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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771.

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äußerst traurig und abgemattet saß sie ne-
ben einer Person in Weibskleidern, von
welcher sie fest umfaßt gehalten wurde;
Sie bat einmal auf den Knien um Erbar-
men, erhielt aber keine Antwort, und wur-
de endlich in der Hütte eines schottischen
Bleyminenknechts auf ein elendes Bette
gesetzt. Dieß war alles was sie von ihrer
Entführung zu sagen wußte, denn sie
war beynahe sinnlos. Jhr Tagbuch
kann zum Beweis dienen, wie sehr ein
heftiger Schmerz des Gemüths das edel-
ste Herz zerrütten kann. Aber eben dieses
Tagbuch beweist, daß, sobald ihre Kräfte
sich erhohlten, auch die vortrefflichen
Grundsätze ihrer Erziehung wieder ihre
volle Wirksamkeit erhielten.

Den Kummer, in welchen durch diesen
Zufall die Lady Summers gesetzt wurde,
und den Jammer meiner Emilia und den
meinigen über die Nachricht von ihrem
Unsichtbarwerden können Sie sich leichter
selbst vorstellen, als ich ihn beschreiben
könnte; zumal da alles mögliche, um auf

ihre

aͤußerſt traurig und abgemattet ſaß ſie ne-
ben einer Perſon in Weibskleidern, von
welcher ſie feſt umfaßt gehalten wurde;
Sie bat einmal auf den Knien um Erbar-
men, erhielt aber keine Antwort, und wur-
de endlich in der Huͤtte eines ſchottiſchen
Bleyminenknechts auf ein elendes Bette
geſetzt. Dieß war alles was ſie von ihrer
Entfuͤhrung zu ſagen wußte, denn ſie
war beynahe ſinnlos. Jhr Tagbuch
kann zum Beweis dienen, wie ſehr ein
heftiger Schmerz des Gemuͤths das edel-
ſte Herz zerruͤtten kann. Aber eben dieſes
Tagbuch beweiſt, daß, ſobald ihre Kraͤfte
ſich erhohlten, auch die vortrefflichen
Grundſaͤtze ihrer Erziehung wieder ihre
volle Wirkſamkeit erhielten.

Den Kummer, in welchen durch dieſen
Zufall die Lady Summers geſetzt wurde,
und den Jammer meiner Emilia und den
meinigen uͤber die Nachricht von ihrem
Unſichtbarwerden koͤnnen Sie ſich leichter
ſelbſt vorſtellen, als ich ihn beſchreiben
koͤnnte; zumal da alles moͤgliche, um auf

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[207/0213] aͤußerſt traurig und abgemattet ſaß ſie ne- ben einer Perſon in Weibskleidern, von welcher ſie feſt umfaßt gehalten wurde; Sie bat einmal auf den Knien um Erbar- men, erhielt aber keine Antwort, und wur- de endlich in der Huͤtte eines ſchottiſchen Bleyminenknechts auf ein elendes Bette geſetzt. Dieß war alles was ſie von ihrer Entfuͤhrung zu ſagen wußte, denn ſie war beynahe ſinnlos. Jhr Tagbuch kann zum Beweis dienen, wie ſehr ein heftiger Schmerz des Gemuͤths das edel- ſte Herz zerruͤtten kann. Aber eben dieſes Tagbuch beweiſt, daß, ſobald ihre Kraͤfte ſich erhohlten, auch die vortrefflichen Grundſaͤtze ihrer Erziehung wieder ihre volle Wirkſamkeit erhielten. Den Kummer, in welchen durch dieſen Zufall die Lady Summers geſetzt wurde, und den Jammer meiner Emilia und den meinigen uͤber die Nachricht von ihrem Unſichtbarwerden koͤnnen Sie ſich leichter ſelbſt vorſtellen, als ich ihn beſchreiben koͤnnte; zumal da alles moͤgliche, um auf ihre

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Zitationshilfe: [La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771/213>, abgerufen am 24.11.2024.