Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Langemann, Ludwig; Hummel, Helene: Frauenstimmrecht und Frauenemanzipation. Berlin, 1916.

Bild:
<< vorherige Seite

Schichten, und man kann von irgend wie feststehenden
Sitten kaum mehr sprechen. Dazu kommt die Ver-
wirrung der Begriffe durch die Grundsätze von der
"freien Liebe", deren Übergänge zur Prostitution ja be-
kanntlich sehr verwischt sind. Von der klaren Auffassung
dieser Dinge im mittleren und südlichen Europa ist keine
Rede. Dort gibt es zunächst leicht erkenntliche Pro-
stituierte, ferner nimmt sich in vielen Schichten das
Mädchen vor der Ehe eine weitgehende, doch immer
etwas verschämte geschlechtliche Freiheit heraus, und
wieder in anderen Kreisen sind derartige Dinge un-
möglich, gelegentliche Familienkatastrophen ausgenommen,
die aber richtig als solche empfunden werden. - Jm
Norden dagegen herrscht eine kaum vorstellbare sittliche
Verwirrung. Von der Frauenbewegung angesteckte kleine
Mädchen nehmen sich unerhört ernst, und in den besten
Kreisen wieder kann man die überraschendsten Aben-
teuer beobachten und erleben."

Hier haben wir die Wirkungen der Frauenbewegung,
des Feminismus, auf sexuell-sittlichem Gebiete in Rein-
kultur. Daß die deutsche Feministin der nordischen
Schwester würdig ist, beweist eine vor einigen Jahren
von der Rechtskommission des Bundes deutscher Frauen-
vereine, gefaßte - später aber durch den Bund abgelehnte
- Resolution folgenden Wortlautes: "Als freie Per-
sönlichkeit muß die Frau auch Herrin ihres Körpers sein
und einen Keim vernichten dürfen, der zunächst ein un-
löslicher Bestandteil ihres eigenen Körpers ist". - Und
solche Leute, die geradezu die Grundlagen menschlicher
Existenz und Sitte verneinen, erheben den Anspruch,

Schichten, und man kann von irgend wie feststehenden
Sitten kaum mehr sprechen. Dazu kommt die Ver-
wirrung der Begriffe durch die Grundsätze von der
„freien Liebe“, deren Übergänge zur Prostitution ja be-
kanntlich sehr verwischt sind. Von der klaren Auffassung
dieser Dinge im mittleren und südlichen Europa ist keine
Rede. Dort gibt es zunächst leicht erkenntliche Pro-
stituierte, ferner nimmt sich in vielen Schichten das
Mädchen vor der Ehe eine weitgehende, doch immer
etwas verschämte geschlechtliche Freiheit heraus, und
wieder in anderen Kreisen sind derartige Dinge un-
möglich, gelegentliche Familienkatastrophen ausgenommen,
die aber richtig als solche empfunden werden. – Jm
Norden dagegen herrscht eine kaum vorstellbare sittliche
Verwirrung. Von der Frauenbewegung angesteckte kleine
Mädchen nehmen sich unerhört ernst, und in den besten
Kreisen wieder kann man die überraschendsten Aben-
teuer beobachten und erleben.“

