ihn unruhig. Er besorgte, irgend ein be- gangener Fehler möchte die Grundlage dieser Betrübniß seyn; beobachtete sie in allem auf das genauste, konnte aber kei- ne Spur entdecken, die ihn zu der ge- ringsten Bestärkung einer solchen Besorg- niß hätte leiten können.
Jmmer war sie unter seinen oder ih- rer Mutter Augen, redete mit niemand im Hause, und vermied alle Arten von Umgang. Einige Zeit überwand sie sich, und blieb in Gesellschaft; und eine ruhige Munterkeit machte Hoffnung, daß der melancholische Anfall vorüber wäre.
Zu diesem Vergnügen der Familie kam die unvermuthete Ankunft des Ober- sten von Sternheim, von welchem diese ganze Familie so viel reden gehört, und in seinen Briefen die Vortrefflichkeit sei- nes Geistes und Herzens bewundert hatte. Er überraschte sie Abends in ihrem Gar- ten; die Entzückung des Barons, und die neugierige Aufmerksamkeit der übrigen, ist nicht zu beschreiben. Es währte auch nicht lange, so flößte sein edles liebrei-
ches
ihn unruhig. Er beſorgte, irgend ein be- gangener Fehler moͤchte die Grundlage dieſer Betruͤbniß ſeyn; beobachtete ſie in allem auf das genauſte, konnte aber kei- ne Spur entdecken, die ihn zu der ge- ringſten Beſtaͤrkung einer ſolchen Beſorg- niß haͤtte leiten koͤnnen.
Jmmer war ſie unter ſeinen oder ih- rer Mutter Augen, redete mit niemand im Hauſe, und vermied alle Arten von Umgang. Einige Zeit uͤberwand ſie ſich, und blieb in Geſellſchaft; und eine ruhige Munterkeit machte Hoffnung, daß der melancholiſche Anfall voruͤber waͤre.
Zu dieſem Vergnuͤgen der Familie kam die unvermuthete Ankunft des Ober- ſten von Sternheim, von welchem dieſe ganze Familie ſo viel reden gehoͤrt, und in ſeinen Briefen die Vortrefflichkeit ſei- nes Geiſtes und Herzens bewundert hatte. Er uͤberraſchte ſie Abends in ihrem Gar- ten; die Entzuͤckung des Barons, und die neugierige Aufmerkſamkeit der uͤbrigen, iſt nicht zu beſchreiben. Es waͤhrte auch nicht lange, ſo floͤßte ſein edles liebrei-
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ihn unruhig. Er beſorgte, irgend ein be-
gangener Fehler moͤchte die Grundlage
dieſer Betruͤbniß ſeyn; beobachtete ſie in
allem auf das genauſte, konnte aber kei-
ne Spur entdecken, die ihn zu der ge-
ringſten Beſtaͤrkung einer ſolchen Beſorg-
niß haͤtte leiten koͤnnen.
Jmmer war ſie unter ſeinen oder ih-
rer Mutter Augen, redete mit niemand
im Hauſe, und vermied alle Arten von
Umgang. Einige Zeit uͤberwand ſie ſich,
und blieb in Geſellſchaft; und eine ruhige
Munterkeit machte Hoffnung, daß der
melancholiſche Anfall voruͤber waͤre.
Zu dieſem Vergnuͤgen der Familie
kam die unvermuthete Ankunft des Ober-
ſten von Sternheim, von welchem dieſe
ganze Familie ſo viel reden gehoͤrt, und
in ſeinen Briefen die Vortrefflichkeit ſei-
nes Geiſtes und Herzens bewundert hatte.
Er uͤberraſchte ſie Abends in ihrem Gar-
ten; die Entzuͤckung des Barons, und die
neugierige Aufmerkſamkeit der uͤbrigen,
iſt nicht zu beſchreiben. Es waͤhrte auch
nicht lange, ſo floͤßte ſein edles liebrei-
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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/32>, abgerufen am 23.11.2024.
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