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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771.

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rem Gesicht und in ihrer Stellung. Die
Augen ihres Vaters auf sie geheftet --
eine Hand in den Jhrigen; ein Seufzer
des Vaters -- Meine Sophie! und
dann die Arme des Fräuleins gegen den
Himmel ausgebreitet, ohne einen Laut --
aber eine trostlose bittende Seele in allen
ihren Zügen! O dieser Anblick des feyer-
lichen Schmerzens, der kindlichen Liebe,
der Tugend, der Unterwerfung, zerriß
uns allen das Herz.

"Sophie, die Natur thut uns kein Un-
"recht, sechzig Jahre sind nicht zu früh.
"Der Tod ist kein Uebel für mich; er ver-
"einigt meinen Geist mit seinem liebreichen
"Schöpfer, und mein Herz mit deiner
"würdigen Mutter ihrem! Gönne mir
"dieses Glück auf Unkosten des Vergnü-
"gens, das dir das längere Leben deines
"Vaters gegeben hätte."

Sie überwand ihren Kummer; sie
selbst war es, welche ihren Herrn Vater
aufs sorgfältigste und ruhigste pflegte.
Er sah diese Ueberwindung, und bat sie,
ihm in den letzten Tagen den Trost zu ge

ben,

rem Geſicht und in ihrer Stellung. Die
Augen ihres Vaters auf ſie geheftet —
eine Hand in den Jhrigen; ein Seufzer
des Vaters — Meine Sophie! und
dann die Arme des Fraͤuleins gegen den
Himmel ausgebreitet, ohne einen Laut —
aber eine troſtloſe bittende Seele in allen
ihren Zuͤgen! O dieſer Anblick des feyer-
lichen Schmerzens, der kindlichen Liebe,
der Tugend, der Unterwerfung, zerriß
uns allen das Herz.

„Sophie, die Natur thut uns kein Un-
„recht, ſechzig Jahre ſind nicht zu fruͤh.
„Der Tod iſt kein Uebel fuͤr mich; er ver-
„einigt meinen Geiſt mit ſeinem liebreichen
„Schoͤpfer, und mein Herz mit deiner
„wuͤrdigen Mutter ihrem! Goͤnne mir
„dieſes Gluͤck auf Unkoſten des Vergnuͤ-
„gens, das dir das laͤngere Leben deines
„Vaters gegeben haͤtte.“

Sie uͤberwand ihren Kummer; ſie
ſelbſt war es, welche ihren Herrn Vater
aufs ſorgfaͤltigſte und ruhigſte pflegte.
Er ſah dieſe Ueberwindung, und bat ſie,
ihm in den letzten Tagen den Troſt zu ge

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[76/0102] rem Geſicht und in ihrer Stellung. Die Augen ihres Vaters auf ſie geheftet — eine Hand in den Jhrigen; ein Seufzer des Vaters — Meine Sophie! und dann die Arme des Fraͤuleins gegen den Himmel ausgebreitet, ohne einen Laut — aber eine troſtloſe bittende Seele in allen ihren Zuͤgen! O dieſer Anblick des feyer- lichen Schmerzens, der kindlichen Liebe, der Tugend, der Unterwerfung, zerriß uns allen das Herz. „Sophie, die Natur thut uns kein Un- „recht, ſechzig Jahre ſind nicht zu fruͤh. „Der Tod iſt kein Uebel fuͤr mich; er ver- „einigt meinen Geiſt mit ſeinem liebreichen „Schoͤpfer, und mein Herz mit deiner „wuͤrdigen Mutter ihrem! Goͤnne mir „dieſes Gluͤck auf Unkoſten des Vergnuͤ- „gens, das dir das laͤngere Leben deines „Vaters gegeben haͤtte.“ Sie uͤberwand ihren Kummer; ſie ſelbſt war es, welche ihren Herrn Vater aufs ſorgfaͤltigſte und ruhigſte pflegte. Er ſah dieſe Ueberwindung, und bat ſie, ihm in den letzten Tagen den Troſt zu ge ben,

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Zitationshilfe: [La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/102>, abgerufen am 23.11.2024.