Hier haben wir die Wirkungen der Frauenbewegung,
des Feminismus, auf sexuell-sittlichem Gebiete in Rein-
kultur. Daß die deutsche Feministin der nordischen
Schwester würdig ist, beweist eine vor einigen Jahren
von der Rechtskommission des Bundes deutscher Frauen-
vereine, gefaßte – später aber durch den Bund abgelehnte
– Resolution folgenden Wortlautes: „Als freie Per-
sönlichkeit muß die Frau auch Herrin ihres Körpers sein
und einen Keim vernichten dürfen, der zunächst ein un-
löslicher Bestandteil ihres eigenen Körpers ist“. – Und
solche Leute, die geradezu die Grundlagen menschlicher
Existenz und Sitte verneinen, erheben den Anspruch,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0076" n="74"/>
Schichten, und man kann von irgend wie feststehenden<lb/>
Sitten kaum mehr sprechen. Dazu kommt die Ver-<lb/>
wirrung der Begriffe durch die Grundsätze von der<lb/>
&#x201E;freien Liebe&#x201C;, deren Übergänge zur Prostitution ja be-<lb/>
kanntlich sehr verwischt sind. Von der klaren Auffassung<lb/>
dieser Dinge im mittleren und südlichen Europa ist keine<lb/>
Rede. Dort gibt es zunächst leicht erkenntliche Pro-<lb/>
stituierte, ferner nimmt sich in vielen Schichten das<lb/>
Mädchen vor der Ehe eine weitgehende, doch immer<lb/>
etwas verschämte geschlechtliche Freiheit heraus, und<lb/>
wieder in anderen Kreisen sind derartige Dinge un-<lb/>
möglich, gelegentliche Familienkatastrophen ausgenommen,<lb/>
die aber richtig als solche empfunden werden. &#x2013; Jm<lb/>
Norden dagegen herrscht eine kaum vorstellbare sittliche<lb/>
Verwirrung. Von der Frauenbewegung angesteckte kleine<lb/>
Mädchen nehmen sich unerhört ernst, und in den besten<lb/>
Kreisen wieder kann man die überraschendsten Aben-<lb/>
teuer beobachten und erleben.&#x201C;</p><lb/>
            <p>Hier haben wir die Wirkungen der Frauenbewegung,<lb/>
des Feminismus, auf sexuell-sittlichem Gebiete in Rein-<lb/>
kultur. Daß die deutsche Feministin der nordischen<lb/>
Schwester würdig ist, beweist eine vor einigen Jahren<lb/>
von der Rechtskommission des Bundes deutscher Frauen-<lb/>
vereine, gefaßte &#x2013; später aber durch den Bund abgelehnte<lb/>
&#x2013; Resolution folgenden Wortlautes: &#x201E;Als freie Per-<lb/>
sönlichkeit muß die Frau auch Herrin ihres Körpers sein<lb/>
und einen Keim vernichten dürfen, der zunächst ein un-<lb/>
löslicher Bestandteil ihres eigenen Körpers ist&#x201C;. &#x2013; Und<lb/>
solche Leute, die geradezu die Grundlagen menschlicher<lb/>
Existenz und Sitte verneinen, erheben den Anspruch,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[74/0076] Schichten, und man kann von irgend wie feststehenden Sitten kaum mehr sprechen. Dazu kommt die Ver- wirrung der Begriffe durch die Grundsätze von der „freien Liebe“, deren Übergänge zur Prostitution ja be- kanntlich sehr verwischt sind. Von der klaren Auffassung dieser Dinge im mittleren und südlichen Europa ist keine Rede. Dort gibt es zunächst leicht erkenntliche Pro- stituierte, ferner nimmt sich in vielen Schichten das Mädchen vor der Ehe eine weitgehende, doch immer etwas verschämte geschlechtliche Freiheit heraus, und wieder in anderen Kreisen sind derartige Dinge un- möglich, gelegentliche Familienkatastrophen ausgenommen, die aber richtig als solche empfunden werden. – Jm Norden dagegen herrscht eine kaum vorstellbare sittliche Verwirrung. Von der Frauenbewegung angesteckte kleine Mädchen nehmen sich unerhört ernst, und in den besten Kreisen wieder kann man die überraschendsten Aben- teuer beobachten und erleben.“ Hier haben wir die Wirkungen der Frauenbewegung, des Feminismus, auf sexuell-sittlichem Gebiete in Rein- kultur. Daß die deutsche Feministin der nordischen Schwester würdig ist, beweist eine vor einigen Jahren von der Rechtskommission des Bundes deutscher Frauen- vereine, gefaßte – später aber durch den Bund abgelehnte – Resolution folgenden Wortlautes: „Als freie Per- sönlichkeit muß die Frau auch Herrin ihres Körpers sein und einen Keim vernichten dürfen, der zunächst ein un- löslicher Bestandteil ihres eigenen Körpers ist“. – Und solche Leute, die geradezu die Grundlagen menschlicher Existenz und Sitte verneinen, erheben den Anspruch,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-04-13T13:51:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-04-13T13:51:38Z)

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/langemann_frauenstimmrecht_1916
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/langemann_frauenstimmrecht_1916/76
Zitationshilfe: Langemann, Ludwig; Hummel, Helene: Frauenstimmrecht und Frauenemanzipation. Berlin, 1916, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/langemann_frauenstimmrecht_1916/76>, abgerufen am 23.11.2024.