Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite

gefiel es, sie wies es jedermann, und re-
dete es als eine gute Kennerinn von der
Zeichnung und Mahlerey. Meine Freu-
de war nicht zu beschreiben; ich hielt die
Besorgnisse der Hofleute gegründet, und
die Freude des Fräuleins bekräftigte mich
in der Jdee, daß sie durch ihre Tugend
eine neue fliehende Daphne seyn würde.
Aber wie schmerzhaft, wie niederträchtig
hat mich nicht ihre Scheintugend betro-
gen, da sie sich gleich darauf dem Apollo
in die Arme warf! Jch sah sie mit ihrer
ehrlosen Tante, und der Gräfin F* eini-
ge Zeit auf und abgehen; die zwo elenden
Unterhändlerinnen schmeichelten ihr in die
Wette. Endlich merkte ich, daß sie mit
einer zärtlichen und sorgsamen Miene,
bald die Gesellschaft, bald die Thüre des
Pfarrgartens ansah; und auf einmal
mit dem leichtesten freudigsten Schritt
durch die Zuseher drang und in den Gar-
ten eilte. Lang war sie nicht darinn,
aber ihr Hineingehen hatte schon Aufsehen
erweckt. Wie vieles verursachte erst der
Ausdruck von Zufriedenheit und Beschä-

mung

gefiel es, ſie wies es jedermann, und re-
dete es als eine gute Kennerinn von der
Zeichnung und Mahlerey. Meine Freu-
de war nicht zu beſchreiben; ich hielt die
Beſorgniſſe der Hofleute gegruͤndet, und
die Freude des Fraͤuleins bekraͤftigte mich
in der Jdee, daß ſie durch ihre Tugend
eine neue fliehende Daphne ſeyn wuͤrde.
Aber wie ſchmerzhaft, wie niedertraͤchtig
hat mich nicht ihre Scheintugend betro-
gen, da ſie ſich gleich darauf dem Apollo
in die Arme warf! Jch ſah ſie mit ihrer
ehrloſen Tante, und der Graͤfin F* eini-
ge Zeit auf und abgehen; die zwo elenden
Unterhaͤndlerinnen ſchmeichelten ihr in die
Wette. Endlich merkte ich, daß ſie mit
einer zaͤrtlichen und ſorgſamen Miene,
bald die Geſellſchaft, bald die Thuͤre des
Pfarrgartens anſah; und auf einmal
mit dem leichteſten freudigſten Schritt
durch die Zuſeher drang und in den Gar-
ten eilte. Lang war ſie nicht darinn,
aber ihr Hineingehen hatte ſchon Aufſehen
erweckt. Wie vieles verurſachte erſt der
Ausdruck von Zufriedenheit und Beſchaͤ-

mung
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0281" n="255"/>
gefiel es, &#x017F;ie wies es jedermann, und re-<lb/>
dete es als eine gute Kennerinn von der<lb/>
Zeichnung und Mahlerey. Meine Freu-<lb/>
de war nicht zu be&#x017F;chreiben; ich hielt die<lb/>
Be&#x017F;orgni&#x017F;&#x017F;e der Hofleute gegru&#x0364;ndet, und<lb/>
die Freude des Fra&#x0364;uleins bekra&#x0364;ftigte mich<lb/>
in der Jdee, daß &#x017F;ie durch ihre Tugend<lb/>
eine neue fliehende Daphne &#x017F;eyn wu&#x0364;rde.<lb/>
Aber wie &#x017F;chmerzhaft, wie niedertra&#x0364;chtig<lb/>
hat mich nicht ihre Scheintugend betro-<lb/>
gen, da &#x017F;ie &#x017F;ich gleich darauf dem Apollo<lb/>
in die Arme warf! Jch &#x017F;ah &#x017F;ie mit ihrer<lb/>
ehrlo&#x017F;en Tante, und der Gra&#x0364;fin F* eini-<lb/>
ge Zeit auf und abgehen; die zwo elenden<lb/>
Unterha&#x0364;ndlerinnen &#x017F;chmeichelten ihr in die<lb/>
Wette. Endlich merkte ich, daß &#x017F;ie mit<lb/>
einer za&#x0364;rtlichen und &#x017F;org&#x017F;amen Miene,<lb/>
bald die Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft, bald die Thu&#x0364;re des<lb/>
Pfarrgartens an&#x017F;ah; und auf einmal<lb/>
mit dem leichte&#x017F;ten freudig&#x017F;ten Schritt<lb/>
durch die Zu&#x017F;eher drang und in den Gar-<lb/>
ten eilte. Lang war &#x017F;ie nicht darinn,<lb/>
aber ihr Hineingehen hatte &#x017F;chon Auf&#x017F;ehen<lb/>
erweckt. Wie vieles verur&#x017F;achte er&#x017F;t der<lb/>
Ausdruck von Zufriedenheit und Be&#x017F;cha&#x0364;-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">mung</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[255/0281] gefiel es, ſie wies es jedermann, und re- dete es als eine gute Kennerinn von der Zeichnung und Mahlerey. Meine Freu- de war nicht zu beſchreiben; ich hielt die Beſorgniſſe der Hofleute gegruͤndet, und die Freude des Fraͤuleins bekraͤftigte mich in der Jdee, daß ſie durch ihre Tugend eine neue fliehende Daphne ſeyn wuͤrde. Aber wie ſchmerzhaft, wie niedertraͤchtig hat mich nicht ihre Scheintugend betro- gen, da ſie ſich gleich darauf dem Apollo in die Arme warf! Jch ſah ſie mit ihrer ehrloſen Tante, und der Graͤfin F* eini- ge Zeit auf und abgehen; die zwo elenden Unterhaͤndlerinnen ſchmeichelten ihr in die Wette. Endlich merkte ich, daß ſie mit einer zaͤrtlichen und ſorgſamen Miene, bald die Geſellſchaft, bald die Thuͤre des Pfarrgartens anſah; und auf einmal mit dem leichteſten freudigſten Schritt durch die Zuſeher drang und in den Gar- ten eilte. Lang war ſie nicht darinn, aber ihr Hineingehen hatte ſchon Aufſehen erweckt. Wie vieles verurſachte erſt der Ausdruck von Zufriedenheit und Beſchaͤ- mung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/281
Zitationshilfe: [La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/281>, abgerufen am 01.06.2024.