als den Gedanken ein, daß das menschliche Herz durchaus so sehr zum Bösen geneigt sey, als manche glauben. Wie oft kam ich von Anhörung der Canzelrede eines berühmten Mannes zurück, und wenn ich dem moralischen Nutzen nachdachte, den ich daraus gezogen, und dem, welchen der gemeine Mann darinn gefunden haben könnte, so fand ich in Wahrheit viel Lee- res für den letztern dabey; und derjenige Theil, welchen der Prediger dem Ruhme der Gelehrsamkeit oder dem ausführlichen aber nicht allzuverständlichen Vortrag mancher speculativer Sätze gewldmet hatte, war für die Besserung der mei- sten verlohren, und das gewiß nicht aus bösem Willen der letztern.
Denn wenn ich, der von Jugend auf meine Verstandskräfte geübt hatte, und mit abstracten Jdeen bekannt war, Mühe hatte, nützliche Anwendungen davon zu machen; wie sollte der Handwerksmann und seine Kinder damit zu rechte kommen? Da ich nun weit von dem unfreundlichen Stolz entfernt bin, der unter Personen
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als den Gedanken ein, daß das menſchliche Herz durchaus ſo ſehr zum Boͤſen geneigt ſey, als manche glauben. Wie oft kam ich von Anhoͤrung der Canzelrede eines beruͤhmten Mannes zuruͤck, und wenn ich dem moraliſchen Nutzen nachdachte, den ich daraus gezogen, und dem, welchen der gemeine Mann darinn gefunden haben koͤnnte, ſo fand ich in Wahrheit viel Lee- res fuͤr den letztern dabey; und derjenige Theil, welchen der Prediger dem Ruhme der Gelehrſamkeit oder dem ausfuͤhrlichen aber nicht allzuverſtaͤndlichen Vortrag mancher ſpeculativer Saͤtze gewldmet hatte, war fuͤr die Beſſerung der mei- ſten verlohren, und das gewiß nicht aus boͤſem Willen der letztern.
Denn wenn ich, der von Jugend auf meine Verſtandskraͤfte geuͤbt hatte, und mit abſtracten Jdeen bekannt war, Muͤhe hatte, nuͤtzliche Anwendungen davon zu machen; wie ſollte der Handwerksmann und ſeine Kinder damit zu rechte kommen? Da ich nun weit von dem unfreundlichen Stolz entfernt bin, der unter Perſonen
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[48/0074]
als den Gedanken ein, daß das menſchliche
Herz durchaus ſo ſehr zum Boͤſen geneigt
ſey, als manche glauben. Wie oft kam
ich von Anhoͤrung der Canzelrede eines
beruͤhmten Mannes zuruͤck, und wenn ich
dem moraliſchen Nutzen nachdachte, den
ich daraus gezogen, und dem, welchen der
gemeine Mann darinn gefunden haben
koͤnnte, ſo fand ich in Wahrheit viel Lee-
res fuͤr den letztern dabey; und derjenige
Theil, welchen der Prediger dem Ruhme
der Gelehrſamkeit oder dem ausfuͤhrlichen
aber nicht allzuverſtaͤndlichen Vortrag
mancher ſpeculativer Saͤtze gewldmet
hatte, war fuͤr die Beſſerung der mei-
ſten verlohren, und das gewiß nicht aus
boͤſem Willen der letztern.
Denn wenn ich, der von Jugend auf
meine Verſtandskraͤfte geuͤbt hatte, und
mit abſtracten Jdeen bekannt war, Muͤhe
hatte, nuͤtzliche Anwendungen davon zu
machen; wie ſollte der Handwerksmann
und ſeine Kinder damit zu rechte kommen?
Da ich nun weit von dem unfreundlichen
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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/74>, abgerufen am 21.11.2024.
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