hin mich der Gedanke vom Wohlthun füh- ren könne. Mit aller Feinheit der Em- pfindung zeichnete er einen flüchtigen Ent- wurf davon. O meine Emilia, es war der Abdruck meiner ehemaligen Wünsche und Hoffnungen im ehelichen Leben. Aeußerst gerührt und bestürzt konnte ich meine Thränen nicht zurückhalten. Er stund von der Rasenbank auf, und er- griff meine beyden Hände; eine vielden- kende männliche Zärtlichkeit war in sei- nem Gesichte, als er mich betrachtete, und meine Hände an seine Brust drück- te. -- -- "O Madam Leidens, sagte er, was für ein Ausdruck von tiefem Kummer ist in Jhren Gesichtszügen! Entweder hat der Tod Jhrem Herzen alle Freuden des Lebens und der Jugend entrissen, oder es liegt in ihren Umständen irgend eine Quelle von bitterm Jammer verborgen. Sagen Sie, theure geliebte Freundinn, wollen Sie nicht, können Sie nicht die- ser Quelle einen Ausfluß in den Busen Jhres treuen, Jhres Sie anbetenden Freundes verschaffen?" Mein Kopf sank
auf
hin mich der Gedanke vom Wohlthun fuͤh- ren koͤnne. Mit aller Feinheit der Em- pfindung zeichnete er einen fluͤchtigen Ent- wurf davon. O meine Emilia, es war der Abdruck meiner ehemaligen Wuͤnſche und Hoffnungen im ehelichen Leben. Aeußerſt geruͤhrt und beſtuͤrzt konnte ich meine Thraͤnen nicht zuruͤckhalten. Er ſtund von der Raſenbank auf, und er- griff meine beyden Haͤnde; eine vielden- kende maͤnnliche Zaͤrtlichkeit war in ſei- nem Geſichte, als er mich betrachtete, und meine Haͤnde an ſeine Bruſt druͤck- te. — — „O Madam Leidens, ſagte er, was fuͤr ein Ausdruck von tiefem Kummer iſt in Jhren Geſichtszuͤgen! Entweder hat der Tod Jhrem Herzen alle Freuden des Lebens und der Jugend entriſſen, oder es liegt in ihren Umſtaͤnden irgend eine Quelle von bitterm Jammer verborgen. Sagen Sie, theure geliebte Freundinn, wollen Sie nicht, koͤnnen Sie nicht die- ſer Quelle einen Ausfluß in den Buſen Jhres treuen, Jhres Sie anbetenden Freundes verſchaffen?“ Mein Kopf ſank
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hin mich der Gedanke vom Wohlthun fuͤh-
ren koͤnne. Mit aller Feinheit der Em-
pfindung zeichnete er einen fluͤchtigen Ent-
wurf davon. O meine Emilia, es war
der Abdruck meiner ehemaligen Wuͤnſche
und Hoffnungen im ehelichen Leben.
Aeußerſt geruͤhrt und beſtuͤrzt konnte ich
meine Thraͤnen nicht zuruͤckhalten. Er
ſtund von der Raſenbank auf, und er-
griff meine beyden Haͤnde; eine vielden-
kende maͤnnliche Zaͤrtlichkeit war in ſei-
nem Geſichte, als er mich betrachtete,
und meine Haͤnde an ſeine Bruſt druͤck-
te. — — „O Madam Leidens, ſagte er,
was fuͤr ein Ausdruck von tiefem Kummer
iſt in Jhren Geſichtszuͤgen! Entweder
hat der Tod Jhrem Herzen alle Freuden des
Lebens und der Jugend entriſſen, oder es
liegt in ihren Umſtaͤnden irgend eine
Quelle von bitterm Jammer verborgen.
Sagen Sie, theure geliebte Freundinn,
wollen Sie nicht, koͤnnen Sie nicht die-
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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771/194>, abgerufen am 21.11.2024.
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