verbreitetest, die mich umgeben. Die Er- fahrung, welche du an der Hand führest, lehrte mich die übende Weisheit und Ge- duld kennen. Jede Stunde, da ich mit ihnen vertrauter wurde, verminderte die Bitterkeit meines Grams. Du, alle Wunden des Gemüths heilende Zeit, wirst auch den Balsam der Beruhigung in die Seele meiner wenigen Freunde gießen, und sie in Umstände setzen, worinn sie die frohen Aussichten ihres Geschickes ohne den vergällenden Kummer um mich ge- nießen können. Du hast die Trostgrün- de der Güte meines Schöpfers, die das geringste Erdwürmchen unter den Schutz kleiner Sandkörner begleitet, wieder in meine Seele gerufen; du hast mich sie in diesen rauhen Gebürgen finden lassen, den Gebrauch meiner Kenntnisse in mir er- neuert, und die im Schooße des Glückes schlafenden Tugenden erweckt und ge- schäfftig gemacht. Hier, wo die physica- lische Welt wenige Gaben sparsam un- ter ihre traurigen Bewohner austheilt, hier habe ich den moralischen Reichthum
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verbreiteteſt, die mich umgeben. Die Er- fahrung, welche du an der Hand fuͤhreſt, lehrte mich die uͤbende Weisheit und Ge- duld kennen. Jede Stunde, da ich mit ihnen vertrauter wurde, verminderte die Bitterkeit meines Grams. Du, alle Wunden des Gemuͤths heilende Zeit, wirſt auch den Balſam der Beruhigung in die Seele meiner wenigen Freunde gießen, und ſie in Umſtaͤnde ſetzen, worinn ſie die frohen Ausſichten ihres Geſchickes ohne den vergaͤllenden Kummer um mich ge- nießen koͤnnen. Du haſt die Troſtgruͤn- de der Guͤte meines Schoͤpfers, die das geringſte Erdwuͤrmchen unter den Schutz kleiner Sandkoͤrner begleitet, wieder in meine Seele gerufen; du haſt mich ſie in dieſen rauhen Gebuͤrgen finden laſſen, den Gebrauch meiner Kenntniſſe in mir er- neuert, und die im Schooße des Gluͤckes ſchlafenden Tugenden erweckt und ge- ſchaͤfftig gemacht. Hier, wo die phyſica- liſche Welt wenige Gaben ſparſam un- ter ihre traurigen Bewohner austheilt, hier habe ich den moraliſchen Reichthum
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verbreiteteſt, die mich umgeben. Die Er-
fahrung, welche du an der Hand fuͤhreſt,
lehrte mich die uͤbende Weisheit und Ge-
duld kennen. Jede Stunde, da ich mit
ihnen vertrauter wurde, verminderte die
Bitterkeit meines Grams. Du, alle
Wunden des Gemuͤths heilende Zeit, wirſt
auch den Balſam der Beruhigung in die
Seele meiner wenigen Freunde gießen,
und ſie in Umſtaͤnde ſetzen, worinn ſie die
frohen Ausſichten ihres Geſchickes ohne
den vergaͤllenden Kummer um mich ge-
nießen koͤnnen. Du haſt die Troſtgruͤn-
de der Guͤte meines Schoͤpfers, die das
geringſte Erdwuͤrmchen unter den Schutz
kleiner Sandkoͤrner begleitet, wieder in
meine Seele gerufen; du haſt mich ſie in
dieſen rauhen Gebuͤrgen finden laſſen, den
Gebrauch meiner Kenntniſſe in mir er-
neuert, und die im Schooße des Gluͤckes
ſchlafenden Tugenden erweckt und ge-
ſchaͤfftig gemacht. Hier, wo die phyſica-
liſche Welt wenige Gaben ſparſam un-
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hier habe ich den moraliſchen Reichthum
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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771/237>, abgerufen am 24.11.2024.
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