Lady Summers hat die Gräfinn gelesen; sie wollte es nicht thun, um mich von ihrem Vertrauen in mich zu überzeugen. Die Briefe an Sie hab' ich ihr durchge- blättert, weil sie aber ganz deutsch sind, so hätte die Uebersetzung viele Zeit gekostet; ich redete ihr also kurz von dem Jnhalt eines jeden Blattes; denn ich eilte zu sehr Jhnen Nachrichten zu geben, und gerne schlüpfte ich über das Gute darinn hin- weg, weil mich dünkte, daß das Vergnü- gen mich loben zu hören die Summe mei- ner innerlichen Zufriedenheit vermindert. Möchte ich doch bald Nachrichten von Lady Summers haben, und zu ihr reisen können, um mich bald, bald in die Arme meiner Emilia zu werfen. Mein Enthu- siasmus für England ist erloschen; es ist nicht, wie ich geglaubt habe, das Vater- land meiner Seele. - - Jch will auf meine Güter, einsam will ich da leben und Gutes thun. Mein Geist, meine Empfindungen für die gesellschaftliche Welt sind erschöpft; ich kann ihr auch zu nichts mehr gut seyn, als einigen Un-
glückli-
Lady Summers hat die Graͤfinn geleſen; ſie wollte es nicht thun, um mich von ihrem Vertrauen in mich zu uͤberzeugen. Die Briefe an Sie hab’ ich ihr durchge- blaͤttert, weil ſie aber ganz deutſch ſind, ſo haͤtte die Ueberſetzung viele Zeit gekoſtet; ich redete ihr alſo kurz von dem Jnhalt eines jeden Blattes; denn ich eilte zu ſehr Jhnen Nachrichten zu geben, und gerne ſchluͤpfte ich uͤber das Gute darinn hin- weg, weil mich duͤnkte, daß das Vergnuͤ- gen mich loben zu hoͤren die Summe mei- ner innerlichen Zufriedenheit vermindert. Moͤchte ich doch bald Nachrichten von Lady Summers haben, und zu ihr reiſen koͤnnen, um mich bald, bald in die Arme meiner Emilia zu werfen. Mein Enthu- ſiasmus fuͤr England iſt erloſchen; es iſt nicht, wie ich geglaubt habe, das Vater- land meiner Seele. ‒ ‒ Jch will auf meine Guͤter, einſam will ich da leben und Gutes thun. Mein Geiſt, meine Empfindungen fuͤr die geſellſchaftliche Welt ſind erſchoͤpft; ich kann ihr auch zu nichts mehr gut ſeyn, als einigen Un-
gluͤckli-
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Lady Summers hat die Graͤfinn geleſen;
ſie wollte es nicht thun, um mich von
ihrem Vertrauen in mich zu uͤberzeugen.
Die Briefe an Sie hab’ ich ihr durchge-
blaͤttert, weil ſie aber ganz deutſch ſind,
ſo haͤtte die Ueberſetzung viele Zeit gekoſtet;
ich redete ihr alſo kurz von dem Jnhalt
eines jeden Blattes; denn ich eilte zu ſehr
Jhnen Nachrichten zu geben, und gerne
ſchluͤpfte ich uͤber das Gute darinn hin-
weg, weil mich duͤnkte, daß das Vergnuͤ-
gen mich loben zu hoͤren die Summe mei-
ner innerlichen Zufriedenheit vermindert.
Moͤchte ich doch bald Nachrichten von
Lady Summers haben, und zu ihr reiſen
koͤnnen, um mich bald, bald in die Arme
meiner Emilia zu werfen. Mein Enthu-
ſiasmus fuͤr England iſt erloſchen; es iſt
nicht, wie ich geglaubt habe, das Vater-
land meiner Seele. ‒ ‒ Jch will auf
meine Guͤter, einſam will ich da leben
und Gutes thun. Mein Geiſt, meine
Empfindungen fuͤr die geſellſchaftliche
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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771/277>, abgerufen am 22.11.2024.
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