit unmöglich
allein leisten kann, wird zuerst einmal die Geselligkeit aus
dem Hause ins Wirtshaus verlegen, man wird anfangen,
sonntags draußen zu essen, und dann sind wir nicht mehr
allzuweit von amerikanischen Zuständen entfernt. Es
werden im Verhalten gegenüber den Dienstmädchen viele
schwerwiegende Fehler von den ungeschulten Hausfrauen
gemacht, die selbst die Arbeiten nie getan haben und deshalb
den Zeit- und Kraftaufwand der Arbeit nicht beurteilen
können, so wird von einem Dienstmädchen mehr verlangt,
als es leisten kann. Dazu kommt das pädagogische Un-
geschick vieler Hausfrauen, das geringe Verantwortlichkeits-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0139" n="137"/>
die Gleichstellung mit den Männern ankommt. So tun<lb/>
sie Assistentendienste in Männerkrankenhäusern und drängen<lb/>
sich jetzt &#x2013; da der Ärztemangel im Vaterlande groß ist<lb/>
&#x2013; in die Lazarette, am liebsten, wenn es ginge, in<lb/>
Uniform und mit Offiziersrang!</p><lb/>
          <p>Jn den mittleren und niederen Volksklassen spielten<lb/>
seit geraumer Zeit die häuslichen Berufe eine sehr unter-<lb/>
geordnete Rolle, das mag z. T. in einem berechtigten<lb/>
Selbstständigkeitsdrang der Mädchen liegen, die der Dienst<lb/>
in einem Haushalt nicht befriedigt, meistens aber artet dieser<lb/>
Selbstständigkeitsdrang in den Wunsch nach Freiheit und<lb/>
Zügellosigkeit aus. Dazu kommt der merkwürdige Ehrgeiz<lb/>
der Eltern, die es für &#x201E;feiner&#x201C; halten, wenn ihre Tochter<lb/>
ins Geschäft, anstatt in einen Dienst geht. Die Dienst-<lb/>
botenfrage bedarf sicher einer Reform, auch sie hängt mit<lb/>
der Frage des Verfalles der Familie zusammen. Wenn<lb/>
die Töchter einer Familie des Mittelstandes sofort nach<lb/>
der Schule einen Beruf ergreifen, dann muß die Familie<lb/>
darunter leiden. Die Hausfrau, die die Arbeit unmöglich<lb/>
allein leisten kann, wird zuerst einmal die Geselligkeit aus<lb/>
dem Hause ins Wirtshaus verlegen, man wird anfangen,<lb/>
sonntags draußen zu essen, und dann sind wir nicht mehr<lb/>
allzuweit von amerikanischen Zuständen entfernt. Es<lb/>
werden im Verhalten gegenüber den Dienstmädchen viele<lb/>
schwerwiegende Fehler von den <hi rendition="#g">ungeschulten</hi> Hausfrauen<lb/>
gemacht, die selbst die Arbeiten nie getan haben und deshalb<lb/>
den Zeit- und Kraftaufwand der Arbeit nicht beurteilen<lb/>
können, so wird von einem Dienstmädchen mehr verlangt,<lb/>
als es leisten kann. Dazu kommt das pädagogische Un-<lb/>
geschick vieler Hausfrauen, das geringe Verantwortlichkeits-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[137/0139] die Gleichstellung mit den Männern ankommt. So tun sie Assistentendienste in Männerkrankenhäusern und drängen sich jetzt – da der Ärztemangel im Vaterlande groß ist – in die Lazarette, am liebsten, wenn es ginge, in Uniform und mit Offiziersrang! Jn den mittleren und niederen Volksklassen spielten seit geraumer Zeit die häuslichen Berufe eine sehr unter- geordnete Rolle, das mag z. T. in einem berechtigten Selbstständigkeitsdrang der Mädchen liegen, die der Dienst in einem Haushalt nicht befriedigt, meistens aber artet dieser Selbstständigkeitsdrang in den Wunsch nach Freiheit und Zügellosigkeit aus. Dazu kommt der merkwürdige Ehrgeiz der Eltern, die es für „feiner“ halten, wenn ihre Tochter ins Geschäft, anstatt in einen Dienst geht. Die Dienst- botenfrage bedarf sicher einer Reform, auch sie hängt mit der Frage des Verfalles der Familie zusammen. Wenn die Töchter einer Familie des Mittelstandes sofort nach der Schule einen Beruf ergreifen, dann muß die Familie darunter leiden. Die Hausfrau, die die Arbeit unmöglich allein leisten kann, wird zuerst einmal die Geselligkeit aus dem Hause ins Wirtshaus verlegen, man wird anfangen, sonntags draußen zu essen, und dann sind wir nicht mehr allzuweit von amerikanischen Zuständen entfernt. Es werden im Verhalten gegenüber den Dienstmädchen viele schwerwiegende Fehler von den ungeschulten Hausfrauen gemacht, die selbst die Arbeiten nie getan haben und deshalb den Zeit- und Kraftaufwand der Arbeit nicht beurteilen können, so wird von einem Dienstmädchen mehr verlangt, als es leisten kann. Dazu kommt das pädagogische Un- geschick vieler Hausfrauen, das geringe Verantwortlichkeits-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-04-13T13:51:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-04-13T13:51:38Z)

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/langemann_frauenstimmrecht_1916
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/langemann_frauenstimmrecht_1916/139
Zitationshilfe: Langemann, Ludwig; Hummel, Helene: Frauenstimmrecht und Frauenemanzipation. Berlin, 1916, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/langemann_frauenstimmrecht_1916/139>, abgerufen am 23.11.2024.